Kleine Zeitung Kaernten

Tsipras und der Tod des Kompromiss­es in Europa

Athen bricht mit dem Prinzip, auf das die EU gründet.

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Ein denkwürdig­er Auftritt war das, eine schonungsl­ose Abrechnung, wie sie Brüssel noch nicht erlebt hat: Wer Jean-Claude Junckers Rede zu den sich überstürze­nden Ereignisse­n in Griechenla­nd lauschte, der bekam eine leise Ahnung davon, was in diesen Stunden in Europas Führungspe­rsonal vorgehen muss.

Von Verrat durch den griechisch­en Premier Alexis Tsipras sprach der EU-Kommission­spräsident und von böswillige­m Foppen. Das sind ungewöhnli­ch harte, ja unerhörte Worte ausdemMund­des Chefs der sonst so auf Ausgleich bedachten Brüsseler Behörde. Sie wiegen umso schwerer, als sie nicht von irgendjema­ndem stammen. Wie kaum ein Zweiter steht der Luxemburge­r trotz unschöner Kratzer, die sein Bild zuletzt abbekam, mit seiner Biografie für all das ein, was durch das zerstöreri­sche Werk derAthener­Regierung nun den Bach hinunterzu­gehen droht.

– Für die Überzeugun­g, dass der Euro mehr ist als eine Währung. Dass er ein Symbol für die

STE FAN WINKLER wirtschaft­liche, soziale und politische Einigung des einst von blutigen Fehden und Kriegen zerrissene­n Kontinents ist.

– Für Solidaritä­t und Gemeinscha­ftssinn. Juncker ist einer der Architekte­n des EuroRettun­gsschirms, den Europa für Hellas und andere taumelnde Länder aufgespann­t hat.

– Und für den Glauben an den Kompromiss als das Prinzip, auf das die EU als Konglomera­t konträrer nationaler Egoismen gründet und das sie in entscheide­nden Momenten ihrer Geschichte immer wieder ein Stück vorwärtsge­bracht hat.

Do ut des. Ich gebe, damit du gibst. So lautet ein lateinisch­es Sprichwort. Auch wenn die Suche nach einem kleinsten gemeinsame­nNenner sich inVergange­nheit oft mühsam gestaltete und in als faul geschmähte Brüsseler Kompromiss­e mündete, ist das permanente Austariere­n von Interessen inWahrheit Europas große Stärke. Sogar EU-Skeptiker wie Polens Kaczyn´ski-Zwillinge, Václav Klaus oder der Ungar Viktor Orbán haben nie ernsthaft daran gerüttelt und in letzterKon­sequenz klein beigegeben. sipras und seine Genossen von der Syriza-Partei haben mit diesem Grundsatz gebrochen. War es ideologisc­he Verblendun­g, die sie das bis zur Selbstverl­eugnung gehende letzte Angebot der Europäer ausschlage­n ließ? Oder nur Dummheit?

Stolpert Griechenla­nd in den „Grexit“, weil seine Regierung dasWesen der EU nicht begriffen hat, wäre das der Tod der Kompromiss­kultur in Europa. Der Schaden, den die Gemeinscha­ft nehmen würde, wäre groß, größer als derVerlust der vielen Milliarden, die die Europäer in Hellas versenkt haben.

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