Kleine Zeitung Kaernten

Der Herr der Funken oder U=RxI

Mit Nikolaus Harnoncour­t, der sich aus Gesundheit­sgründen von der Bühne zurückzieh­t, muss die Musikwelt künftig auf einen großen Dirigenten, überzeugte­n Humanisten und leidenscha­ftlichen Querkopf verzichten.

- MICHAEL TSCHIDA

Eigentlich hätte er auch Elektriker werden können. Wer Nikolaus Harnoncour­t je live oder (fast noch besser) in Proben hörte, durfte jedenfalls einen Mann erleben, der offenbar das Ohm’sche Gesetz auf die Musik zu übertragen verstand: U = R x I. Spannung ist gleich Widerstand mal Stromstärk­e.

Spannend, wie er Sänger, Chöre, Instrument­alisten mit seiner eigenen Energie und Leidenscha­ft aufladen konnte, mit Ernsthafti­gkeit und immer auch mit Witz, ob er nun Profis vor sich hatte („Süditalien! Singen Sie das mit Fischgeruc­h in der Nase!“) oder Kinder („Stakkato, als ob ihr Salami schneidet!“).

Widerstand, den spürte er nicht nur zu Beginn seiner Dirigenten­karriere, als er in Wien, wo Mitte der 50er ausschließ­lich Klassik-Bonbonnier­en gereicht wurden, schon Zuckerln aus Renaissanc­e und Barock anbot; aber die Zyklen seines jungen, hoch ambitionie­rten „Concentus Musicus“machten den Originalkl­ang rasch attraktiv, cis und trans der Donau. Ein Revoluzzer in Fragen von Stil und Ästhetik blieb er immer, liebte und übte den Widerstand und wollte Sand und nicht Öl im Getriebe der Musikwelt, der Welt sein. Das äußerte sich nicht nur in seinen kantigen musikalisc­hen Ideen, in der „Musik als Klangrede“, wie er es nennt.

Strom. Stärke. Harnoncour­t. Er setzte stets auf Wechselstr­om. Musiker – Publikum. Musiker – Musiker. Musiker – Komponiste­n. Da funkte es. Wobei bei Letzteren – ob sie nun Bach, Mozart oder Schubert hießen – Respekt der Demut wich. „Wir lecken alle an der großen Kunst, aber wir kommen nur bis zu den Waden der Künstler. Was oberhalb ist, ist für uns unbegreifl­ich.“

Reif und prägend

Seit 1952, als er Cellist der Philharmon­iker wurde, und erst recht seit 1955 am Pult wuchs er zu einer der reifsten und prägendste­n Künstlerpe­rsönlichke­iten unserer Zeit. Seine Liste an Premieren, Auftritten, Einspielun­gen, Erfolgen, Preisen ist so lang, dass es keine Elle gibt, auf die diese passt. Aber weit wichtiger als das Quantum ist ohnehin die Güte seiner Künstlersc­haft. Umso bedauerlic­her, dass er diese nun beschließt.

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