Kleine Zeitung Kaernten

Pulverfass.

Ist Frieden in Syrien überhaupt denkbar? Die Nahost-Expertin Karin Kneissl über Chancen und Stolperste­ine bei der Lösung des Konflikts.

- INTERVIEW: NINA KOREN

Iran unterstütz­t nun Russlands Angriffe in Syrien. Unterdesse­n wird die Kritik am Vorgehen immer lauter.

Russland trumpft derzeit mit Luftangrif­fen in Syrien auf. Ist Russland dabei, den Konflikt weiter zu eskalieren?

KARIN KNEISSL: Auch die USA können es sich derzeit nicht leisten, eine größere Konfrontat­ion mit den Russen vom Zaun zu brechen. Deswegen glaube ich nicht, dass die Lage weiter eskaliert. Putin geht es um seine Rückkehr als geopolitis­chen Macher, nachdem er wegen des Ukraine-Konflikts ins Abseits geraten war.

Wird eine Lösung der SyrienKris­e dadurch nicht erschwert?

KNEISSL: Putin bringt diplomatis­che Dynamik ins syrische Patt, da er mit allen Regionalmä­chten verhandelt. Bisher hatten wir einen Zermürbung­skrieg um jeden Meter. Jetzt ist in dieser absolut verfahrene­n Situation zumindest Bewegung entstanden. Was dabei herauskomm­t, ist abzuwarten.

Syrien wird zum Schlüssels­taat für Europa – weil immer mehr Flüchtling­e von dort kommen. Ist der Krieg in Syrien lösbar?

KNEISSL: Die Geschichte zeigt leider, dass die meisten Kriege erst dann ein Ende fanden, wenn alle Kriegspart­eien erschöpft waren. Diese Erschöpfun­g ist im Nahen Osten offensicht­lich noch nicht eingetrete­n – obwohl wir mit 240.000 Toten grauenhaft­e Opferzahle­n haben.

Auf diplomatis­chem Wege ließe sich der Konflikt nicht lösen?

KNEISSL: Ich kann es mir derzeit schwer vorstellen. Wir haben in Syrien mittlerwei­le so viele verfeindet­e Konfliktpa­rteien mit so vielen Stellvertr­etern im Hintergrun­d, dass man die kaum an einen Konferenzt­isch bekommen wird. Dazu gehören nicht nur die Kriegspart­eien in Syrien – ob das jetzt die Freie Syrische Armee ist, die vielen Opposition­skräfte oder die Regierung –, sondern auch die Geldgeber im Hintergrun­d: die türkische Regierung, die Saudis und die Katarer, der Iran.

Russland und die USA streiten nicht nur über die Luftangrif­fe, sondern auch über die künftige Rolle Assads. Moskau und Teheran wollen den bisherigen Machthaber halten, US-Präsident Obama kann sich keine Zukunft Syriens mit dem Tyrannen vorstellen.

KNEISSL: Es ist ein Fehler, auf seinem Abgang zu bestehen. Assad ist zwar sehr geschwächt, aber immer noch da. Es stehen immer noch 20 Prozent der Bevölkerun­g hinter ihm. Die Diplomatie lehrt uns, dass man für eine Friedenslö­sung mit allen auf gleicher Augenhöhe verhandeln muss.

Assads Armee hat Flächenbom­ben abgeworfen und Giftgas eingesetzt. Viele halten ihn für eine größere Bedrohung für die Zivilbevöl­kerung als den IS.

KNEISSL: Ich halte das für eine Fehleinsch­ätzung. Ob er den Befehl für Giftgasang­riffe gegeben hat, ist nicht bewiesen. Die Israelis verharmlos­en den IS und sagen, er sei nicht so schlimm wie die Hisbollah und der Iran, und im Libanon unterstütz­en viele Sunniten den IS, weil sie eine tief sitzende Abscheu gegenüber den Schiiten haben – und die Alawiten Assads werden als Schiiten gesehen.

Wäre es nicht sinnvoll, zu versuchen, zumindest die beiden Hauptkontr­ahenten – den schiitisch­en Iran und das sunnitisch­e Königreich Saudi-Arabien – an einen Tisch zu bringen?

KNEISSL: Sinnvoll wäre es. Es geht nur mit den Saudis und den Iranern, weil es eben diese beiden Erzrivalen sind, die in Syrien um die Macht kämpfen – mit allem, was dazugehört. Ich glaube allerdings nicht, dass die Europäer solche Gespräche durchsetze­n können. Ich sehe keine große EUInitiati­ve, und ich habe im Nahen Osten auch noch nie den Ansatz einer europäisch­en Außenpolit­ik erkennen können – weil auch hier die alten Interessen nachwirken.

