Die britische Art, einen Sport zu lieben
Im Gegensatz zu anderen GP-Strecken ist Silverstone auch heuer ausverkauft. Der Brite ist mehr Race-Fan als Heldenverehrer.
Die Geduld der Briten ist sprichwörtlich. Stundenlang stellen sie sich an den Kassen des Silverstone Circuits, dem „Home of British Motorsports“, wie über den Einfahrtstoren zu lesen ist, an. Statt „Public Viewing“ist hier „Public Queueing“angesagt – ruhiges, öffentliches Anstellen in einer Menschenschlange, und keiner schwindelt sich nach vorne wie bei uns zu Zeiten der Schlepplifte. as Phänomen ist: Während andere Grand-Prix-Austragungsorte Zuschauer verlieren (der Red-Bull-Ring im Vergleich zumVorjahr nahezu 100.000), ist Silverstone auch heuer ausverkauft. Warum hält sich der Schwund der Fans in Grenzen bzw. ist überhaupt nicht feststellbar? Der Brite hat ein anderesVerständnis zu seinem Sport. Er liebt den Sport an sich und hält sich bei der Heldenverehrung etwas zurück.
DRund 30 Grad sind heute in Northamptonshire angesagt, die Party im eigenen Garten wird einfach auf dieWiesen des ehemaligen Flugfeldes der Royal Air Force verlegt. Rund 120.000 Menschen sollen sich heute rund um den 5,8 km langen Kurs aufhalten, ihr Pint Lager oder Ale schlürfen und sich Fish & Chips reindrücken. Zum Vergleich: In Spielberg delektierten sich heuer rund 55.000 an Currywurst und Bier. ahr für Jahr pilgert der Brite zu seinem Grand Prix. Im gleichen Stil aber auch insWembley-Stadion, nach Wimbledon und nach Ascot, Hunderttausende stehen am Ufer der Themse,
Jwenn sich zweiUniversitäts-Ruderboote duellieren. Der Brite ist ein leidenschaftlicher Fan, egal in welcher Sportart. Nach seiner 46. Pole-Position am Samstag ist Lewis Hamilton heute freilich der ganz große Favorit. Ihm werden seine Anhänger, die auf dem Campingplatz ihren ganz persönlichen Hamiltonabgesteckt haben, auch entsprechend huldigen. Auch wenn Lewis Hamilton in England polarisiert. Denn manchen ist sein popstarhaftes Auftreten zu viel des Guten. Diese halten es mit Jenson Button, dessen mittlerweile verstorbener Vater aus der bodenständigeren Rallycross-Szene gekommen ist.
fühlt sich für den Imageverlust der Formel 1 mitverantwortlich
Beiden Lagern ist die Hingabe zum Motorsport gemein. Sie lieben Racing. Das könnte vermutlich der große Unterschied sein. Denn im Vorfeld des Österreich-GP vor zwei Wochen begründeten viele Experten wie Gerhard Berger den Fan-Abgang mit dem Fehlen eines Nationalhelden in der Formel 1. Dieser Ansatz mag stimmen. Denn der Motorsport-Hype begann bei uns mit Jochen Rindt, der Tennis-Boom mit Thomas Musters Paris-Sieg.
Komisch nur, dass diese Rechnung in Deutschland so gar nicht aufgeht. Auch wenn Sebastian Vettel vier Mal Weltmeister geworden ist, vermag er nicht die Massen zu mobilisieren wie einst Michael Schumacher. Auch die Mercedes-Dominanz gewinnt keine neuen Formel-1-Anhänger. Deshalb kann sich Deutschland keinen GP mehr leisten.
GERHARD HOFSTÄDTER