Sein letztes Gefecht
Eines ist gewiss: Nächsten Sonntag schlägt der Wiener Bürgermeister Michael Häupl seine letzte Wahl. Der 66-Jährige kämpft um den Erhalt der letzten Festung der SPÖ. Sie droht zu zerfallen. Anatomie des roten Wien, in dem Stadt und Partei zu einem feudale
Die Österreicher werden Wien und die Wiener nie verstehen. Die Österreicher werden auch Michael Häupl nie verstehen. Nur die Niederösterreicher, die haben eine leise Ahnung von den Wienern. So wie Erwin Pröll von Michael Häupl. Wien ist auch nicht richtig Österreich, sondern eine zu groß geplante und geratene städtische Insel.
Das wäre einmal die Sache mit dem Schmäh, mit dem Grant, mit dem Zynismus, der gepflegten Bösartigkeit. Wenn man eine echte Großstadt daran erkennt, dass sie schlechte Eigenschaften ihrer Bewohner kultiviert und stolz kommuniziert, wie etwa New York den Stress und den Egoismus seiner Bürger, dann ist Wien Welthauptstadt. In der veröffent- lichten Meinung sind sie grantig und mit einem rabenschwarzen Humor gesegnet. Dass Ersteres zum Glück, Zweiteres leider nicht stimmt, macht nichts. In Wien lebt nämlich längst ein sehr hoher Anteil von Nicht-Wienern, der über kurz oder lang immer versucht, in seine ehemalige Heimat zurückzukehren oder zumindest raus ins Grüne zu ziehen. Oder wenigstens davon träumt.
M ichael Häupl ist der oberste Wiener. Sein Schmäh, sein Zynismus, den er selbst so nie bezeichnen würde, sind legendär. Viele Zeitgenossen gehen ihm auf die Nerven, blöde Journalistenfragen ebenso. Abgehobenheit werfen ihm nicht nur seine Gegner vor. Aber das ist auch die andere Seite des Wien-Klischees: der Charme, die Fähigkeit zur dialektischen Kommunikation, die mit einem
Wein oder zwei noch stärker zum Vorschein kommt. All das hat Michael Häupl im kleinen Finger.
„Über Nacht Weltstadt!“titelten wir in der „Presse am Sonntag“vor einigen Monaten über den Boom, den Wien in den vergangenen Jahren erlebt hat. Mehr dank EU-Ostöffnung denn kluger SPÖ-Politik hat Wien seit zehn, 20 Jahren einen unglaublichen Aufschwung erlebt: Jahr für Jahr wächst die Stadt um eine Kleinstadt, vor allem aus Deutschland und den Bundesländern strömen Studenten nach Wien und bleiben zum Teil. Die befürchtete Abwanderung von Konzernzentralen nach Mittelund Osteuropa passierte nicht wie befürchtet (Dafür kann sich die Stadt loben.) Und das gelang wohl auch, weil die in Wien stationierten Manager mit Zähnen und Klauen um den Standort und ihren privaten Wohnort kämpften, (Privat-)Schulen, Grüngürtel, Immobilienpreise und sanftes Nachtleben sind in der Lebensqualität-Kombination tatsächlich unschlagbar. Vor allem aber: Nach 2008 pumpte die RathausSPÖ Geld in das Sozialsystem und Teile der städtischen Infrastruktur, als gäbe es kein Morgen. Schuldenberg wuchs, die gute Stimmung in der Stadt mit ihm. Der Bürgermeister schläft besser mit ein paar Milliarden Schulden als mit Wienern ohne Mindestsicherung. Deren Bezug seit einiger Zeit schärfer kontrolliert wird. Und siehe da! Es kostete tatsächlich weniger.
A ls lokaler Bruno Kreisky inszeniert sich der Bürgermeister tatsächlich gerne. Geld wird breit verteilt in Wien. Man muss sich etwa als Kulturschaffender ziemlich blöd anstellen, um keine Subventionen zu ergattern. Selbst die Bezirke – eigentlich nur für die unmittelbare Verwaltung und Organisation zuständig – schütten Geld an sonderbare Vereine aus, die häufig in einem Naheverhältnis zu Parteien – allen voran natürlich der SPÖ – stehen. Der Effekt: Viele Jobs, viel Einfluss, viel ZuAchtel friedenheit und viele Schulden. Dass irgendwann jemand die Zeche bezahlen wird müssen und keine Phase der Hochkonjunktur in Sicht ist, hört man in Wien nur selten.
