So unterhaltsam kann Krise und ihre Psychoanalyse sein: Tomáˇs Sedláˇcek und Oliver Tanzer legen in „Lilith und die Dämonen des Kapitals“die Ökonomie auf Sigmund Freuds Couch.
Tomáˇs Sedlácˇek hat zur Erklärung von Hypes und Krisen der Wirtschaft im Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“Psychologie zu Hilfe genommen. Diesmal blickt er mit „Die Furche“-Redakteur Oliver Tanzer per Psychoanalyse Sigmund Freuds noch tiefer in die libidinösen Abgründe hinter Erfolg und Gier, Wachstum und Exzess.
Lilith, Dämonin bei den Sumerern, in der jüdischen Literatur erste Frau Adams, die ihm buch- nicht unterliegen möchte und den Verzicht auf das Paradies mit dem grausamen Fluch bezahlt, jede Nacht 100 Kinder zu gebären und zu töten, steht für den Zwang der Wirtschaft, zu erzeugen und sich zu zerstören. Eine manisch-depressive Störung, die uns den Boom beschert und ins Bodenlose fallen lässt wie Ikarus, der der Sonne zu nahe flog. An zahllosen Episoden der griechischen (sic!) Mythologie zeigen die Autoren die abgrün- digsten Lüste, rücksichtslosesten Grausamkeiten und sadomasochistischen Triebe, die aggressiven Wettbewerb befeuern oder hedonistisches Wachstum. Gerechtigkeit gibt es in den Mythen nur als kurze Randerscheinung von Rache und Vergeltung, vor allem, wenn es um Geld geht.
Der Zyklop Polyphem, der Seefahrer verschlingt, bis er von Odysseus mit einem glühenden Holzpfahl geblendet wird, erscheint so als der von Sucht gestäblich triebene Konsument, dem die Luxusgüter (tierisches Fleisch reicht ihm nicht) die Sinne rauben. Kein Kapitalmarkt ohne die Zwangsneurosen Geiz und Gier: kleptomanischer Handel mit Derivaten von pathologischen Zockern mit kindlichen Allmachtsfantasien und aus analen Phasen herrührenden narzisstischen Impulsen zum Kot – dem Geld. Es ist Fetisch, Traum und mit Verlustangst behafteter Albtraum zugleich, neurotische Substanz mit Macht des Eros. Bei König Midas wird der Fetisch zur Perversion bis zum vergoldeten Verhungern, woraus die Autoren die Austerität in der Eurokrise ableiten, die 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit duldet.
Wie also den manisch-depressiven Patienten Ökonomie therapieren? Etwas weniger Wachstum und Konkurrenz könnten rettend sein. Und ein Blick über den Torbogen des Orakels von Delphi: „Erkenne dich selbst.“