Alexis Tsipras’ letzter Freund
Nur wenige Premiers zeigen so viel Verständnis für Tsipras wie Faymann. Heute Treffen in Athen.
Griechenland steuert unaufhaltsam dem Abgrund entgegen. Die Verhandlungen zwischen Griechen und Gläubigern sind vorerst gescheitert. Selbst griechenaffine EU-Spitzenpolitiker wie Jean-Claude Juncker und Martin Schulz haben die Geduld verloren. „Ich habe die Faxen dicke“, schäumte Schulz kürzlich. Erstmals schloss nun auch SPDChef Sigmar Gabriel eine „Rettung um jeden Preis“aus.
AmDonnerstag sollten die EUFinanzminister die Bedingungen für das 7,2 Milliarden schwere Hilfspaket fixieren, doch Athen sträubt sich weiterhin gegen die ohnehin längst verwässerten Bedingungen der Kreditgeber. Scheitern die Gespräche, ist ein EU-Sondergipfel amSonntag unausweichlich. In der Zwischenzeit wird in Brüssel, Frankfurt oder Berlin der Hinauswurf der Griechen nicht mehr als unkontrollierbarer Super-GAU eingestuft. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, lautet längst die Devise.
Während Notfallpläne für den geplanten oder ungeplanten Austritt (Grexit oder Greccident) der Griechen erstellt werden, ist Bundeskanzler Werner Faymann gestern Abend als allererster EUATHEN. Regierungschef nach Athen gereist. Heute Mittag trifft er seinen griechischen Amtskollegen Alexis Tsipras. „Ich habe mich ausführlich mit Juncker und anderen abgestimmt“, verteidigt sich der Kanzler gegen den Vorwurf, er unterlaufe die Verhandlungen. Er wolle allerdings „zeigen: Wir sind nicht an einem Grexit interessiert.“
Kaum ein zweiter EU-Premier bringt so viel Verständnis für die Lage der Griechen auf wie Faymann. In Athen will der Kanzler außerdem ein Spital, ein SOSKinderdorf sowie die Gewerkschaftsspitze besuchen. Dass die Visite mit der Krise zusammenfällt, ist dem Zufall geschuldet. Sollte Faymann in Athen in eine Vermittlerrolle schlüpfen, müsste allerdings das Programm auf den Kopf gestellt werden.
In ÖVP-Kreisen wird dieVisite mit Misstrauen verfolgt. EU-Delegationschef Othmar Karas rückte gestern aus, um Faymann davor zu warnen, „dem europäischen Steuerzahler nicht in den Rücken zu fallen“. StattVerständnis für die Griechen aufzubringen, sollte er lieber die Griechen daran erinnern, ihre Verpflichtungen einzuhalten.
MICHAEL JUNGWIRTH, ATHEN