I nteressanterweise wurden das Bevölkerungswachstum und der teuer bezahlte Boom der Stadt von den Stadt-PR-Experten nie so deutlich kommuniziert. Zwar wird jedes Lebensqualitätsranking gefeiert, jedes Detail von Wo-leben-Managergerne-Umfragen in die Welt posaunt. Aber die Zuwachsraten von 25.000 neuen Wienern wurden dezent behandelt. Warum? Die Stadtpolitik fürchtete die Furcht der Wiener. So viele Menschen bedeuten doch auch mehr Konkurrenz um Jobs, Sozialleistungen und Wohnraum? Hilft doch nur der FPÖ. Also wurden ausgerechnet in der Stadt – neDer ben dem armen Berlin – mit dem größten Boom und dem vergleichsweise kleinen PR-Etat die goldenen Jahre heruntergespielt. Und tatsächlich: Wer durch bestimmte Gegenden Wiens spaziert, etwa durch Favoriten, bemerkt wenig von Wohlstand und Zufriedenheit, sondern sieht leer stehende Läden und überholungsbedürftige Infrastruktur. Höflich formuliert. Und auch das viel gepriesene multikulturelle Wien ist in nicht wenigen Grätzeln Wiens eine Illusion: Es wird dort monokulturell, nämlich türkisch. Das ist in vielen europäischen Städten so, in Wien redet man nur nicht so laut darüber. Bis auf einen: Heinz-Christian Strache, der nicht weit vom heutigen Presse-Hauptquartier in der Hainburger Straße aufwuchs, erkennt in jedem KebabImbiss eine gefährliche Stätte der Islamisierung. Die Freiheitlichen wuchsen in Wien auch deswegen so stark, da über Jahrzehnte echte Integrationsprobleme unter den Tisch gekehrt worden sind. Erst in den vergangenen Jahren wurden diese blinden Flecken der Stadtregierung beseitigt, erst seit wenigen Jahren
gibt es spezielle Deutschkurse für Mütter aus islamischen beziehungsweise türkischstämmigen Familien – für die, die meist ohne berufliche Anbindung vergessen wurde, mit allen entsprechenden negativen Folgen für die Integration aller Familienmitglieder. Es wurde viel verschlafen. Zu viel.
W ien ist auch die Stadt Werner Faymanns, hier wurde er groß, hier baute er sein Netzwerk, sein mediales System auf, hier wollte er eigentlich Bürgermeister werden. Hier scheiterte er an Michael Häupl. Des Kanzlers Rückhalt in der Wiener Landesorganisation wird oft unterschätzt, dabei pflegen er und seine Vertrauensleute bestimmte Bezirksorganisationen intensiv und effizient. Die großen Flächenbezirke, die die Café-Latte-ohne-LactoseFraktion nur vom Vorbeifahren auf der Südosttangente kennt und sie daher auch so nennt: die Tangentenbezirke Favoriten, Simmering, Liesing, Donaustadt und so weiter. In diesen eigenen Städten kennt man kaum Grüne, aber dafür starke Freiheitliche. Und Sozialdemokraten, die sich mit denen auf Bezirksebene arrangieren müssen. Die rot-grüne Koalition kommt in diesen Gegenden alles andere als gut an: Die Innenstadt-Grünen verpulvern das Geld für Prestigeprojekte wie die Mariahilfer-StraßeFußgängerzone, für Ampelpärchen und für bunte Fahrradwege und was machen die Wiener SPÖ und der mächtige Bürgermeister? Schauen dabei zu und vergessen die Wähler draußen in der Stadt. Sagt die Vox Populi. Auch das kleine ideologische Minenfeld mit dem sperrigen Titel „Parkraumbewirtschaftung“macht in diesen Bezirken RotGrün keine Freunde. Das Signal lautet klar: Bleibt bei euch oder nehmt die U-Bahn, wenn ihr eine in der Nähe habt. Mit dem Pkw dürft ihr nicht in unsere bessere Stadt . . .
