Die Abrechnung
KLARTEXT. Noch nie wurde der stille Jean-Claude Juncker so deutlich wie jetzt: Athen habe die gesamte EU hinters Licht geführt und damit jedes Verständnis ausgenutzt. ABLEHNUNG. Griechenland müsste heute 1,6 Milliarden Euro an den Weltwährungsfonds überw
Dramatische Stunden in Europa. Ein Staatsbankrott Griechenlands scheint unausweichlich. Den Hellenen die Tür weisen will nach dem Abbruch der Verhandlungen trotzdem niemand. Nach wie vor laufen hinter den Kulissen hektische Bemühungen, das schuldengeplagte Krisenland im Euro zu halten. Mit einer sehr emotionalen Rede an das griechische Volk hat sich nun Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in die griechische Referendumsdebatte eingemischt.
Der Präsident der EU-Kommission beschwor die europäischenWerte von der Demokratie bis zum Kompromiss. „Es passt nicht zu Griechenland, eine Demokratie gegen achtzehn andere auszuspielen“, sagte Juncker. Er betonte Griechenlands Rolle in Europa. „Griechenlands Platz liegt im Herzen Europas und im Herzen der Euro-Zone.“Und Juncker beschwor die griechische Geschichte: „Ich wollte nie, dass Platon in der zweiten Liga spielt.“Zugleich rief er die griechischen Wähler auf, sich am Sonntag im Referendum für „eine Zukunft in Europa“auszusprechen. Das war es aber auch an Nettigkeiten. Dann holte der Kommissionschef aus. Er fühle sich „verraten“und sei „politisch und menschlich enttäuscht“, sagte Juncker, ohne Tsipras namentlich zu nennen.
Jetzt also wird’s persönlich. Und so viel Attacke überrascht. Normalerweise nämlich übt sich die EU-Kommission in vornehmer Zurückhaltung. „Es liegt an den Mitgliedstaaten, darüber zu befinden“, heißt es sonst diplomatisch oder: „Wir respektieren die souveräne Entscheidung.“Nun aber ist es anders. Vor allem für Juncker. Seit dreißig Jahren ist er in der europäischen Politik aktiv, acht Jahre lang war er Chef der EuroGruppe, bei seinem Start als Kommissionspräsident im Vorjahr hatte er sein Team als „letzte Chance für Europa“bezeichnet. Die letzte Chance könnte am Sonntag schon zum letzten Aufgebot werden. „Ein Nein zum Sparprogrammbedeutet ein Nein zu Europa“, warnte Juncker die Griechen vor möglichen Folgen ihrer Entscheidung.
AmSonntag sollen die Griechen in einem Referendum über den jüngsten Sparplan entscheiden. „Ich rufe das griechische Volk auf, mit ,Ja‘ zu stimmen“, appellierte Juncker und erneuerte sein Angebot. Die Tür für weitere Gespräche sei offen, er mahnte aber auch: „Wir sind in der letzten Millisekunde.“Dann attackierte er Tsipras und die griechische Regierung. Das vorliegende Programm sei fair gewesen, kein „stupider Sparplan“. Die Vertreter von EUKommission, Europäischer Zentralbank (EZB) hätten die griechische Regierung von Steuererhöhungen für Reeder überzeugen müssen. Ein harter Vorwurf. Und so ging es weiter. „Dieses Pro- gramm hält keine Lohn- und keine Pensionskürzungen. Vielmehr sei es darauf ausgerichtet gewesen, „mehr soziale Fairness zu schaffen“.
IWF bekommt kein Geld
Es geht um viel. Es geht um den Euro. Und es geht umEuropa. Und so erfolgte eine kleine Tirade gegen Tsipras und eine große europäische Charmeoffensive. Frankreichs Präsident François Hollande wiederholte sein Angebot, im Schuldenstreit zu vermitteln. Doch aus Athen folgte wiederum nur eine Hiobsbotschaft. Griechenland wird nach Angaben eines Regierungsvertreters die heute fällige IWF-Kreditrate von 1,6 Milliarden Euro nicht zahlen (siehe auch Seite 7). Griechenland ist damit das erste Industrieland, das beim IWF in Zahlungsrückstand gerät. Danach läuft auch das Hilfsprogramm der Euro-Partner aus. Offiziell wäre damit auch das letzte Verhandlungsangebot hinfällig. EU-Vertreter signalisierten aber, dass ein drittes Griechenland-Programm auf den jüngsten Verhandlungsergebnissen aufbauen könne. Es sah unter anderem zusätzliche Hilfen von 15,5 Milliarden Euro für das prekäre Griechenland vor. „Ein Grexit ist keine Option“, sagte Juncker. Der Luxemburger schloss seine Rede auf Griechisch: „Griechenland ist Europa. Europa ist Griechenland.“