Hanns-Josef Ortheil begibt sich in seinem neuen Roman zurück in die eigene Kindheit. Das Resultat ist ein wunderbares Werk.
Ein Mann sitzt in einer Jagdhütte im Westerwald. Auf dem Tisch liegen vor ihm Stifte und weißes Papier. „Plötzlich, von einem Moment auf den andern . . . bin ich wieder: Das Kind, das schreibt.“
So bedächtig und unspektakulär beginnt Hanns-Josef Ortheil seinen neuen, stark autobiografischen Roman. Der vielfach preisgekrönte Literat und Drehbuchautor gehört zu den vielseitigsten, produktivsten und sprachlich elegantesten Autoren der Nachkriegsgeneration.
„Das Kind weiß, dass es sich durch das Schreiben retten und am Leben erhalten kann“, hieß es im 2010 erschienenen Vorgängerwerk „Die Moselreise“. Genau diese Phase des Spracherwerbs, die Rettung aus der Welt des Verstummten, steht im Mittelpunkt des neuen Buchs.
„Stumme Welt“
Mit aufgemalten Wolkenformationen hat alles begonnen, später schreibt der Junge alles auf: Beobachtungen, Gesprächsfetzen, die er aufgefangen hat – oft begleitet von Bach-Klängen. Der Vater hat ihn aus der „stummen Welt zurückgeholt“, in die er sich im Alter von drei Jahren (offensichtlich aus „innerer“Solidarität mit seiner traumatisierten Mutter) zurückgezogen hatte. Vier ältere Kinder hatte die Mutter verloren.
Erinnerungen, Reflexionen und fiktive Einschübe werden vom Kölner Autor sorgfältig verknüpft und eine behutsame Annäherung an die eigene Kindheit betrieben, an die Aneignung von Sprache und den allmählichen Erwerb der Fähigkeit des schriftlichen Ausdrucks.
Stiller Akt
Hier gelingen Ortheil Passagen von großer sprachlicher Dichte. Er beschreibt, wie er sich als Kind über das Erlernen neuer Vokabeln freut und wie er danach mit spielerischer Leichtigkeit mit ihnen umgeht. Das Schreiben vollzieht sich schon in jungen Jahren als stiller, besinnlicher Akt – als eine beinahe meditative Tätigkeit des Insichgehens in selbst gewählter Einsamkeit.
Der 64-jährige Ortheil bewahrt uns hier auch die Erinnerung an eine Kindheit, die nicht von Apps und Game Stores, sondern von „Lieblingsbleistiften“geprägt ist. Das mag vielleicht unzeitgemäß erscheinen, ändert aber nichts an der Qualität. Denn zeitlos schön ist es, was uns alles „das Kind, das schreibt“, zu vermitteln weiß.