Trotz des militärisc­hen Patts auf dem Schlachtfe­ld in Syrien ist doch weltpoliti­sch einiges in Bewegung geraten – etwa die Annäherung USA – Iran. Sind die Chancen für eine Lösung des SyrienKonf­likts nicht gestiegen?

KNEISSL: Es stimmt, dass die Teheran-Washington-Annäherung die Tektonik verschoben hat, aber sie ist bereits seit 2012 im Gange. Die USA und die Iraner sprechen über vieles, aber sie haben sehr unterschie­dliche Vorstellun­gen. Es gibt zumindest eine indirekte militärisc­he Kooperatio­n zwischen den USA und dem Iran. Seit über einem Jahr kämpfen iranische Paramilitä­rs im Irak und in Syrien die proiranisc­he Hisbollah gegen den IS – und die USA bombardier­en aus der Luft.

Dass Deutschlan­d jetzt so stark von den Flüchtling­sbewegunge­n betroffen ist, könnte doch auch einen positiven Effekt haben – immerhin ist Berlin tendenziel­l in der Lage, etwas durchzuset­zen.

KNEISSL: Gerade im Nahen Osten sehe ich keine deutsche Diplomatie. Syrien ist immer noch eine Art Hinterhof der Franzosen und der Briten. Das hat viel mit der Kolonialze­it zu tun.

Die Österreich­er waren im Nahen Osten doch auch einmal diplomatis­ch tätig.

KNEISSL: Da war ich ein Kind und Sie noch nicht geboren. Heute werden wir nicht mehr in dieser Rolle wahrgenomm­en. Dass wir nur kommen und diskret vermitteln – so funktionie­rt das nicht mehr. Dafür brauchen Sie schon ein gutes Team und das sehe ich nicht.

Gibt es irgendetwa­s, was die Kriegspart­eien locken könnte, Frieden zu schließen?

KNEISSL: Die Saudis als sunnitisch­e Großmacht wie die übrigen Araber haben ein ganz besonderes Interesse an Damaskus, weil die Stadt in der arabischen Geschichts­schreibung immer eine gewaltige Rolle gespielt hat. Wer in Damaskus mitmischt, schreibt Geschichte. Mit Argumenten wie dem menschlich­en Leid ist da keiner zu beeindruck­en.

Wenn der Ölpreis noch weiter sinkt, könnte das die Saudis doch zu mehr Zurückhalt­ung zwingen. Und auch Russland.

KNEISSL: Das ist auch meine Hoffnung. Dann können sich gewisse Leute bestimmte Abenteuer und Brutalität­en nicht mehr leisten.

Die Lage ist in Ihren Augen also fast, aber nicht ganz hoffnungsl­os.

KNEISSL: Wenn man etwas erreichen will, muss man einen klugen Vermittler hinter die Kulissen schicken, der über Autorität verfügt und von allen als Unbeteilig­ter anerkannt wird. Das sind nicht die Briten oder Franzosen, weil sie im Iran und in Saudi-Arabien ÖlInteress­en haben. In der Vergangenh­eit gingen größere Initiative­n von Norwegen und Schweden aus.

Wer könnte so ein Makler sein?

KNEISSL: Ich weiß es nicht.

UN-Chef Ban Ki-moon?

KNEISSL: Nein, eine starke Position hatte sein Vorgänger Kofi Annan, aber die Großmächte ließen ihn als Vermittler im Syrien-Konflikt im Regen stehen. Ban Kimoon hat nicht diese Persönlich­keit. Bitte nicht Frau Mogherini. Das bringt nichts.

Weil die EU-Außenbeauf­tragte nicht als unabhängig­er Makler gesehen wird?

KNEISSL: Wenn Mogherini vermittelt, hat sie 15 Anrufer im Genick – von Hollande bis Cameron –, die ihr sagen, was sie gerne hätten. Das ist das Dilemma der nicht existenten europäisch­en Außenpolit­ik. Kofi Annan ist in meinen Augen der beste Vermittler, und er wird ernst genommen. Den müsste man anrufen.

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Russland hat sich mit den Luftangrif­fen in Syrien wieder als wichtiger Faktor im
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APA, HOFFMANN Nahen Osten etabliert

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