Königin Helene I.
Helene Fischer ist ein absolutes Phänomen. Sie macht uns atemlos. Und sie wird heute und morgen rund 90.000 Menschen in dasWiener HappelStadion entführen. Warum nur?
Zwei Mal füllt Helene Fischer das Wiener Happel-Stadion. Vom Versuch, ein schier unglaubliches Phänomen zu deuten.
BERND MELICHAR
Ich stelle mir das so vor: Die vife Helene hockt kurz-, aber nicht allzu frivol berockt auf ihrem güldenen Paradiesvogel, mit dem sie liebend gerne durch die Konzertsäle fliegt, und lächelt erhaben auf uns herab. Auf uns Kritiker und Motzer, auf uns Zweifler und Nörgler, auf uns gestrenge Hüter des guten Geschmacks. Auf uns also, die wir verzweifelt fragen: Warum nur, Helene, warum bist du so unverschämt erfolgreich? Warum sprengst du alle Vorstellungen und Rekorde; alle Grenzen und Gustos; alle Kli- schees und Konventionen? Und Helene, die Vife, antwortet uns vom güldenen Vogel herab: Weil ich es kann, ihr Nörgler und Neider dieser Welt! Weil ich schön bin und blond und talentiert und weil ich tanzen kann und singen und lächeln wie die deutsche Ausgabe aus derCasali-Werbung. Und vor allem deshalb, sagtHelene, weil ich den BiedermeierMief der Schlagerwelt hinter mir gelassen habe und mit strahlendem Lächeln hineingeflogen bin in die lichte Welt des Pop-Business.
Helene Fischer also. Seit 533 Wochen hält sie sich in den Top 100. Mehr als acht MillionenTonträger hat sie verkauft. 44 Mal überreichte ihr die Plattenfirma Gold, zwölf Mal Platin. Auf ihrem Facebook-Account zeigen mehr als 1,5 Millionen Daumen nach oben. Wer Helene Fischer privat hören möchte, sollte 250.000 Euro bereithaben. Wer sie wo auch immer live hört, wird in circa zweieinhalb Stunden mit 21 Songs in fünf Outfits bedient.
Silberne Eisen
Das ist ein Phänomen, das vor allem jene atemlos zurücklässt, die sich dieses Phänomen nicht erklären können. Die Schlagerwelt
schon immer erfolgreich; doch die Eisen, die in diesemHeile-Welt-Kessel geschmiedet wurden, waren meist nur silbern. Helene Fischer hingegen schmiedet Gold. Es mag zwar nur Blattgold sein, aber es glitzert wertvoll.
Glitzer. Das ist das Zauberwort. Es gibt keine Hinterseer-Bergwelten mehr als Dekoration, keine Drews’schen Kornfelder oder Ballermannstrände, schon gar keine roten Rosen in (Roy) Black. Helene Fischer steht nicht für die Enge derHeimat, sondern für die Weite der Pop-Welt. Natürlich sind die Texte der 30-Jährigen unsäglich nichtssagend, aber die Inszenierung hat ganz großes Format. Je greller die Oberfläche blinkt, desto unwichtiger ist der Inhalt.
Nie atemlos
Heute und morgen wird Helene Fischer vor insgesamt rund 90.000 Menschen im Wiener Happel-Stadion auftreten, aufspielen, aufsingen, auftrumpfen. Sie wird wieder einmal eine höchst fulminante Show abliefern, die sehr präzise, sehr professionell und sehr glatt sein wird. Helene Fischer wird in jeder Sekunde dieses Auftrittes hübsch aussehen und keine Sewar kunde lang atemlos wirken; sie wird eine germanische Mainstreamaus Michael Jackson, Madonna und Lady Gaga sein, ohne je an diese heranzureichen, aber auch ohne diese vermissen zu lassen. Vielleicht ist gerade das das große Kunststück: Pop ist, wenn dieKopie populärer als das eigentliche Original ist.
Selbstbewusstsein
All das mag jetzt um einiges böser klingen, als es tatsächlich gemeint ist. Helene Fischer hat die einst hermetische Schlagerwelt, die oft nur mit „pfui gaga“bedachtwurde, salonfähig gemacht. Sie hat sich selbst und vor allem ihre Zuhörer mit viel Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen bestückt.
Das ist ein unbestreitbares Phänomen, das natürlich nicht alle verstehen müssen. Aber es gibt Schlimmeres als „Küsse auf der Haut, so wie ein Liebes-Tattoo, oho, oho“und „Deine Augen ziehen mich aus“. Natürlich gibt es auch schönereWort- und Farbenspiele.
Atemlos durch die Nacht, bis ein neuer Tag erwacht. Atemlos, einfach raus, deine Augen ziehn mich aus! Atemlos durch die Nacht, spür, was Liebe mit uns macht. Atemlos, schwindelfrei, großes Kino für uns zwei.“