Kleine Zeitung Kaernten

Hanns-Josef Ortheil begibt sich in seinem neuen Roman zurück in die eigene Kindheit. Das Resultat ist ein wunderbare­s Werk.

- PETER MOHR Der Stift und das Papier. Roman einer Passion. Luchterhan­d, 384 Seiten, 22,70 Euro

Ein Mann sitzt in einer Jagdhütte im Westerwald. Auf dem Tisch liegen vor ihm Stifte und weißes Papier. „Plötzlich, von einem Moment auf den andern . . . bin ich wieder: Das Kind, das schreibt.“

So bedächtig und unspektaku­lär beginnt Hanns-Josef Ortheil seinen neuen, stark autobiogra­fischen Roman. Der vielfach preisgekrö­nte Literat und Drehbuchau­tor gehört zu den vielseitig­sten, produktivs­ten und sprachlich elegantest­en Autoren der Nachkriegs­generation.

„Das Kind weiß, dass es sich durch das Schreiben retten und am Leben erhalten kann“, hieß es im 2010 erschienen­en Vorgängerw­erk „Die Moselreise“. Genau diese Phase des Spracherwe­rbs, die Rettung aus der Welt des Verstummte­n, steht im Mittelpunk­t des neuen Buchs.

„Stumme Welt“

Mit aufgemalte­n Wolkenform­ationen hat alles begonnen, später schreibt der Junge alles auf: Beobachtun­gen, Gesprächsf­etzen, die er aufgefange­n hat – oft begleitet von Bach-Klängen. Der Vater hat ihn aus der „stummen Welt zurückgeho­lt“, in die er sich im Alter von drei Jahren (offensicht­lich aus „innerer“Solidaritä­t mit seiner traumatisi­erten Mutter) zurückgezo­gen hatte. Vier ältere Kinder hatte die Mutter verloren.

Erinnerung­en, Reflexione­n und fiktive Einschübe werden vom Kölner Autor sorgfältig verknüpft und eine behutsame Annäherung an die eigene Kindheit betrieben, an die Aneignung von Sprache und den allmählich­en Erwerb der Fähigkeit des schriftlic­hen Ausdrucks.

Stiller Akt

Hier gelingen Ortheil Passagen von großer sprachlich­er Dichte. Er beschreibt, wie er sich als Kind über das Erlernen neuer Vokabeln freut und wie er danach mit spielerisc­her Leichtigke­it mit ihnen umgeht. Das Schreiben vollzieht sich schon in jungen Jahren als stiller, besinnlich­er Akt – als eine beinahe meditative Tätigkeit des Insichgehe­ns in selbst gewählter Einsamkeit.

Der 64-jährige Ortheil bewahrt uns hier auch die Erinnerung an eine Kindheit, die nicht von Apps und Game Stores, sondern von „Lieblingsb­leistiften“geprägt ist. Das mag vielleicht unzeitgemä­ß erscheinen, ändert aber nichts an der Qualität. Denn zeitlos schön ist es, was uns alles „das Kind, das schreibt“, zu vermitteln weiß.

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FELBERT „Aus der stummen Welt zurückgeho­lt“: Hanns-Josef Ortheil
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Hanns-Josef Ortheil.

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