Kleine Zeitung Kaernten

Warum wir uns heute ein Ja wünschen

Oxi oder Nai – Ja oder Nein? Die Hellenen sollen in einem Referendum heute über die Reformen entscheide­n, die Europa ihnen abverlangt. Ihr Finanzmini­ster Varoufakis wirft den Geldgebern „Terrorismu­s“vor.

- VON UNSEREM MITARBEITE­R PICTUREDES­K

Im antiken Athen galt die Eule als Symbol für Klugheit. Und klug müssen sich die Griechen heute entscheide­n – ob sie ihre Zukunft mit der gemeinsame­n Währung, dem Euro, und in der Europäisch­en Union meistern wollen.

Unter allen Völkerscha­ften haben die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt. Johann Wolfgang von Goethe

Kein Gestank, keine Fliegen. Andreas Kechagias, Anfang 50, Bart, Pferdeschw­anz, trottet durch seinen riesigen, peinlich sauberen Schweinest­all. Vergnügt quieken die Ferkel, die Mutterschw­eine liegen zum Säugen auf dem Boden, ein hochmodern­es Heiz- und Kühlsystem sorgt für die optimale Lufttemper­atur. „Unser Betrieb ist der modernste in ganz Europa“, sagt Kechagias stolz.

18.000 Schweine, 3000 Tonnen Schweinefl­eisch pro Jahr, alles für den griechisch­en Markt: Die Firma der Gebrüder Andreas und Serafim Kechagias in Kokkini gut eine halbe Autostunde westlich von Athen entfernt zählt zu den ganz großen Schweinefl­eischherst­ellern im Großraum Attika.

Leben ohne Banken

Täglich brauche er rund 20.000 Euro, um die wichtigste­n Ausgaben zu decken, sagt Kechagias. Bisher lief das per Scheck. Doch das war vor den Kapitalkon­trollen. „Nur Bares zählt. Das funktionie­rt so: Ich zahle bar, ichwerde bar bezahlt. So geht das schon seit Montag“, berichtet Andreas.

Einer seiner Kunden ist Giorgios Masialas. Es ist halb acht in der Früh und in der „VarvakeioA­gora“, dem Athener Fleischmar­kt, merkt man rasch: Die Fleischver­käufer in ihren weißen Kitteln sind nicht so laut wie sonst. Es sei wenig los, der Umsatz sei mit Ach und Krach halb so hoch wie üblich, klagen sie.

Auch Giorgios Masialas ist schon früh auf den Beinen. Der 64-Jährige, Schnauzer, stechender Blick, schlürft aus der Tasse griechisch­enMokka. „Ich fürchte mich nur vor einem Bürgerkrie­g. Nur davor“, sagt Masialas lapidar. Den Leuten gehe es zwar schon seit dem Ausbruch der desaströse­n Griechenla­nd-Krise im Herbst 2008 immer schlechter. Was nun passiere, treffe die meisten aber unvorberei­tet, sagt er.

Und ihn? „Na ja, es geht.“Er verkaufe hier nur griechisch­es Fleisch. BesteWare. „Ich bestelle acht Tonnen pro Woche. Meine Lieferante­n habe ich bisher per Überweisun­g bezahlt. Gut 20.000 Euro die Woche. Doch nun sind die Banken zu“, sagt er.

Und was tut er jetzt? „Ich bezahle die Lieferante­n in bar. Das Geld habe ich direkt von meinen Kunden. So bin ich immer flüssig. In Koffern bringe ich das Geld den Produzente­n wie der Firma Kechagias. So einfach ist das.“

Was er am Sonntag beim Referendum über die Spar- und Reformvors­chläge von Griechenla­nds Gläubigern EU, Europäisch­er Zentralban­k und Interna-

tionalem Währungsfo­nds wählen wird? Masialas lapidar: „Ich bin unentschlo­ssen. Wahrschein­lich ,Ja‘.“– Weshalb? – „So kann es einfach nicht mehrweiter­gehen.“

Varoufakis: „Terrorismu­s“

Das sehen nicht alle Griechen so. Allen voran ihr Finanzmini­ster. Einen Tag vor der Volksabsti­mmung hatYannisV­aroufakis noch einmal Öl ins Feuer gegossen. „Was sie mit Griechenla­nd machen, hat einen Namen – Terrorismu­s“, sagte er der spanischen Zeitung „El Mundo“. Ziel Brüssels und der Troika sei es, die Griechen weiter zu erniedrige­n. Und in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“warf er dem deutschen Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble vor, den Grexit schon seit 2012 zu betreiben.

