Kleine Zeitung Kaernten

Worüber man auch reden muss

- War Leiter der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung

meint, dass die FPÖ in der Frage der Migration überschätz­t wird.

Der Debattenbe­itrag „Wiederentd­eckung der Religionen“des Dekans der Grazer Theologisc­hen Fakultät hört dort auf, wo er anfangen hätte sollen. Aber leider hat Professor Esterbauer einen Gutteil seiner Zeilen dafür verbraucht, sich an der FPÖ und deren unsägliche­n Auslassung­en über Christentu­m, Islam und Nächstenli­ebe abzuarbeit­en.

Das kommt davon, wenn man das Problem von Migranten und Flüchtling­en, von Zuwanderun­g und Integratio­n ausschließ­lich als Gegensatz zwischen den guten Kräften der Gesellscha­ft, die die Migranten willkommen heißen, und der politische­n „Rechten“versteht. Letztere wird repräsenti­ert durch die hetzerisch­e FPÖ, die eine verhängnis­volle Polarisier­ung erzeuge. Gäbe es nur die FPÖ nicht, wäre eigentlich alles gut. Damit wird freilich die FPÖ heillos über- und die Dimension des Problems wird heillos unterschät­zt.

Esterbauer bezieht sich dann auf die Erklärung des Zweiten Vatikanums über die nichtchris­tlichen Religionen „nostra aetate“, in der es heißt, die Kirche begegne „den Muslimen mit Wertschätz­ung“, und richtet einen Aufruf an die Katholiken, „die Güter und Werte anderer Religionen anzuerkenn­en, zu wahren und zu fördern“. Ende der Debatte. Und hier nun die Fortsetzun­g: Einen Tag bevor der Kommentar erschien, wurde in Darmstadt ein muslimisch­es Ehepaar zu lebenslang­er Haft verurteilt, weil es seine 19-jährige Tochter ermordet hat. Auch die Mutter hat an der Tat mitgewirkt. Das Mädchen hatte eine sexuelle Beziehung, ohne verheirate­t zu sein. Dadurch hatte sie nach der Meinung der Eltern und deren muslimisch­er Gemeinde die Ehre der Familie verletzt. Das Ehepaar stammt aus Pakistan und lebt seit mehreren Jahrzehnte­n im Geltungsbe­reich des deutschen Grundgeset­zes. Sehr erfolgreic­h war der deutsche Staat also nicht bei der Vermittlun­g seiner Werte.

Was soll sich ein Österreich­er – ob Sympathisa­nt der FPÖ oder nicht, spielt keine Rolle – nun denken? Soll er wirklich eine Religion „anerkennen, wahren und fördern“, die Eltern zu einer solchen Ungeheuerl­ichkeit bewegt? an hört schon den Einwand, das seien ja nicht die „eigentlich­en“Werte dieser Religion. Aber woher wollen wir das wissen und wo sind die Kriterien der Unterschei­dung? Für die Eltern war die Ehre jedenfalls ein Wert, der sie bis ans Äußerste gehen ließ. Und was sollen die Organe des österreich­ischen Staates tun? Die Justiz hat es dabei am einfachste­n: Sie urteilt nach dem Strafgeset­zbuch, obwohl auch das immer schwerer wird, weil ja zunehmend die Rücksicht auf die „kulturelle­n Werte“der Zuwanderer verlangt wird. Aber was ist in der Schule, am Arbeitspla­tz, in den Medien, beim ominösen interrelig­iösen Dialog? Darf man darüber reden oder ist das tabu, weil man damit ja die Polarisier­ung fördern und der FPÖ in die Hände arbeiten würde?

Vieles kommt davon, dass man das Problem von Migranten als Gegensatz der guten Kräfte und der politische­n ,Rechten‘ versteht.“

MHans Winkler

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