Der Herr der Funken oder U=RxI
Mit Nikolaus Harnoncourt, der sich aus Gesundheitsgründen von der Bühne zurückzieht, muss die Musikwelt künftig auf einen großen Dirigenten, überzeugten Humanisten und leidenschaftlichen Querkopf verzichten.
Eigentlich hätte er auch Elektriker werden können. Wer Nikolaus Harnoncourt je live oder (fast noch besser) in Proben hörte, durfte jedenfalls einen Mann erleben, der offenbar das Ohm’sche Gesetz auf die Musik zu übertragen verstand: U = R x I. Spannung ist gleich Widerstand mal Stromstärke.
Spannend, wie er Sänger, Chöre, Instrumentalisten mit seiner eigenen Energie und Leidenschaft aufladen konnte, mit Ernsthaftigkeit und immer auch mit Witz, ob er nun Profis vor sich hatte („Süditalien! Singen Sie das mit Fischgeruch in der Nase!“) oder Kinder („Stakkato, als ob ihr Salami schneidet!“).
Widerstand, den spürte er nicht nur zu Beginn seiner Dirigentenkarriere, als er in Wien, wo Mitte der 50er ausschließlich Klassik-Bonbonnieren gereicht wurden, schon Zuckerln aus Renaissance und Barock anbot; aber die Zyklen seines jungen, hoch ambitionierten „Concentus Musicus“machten den Originalklang rasch attraktiv, cis und trans der Donau. Ein Revoluzzer in Fragen von Stil und Ästhetik blieb er immer, liebte und übte den Widerstand und wollte Sand und nicht Öl im Getriebe der Musikwelt, der Welt sein. Das äußerte sich nicht nur in seinen kantigen musikalischen Ideen, in der „Musik als Klangrede“, wie er es nennt.
Strom. Stärke. Harnoncourt. Er setzte stets auf Wechselstrom. Musiker – Publikum. Musiker – Musiker. Musiker – Komponisten. Da funkte es. Wobei bei Letzteren – ob sie nun Bach, Mozart oder Schubert hießen – Respekt der Demut wich. „Wir lecken alle an der großen Kunst, aber wir kommen nur bis zu den Waden der Künstler. Was oberhalb ist, ist für uns unbegreiflich.“
Reif und prägend
Seit 1952, als er Cellist der Philharmoniker wurde, und erst recht seit 1955 am Pult wuchs er zu einer der reifsten und prägendsten Künstlerpersönlichkeiten unserer Zeit. Seine Liste an Premieren, Auftritten, Einspielungen, Erfolgen, Preisen ist so lang, dass es keine Elle gibt, auf die diese passt. Aber weit wichtiger als das Quantum ist ohnehin die Güte seiner Künstlerschaft. Umso bedauerlicher, dass er diese nun beschließt.