A ber zurück zu Werner Faymann, der in Wien als Wohnbaustadtrat ein besonderes Faible für Medien hatte. Gemeinsam mit seinem damaligen Bürochef Josef Ostermayer tourte er durch Wien, hörte Jour- zu und verstand das Problem einer schwierigen Finanzierung von Zeitungen schneller als so mancher Medienmanager. Es war Faymann, der als Stadtrat die Politik by Inserateschaltung – die gab es natürlich schon und Michael Häupl schätzt sie bis heute – zur Perfektion trieb. Die „Krone“, später auch „News“und viel später „Österreich“wurden gebucht, als müsste die Stadt Lebensmittel in Supermärkten an den Mann bringen. In seinem Umfeld passierte sogar eine Zeitungsgründung wie von Geisterhand. Eine Stadt-Mieter-Zeitung wurde geschlossen, Geschäftsführung mit Faymann-Nähe und Teile der Redaktion tauchten danach plötzlich als Gründungsmannschaft mit großer Anschubfinanzierung einer Gratis-UBahn-Zeitung wieder auf.
B is heute wird „Heute“als gut gemachter Begleiter der Stadt und ihrer Politik gratis verteilt und viel gelesen. Dahinter steckt eine Stiftung mit SP-nahen Honoratoren. Die Chefin heißt Eva Dichand und ihr Mann Christoph ist der KroneTeileigentümer. Treffen mit den beiden sind für Mitglieder der Stadtregierung wichtiger als die Auftritte im Gemeinderat. Dass in der Schlussphase des Wiener Wahlkampfs der ein oder andere Giftpfeil aus der Krone-Redaktion das Rathaus traf, gehört zum seltsamen Machtspiel zwischen den Dichands und dem Team Häupl. Sonst gibt es natürlich auch viel Lob für Häupl und Co. Bis heute inserieren die Stadt Wien und ihre Betriebe mehr als jede andere Landesregierung in Österreich. Das hilft vor allem auch den drei Boulevardzeitungen in Wien. 15,12 Euro gab die Stadt im Vorjahr pro Kopf für Werbung aus. Zum Vergleich: In der Steiermark waren es laut einer Aufstellung des Magazins „profil“0,78 Euro. Die Stadt Wien hat allerdings wesentlich mehr Unternehmen im Eigentum, deren Privatisierung übrigens nicht einmal die Oppositionsparteien fordern. Eine Form der Presseförderung in einer Stadt, der Medienvielfalt wichtig sei, nennt es das Rathaus. Die Neos und Kritiker sprechen von Manipulation und Korruption. Zur Transparenz: „Die Presse“bekommt wie ihr direkter Mitbewerber „Der Standard“ebenfalls Inserate der Stadt.
Das Verhältnis zwischen Faynalisten mann und Häupl ist schwierig bis zerrüttet. Schon früh beobachtete der Bürgermeister den ehrgeizigen Stadtrat mit seinen engen Kontakten zur Familie Dichand mit Argwohn. Schon vor zehn Jahren gab es einen Machtkampf um die potenzielle Häupl-Nachfolge zwischen dem Stadtrat aus Wien-Liesing und der mächtigen Häupl-Vertrauten Renate Brauner, die mit konsequenter Frauenpolitik und einer der wenigen Sparmaßnahmen die Gewerkschaft gegen sich aufbrachte. Das Duell endete mit einem „Unentschieden“, da Faymann Alfred Gusenbauer mit Duldung Michael Häupls aus dem Kanzleramt rempelte. Noch Jahre später ging immer wieder das lustige Gerücht durch das Rathaus, Faymann würde gerne als Bürgermeister zurückkehren. Das dürfte wohl vorbei sein. In den vergangenen Jahren wurde das Verhältnis der beiden wichtigsten Sozialdemokraten im Lande noch kühler, die Kritik an der Performance der Faymann-Regierung wird zwar nicht offiziell geäußert – das ist die Spezialität der ÖVP –, aber unter Genossen deftig formuliert. Einen echten Versuch, Faymann auszutauschen,
Häupl im vergangenen Jahr nicht, er habe die Lage sondiert, hieß es, dann aber wieder Abstand davon genommen. Er wolle vor seiner Gemeinderatswahl keine Wellen.
Viele im Wiener Rathaus meinen, Michael Häupl hätte im Frühling wählen lassen wollen, dann wäre die rot-grüne Welt heil geblieben. So drohe nach der NS-Zeit erstmals der Fall des roten Wien. Tatsächlich ist das Duell zwischen Häupl und Strache ernster.