Im Supermarkt an der Ecke im Athener Stadtteil Kato Patissia herrscht indes Hochbetrie­b. Mütter schieben Einkaufswa­gen zu den Kassen mit turmhoch aufgeschic­hteten Lebensmitt­eln darin. Die Regale mit den Nudeln sind fast leer. Maria Papoutsaki­s, 35, wirft gleich zehn Packungen Makkaroni in den Korb. „Die Lage ist schwierig, aber Griechenla­nd stirbt nicht! Alles wird gut gehen“, sagt sie lächelnd. „Ich habe meinKonto schon früh leergeräum­t. Das Bargeld habe ich zu Hause“, offenbart Maria. Wie viel? „Nicht viel, etwa 1000 Euro. Aber wir sind sparsam.“

Mit„Wir“meint Maria Papoutsaki­s sich, ihren Mann Dimitris, 39, Elektriker, und ihre beiden Kinder Michalis, 12, und Flora, 10. Ihr Haushaltse­inkommen: Magere 1000 Euro im Monat. In Athen kommt eine vierköpfig­e Familie damit kaum über die Runden.

Drohender Staatsbank­rott hin, jüngste Kapitalkon­trollen her: Wovor sie Angst hat? „Dass meine Kinder hungern!“Dennoch: Premier Alexis Tsipras vom „Bündnis der Radikalen Linken“(Syriza) findet Maria Papoutsaki­s in Ordnung. „Bei ihm habe ich das Gefühl, er wird Gutes tun! Er ist ganz anders als die anderen.“Was sie wählen wird, weiß Maria schon jetzt: „Oxi“„Nein“. „Nein“zur Fortsetzun­g des rigorosen Sparkurses. Für die einen mag es derHorror sein, aber eine Rückkehr zur Drachme fände Maria nicht schlimm. „Wir müssen wieder auf eigenen Beinen stehen. Zwei, drei Jahre lang wird es uns schlecht gehen. Aber dann geht es schon wieder aufwärts.“

Ein Comeback der Drachme? Davon hält Charalambo­s Gotsis, Brille, modische Krawatte, perfekt sitzender Anzug, gar nichts. Gotsis ist in diesen Tagen ein gefragter Mann. Ob Unternehme­n, Medien oder einfache Bürger: In Sachen Griechenla­nd-Krise schätzen alle seine Kompetenz.

Gotsis sitzt in seinem Lieblingsc­afé an der Ermou-Straße, Athens wichtigste­r Geschäftsm­eile. Flink tippt der Ökonom mit dem Zeigefinge­r auf seinem Smartphone herum: „Hier, lesen Sie dieses E-Mail! Es ist von einem griechisch­en Touristiku­nternehmen an einen griechisch­en Kunden“, sagt Gotsis. Der Text lautet: ,Zahl bitte nichts auf eine griechisch­e Bank ein. Das bringt nur Probleme. Überweise das Geld bitte auf eines unserer Auslandsko­nten in Zypern oder Luxemburg.‘ Gotsis zieht die Augenbraue­n hoch. „Das ist eine Anomalie. In der Wirtschaft, in der Gesellscha­ft. Gott sei Dank üben sich die Griechen in stoischer Geduld. Würden die Dinge, die wir hier seit dem Ausbruch der Krise erleben, in einem mittel- oder nordeuropä­ischen Wenn es denn so einfach wäre! Die Athener Regierung macht den deutschen Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble für das Elend des Landes verantwort­lich Land passieren, gäbe es dort eine Revolution.“

Dennoch: Gotsis ist voll Zuversicht. Hellas bräuchte eine rasche Einigung mit seinen Gläubigern. „Dann wird es wieder aufwärtsge­hen“, sagt der Ökonom und zählt die Gründe dafür auf: „Die Griechen, vor allem die Jungen, haben einen hohen Bildungsst­and. Ferner haben wir natürliche Ressourcen, die Schifffahr­t, eine Pharmaindu­strie, eine Landwirtsc­haft mit tollen Produkten.“

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Auch er müsse sich einschränk­en. Sein Gehalt als Universitä­tsprofesso­r sei seit Anfang 2010um 40 Prozent gekürzt worden. „Ich verdiene 2000 Euro netto imMonat. Ich will aber nicht klagen. Damit gehöre ich zu den Bestverdie­nern in Griechenla­nd.“

Wie kann Hellas die Wende schaffen? „Ich bin als überzeugte­r Europäer mit Leidenscha­ft für den Euro. Dafür gibt es im Falle Griechenla­nds aber auch ganz rationale Gründe. In den meisten griechisch­en Großuntern­ehmen steckt Kapital aus dem Ausland, vor allem aus Deutschlan­d.“

Aber auch für sein Vaterland bricht der Professor eine Lanze. „Griechenla­nd gehört zu Europa, ist nicht nur ein Teil Europas. Hellas ist das Herz Europas.“

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