Mit Odysseus auf der Suche nachdemEuro
Auf den griechischen Inseln merken Touristen nicht viel von der Krise. Doch die Insulaner treibt die Sorge um: Wie soll man den letzen sicheren Hafen Tourismus sichern – ohne Geld.
Ein stattliches Mannsbild ist er immer noch, wenngleich die salzigeMeeresluft seine Bartspitzen zersetzt: Aufrecht und stolz überblickt Odysseus die Bucht von Vathi, die sich sichelförmig, in glitzerndem Blau und betörendem Türkis tief ins Innere der Insel schmiegt. Als der große Seefahrer, listigeKrieger, Held der Antike einst hier von seinem Vater Laertes dieHerrschaft über Ithaka übernahm, war das Blau wohl so tief, der Bart noch intakt. Doch dass zu seinen Füßen ein Gewusel herrschte wie heute im Hafen von Vathi, ist ihm nicht zu wünschen.
Keine zwanzig Meter von der bronzenen Büste des Odysseus entfernt rangeln die Seefahrer von heute um den besten Anlegeplatz an der Pier. „Haut ab, da vorne liegt schon mein Anker!“, brüllt ein Holländer einlaufenden Jachtcrews entgegen. „Lass Kette, schneller, schneller, mach schon!“, macht ein britischer Freizeitkapitän Neuankömmlingen mit seinen Ratschlägen das Seglerleben schwer. Urlaubsmatrosen und -matrosinnen schlürfen im Kafeneion an der Mole Ouzo undNescafé Frappé, sie bestaunen das Hafenkino, das ihnen hier geboten wird. Die, die bald wieder auslaufen, schleppen frischen Proviant – Retsina, gekühltes Bier, Fleisch, Tomaten, Feta – vom Minimarket zum Schiff.
In der Bäckerei duftet es nach Zimt und Honig. Hier buhlen nussiges Baklava, üppige Schokotorten und Cremegebäck, Sesamkringel und weiße Wecken in zehnerlei Ausführung um Aufmerksamkeit. An blau-weiß karierten Tischen daneben zerlegen Hungrige ihrenWolfsbarsch, es duftet würzig nach Moussaka und gegrillten Auberginen. Krise in Griechenland? „Merkt man gar nichts davon“, meint ein blau-gestreifter Neuzeit-Odysseus aus Linz. Leere Regale, Plünderungen, Warteschlangen vor den Banken? Fehlanzeige. Treibstoffengpass? Nicht in Ithaka. Der Bankomat speit wie gewohnt für Urlauber in Shopping-Laune Euro-Scheine aus dem Rachen.
Für die Einheimischen ist das anders. Sie sind nachdenklich, ratlos, gespalten, manche wütend. Vor allemKostas. „DassTsipras ausgerechnet jetzt, zur Hochsaison, alles platzen lässt, ist ein Wahnsinn“, schimpft der Grieche, der Segeljachten an Touristen verchartert. Das Referendum hält er für eine Schnapsidee. „Wie sollen Leute wie meine Großmutter am Sonntag entscheiden, was gut für unser Land ist, wenn nicht einmal der Regierungschef nach einem halben Jahr Verhandlungen in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen?“, wettert er Richtung Athen.
Verheerende Umstände
Die
Lebensumstände
auf dem Festland seien bereits verheerend, hier auf den Inseln halten der Tourismus und die Euros der Urlauber die Menschen über Wasser. „Das dürfen wir nicht auch noch riskieren – es muss einen Deal mit Europa geben!“, fordert Kostas. Die Chefin des Minimarkts rätselt, wie sie neue Lebensmittel bei den Lieferanten bestellen soll, wenn ihr die Bank kein Geld vorstreckt. Der Tavernenpatriarch fürchtet um die Zukunft seiner Kinder: „Besser, wie