I n den ernst zu nehmenden Umfragen liegen die beiden Parteien nahe beieinander. Es ist dies meine vierte Gemeinderatswahl, die ich als Journalist beobachte und in der „Presse“beschreibe. Noch nie waren die SPÖ und das Rathaus panisch. Jetzt sind sie es zum ersten Mal. Auch vor dem Sommer hätten der SPÖ massive Verluste gedroht. Aber vor dem Sommer konnte die FPÖ nicht so mobilisieren. Denn die Flüchtlingskrise und der Erfolg in Oberösterreich bringen den Freiheitlichen offenbar massiv Stimmen. „Wenn du an der Wand stehst, hältst du den Rücken gerade“, schrieb unsere Wien-Chefin Ulrike Weiser über Michael Häupl, der aus der Not eine Tugend machte. Während die Bundesregierung auf Tauchstation, die Innenministerin allein und überfordert stand, Strache vor dem Zustrom an Flüchtlingen lautstark warnte, hielt er dagegen. Häupl gab die österreichische Angela Merkel und sagte laut und deutlich: „Wien schafft das.“Mit Flüchtlingskoordinator Peter Hacker hat Häupl tatsächlich einen Krisenmanager, der das kann. Als die ersten Züge aus Ungarn am West- und Hauptbahnhof ankamen, waren Hunderte Wiener zum Helfen gekommen, hatten auch atmosphärisch im Mikrokosmos der Stadt etwas bewegt. Vielleicht nur für ein paar Wochen. Häupl erkannte das als Erster und setzt in der letzten Woche seines Wahlkampfes auf eine skurrile, aber möglicherweise effiziente Strategie: Er will mithilfe versprengter bürgerlicher Wähler den Platz eins klar verteidigen. Und die frustrierten Linken endlich wieder einmal mobilisieren. Potenzielle Grün-, Neos-, ÖVP- und Nicht-Wähler sollen den SPÖ-Verlust an die FPÖ wenigstens zum Teil wettmachen. Die Vorstellung, Heinz-Christian Strache könnte ernsthaft Bürgerunternahm meister werden, soll auch ängstliche Mittelschichts-Akademiker, Josefstädter, Mariahilfer, Neubauer, Wiedener und Leopoldstädter zu Häupl-Wählern machen – für viele von ihnen das erste Mal im Leben. Eine entsprechende Inseraten-Kampagne einer „unabhängigen“Initiative ist in Vorbereitung. Manche in der SPÖ meinen jedoch, es seien viel zu wenige Neuwähler, die so gewonnen werden. Genau das sei Häupls eigentlicher politischer Fehler gewesen: In der Wahl seiner Themen, seiner Stadträte und seines Koalitionspartners habe er sich immer auf die machtpolitisch falschen, weil kleinen und reichen Bezirke in der Stadt konzentriert. Mit Bobos gewinne man aber keine Wahl.
I st Häupl also plötzlich ein Menschenfreund aus Kalkül? Nein, der Mann ist überzeugter Humanist und in der Flüchtlingsfrage authentisch. Und eigentlich ist er seit Jahren eine Kunstfigur. Für West-, Süd-, Nordösterreicher gilt Häupl als politischer Nachfolger der Figur des Edmund Sackbauer alias Mundl. Über Jahre wurde das Image des Spritzer trinkenden, Wienerisch redenden und polternden Fiaker-Bürgermeisters gepflegt. Das kann er auch ganz gut und es macht vermutlich sogar Spaß. Der Mann ist ebenso bibelfest wie gebildet, wissenschaftlich interessiert und informiert, vor allem aber mit Menschen befreundet, die sich in keinen bunten Personen-Komitees einfinden wollen. Deswegen ist er noch lange nicht sympathischer oder weniger machtbewusst. In den vergangenen fünf Jahren wirkte er müde, ließ Dinge treiben und Entscheidungen aufschieben. Das führte auch zu einer Fragmentierung der Wiener SPÖ, zu Reibereien unter einzelnen Fraktionen und Gruppen.
E ndet am 11. Oktober seine Zeit als Bürgermeister, ist Erwin Pröll plötzlich ziemlich einsam auf weiter Flur. So mancher kleine und große Skandal (von Spitalsbauten bis Widmungen) in Wien könnte dann plötzlich öffentlich werden. Und in Wien endet eine Ära, die noch in Jahrzehnten bei den Beobachtern emotional äußerst positiv und mit Blick auf Schuldenberg und Steuererklärung sehr negativ in Erinnerung sein wird. Und natürlich mit vielen HäuplSchmähs.