...undderAnstand verloren geht
Fortsetzung von Seite 5
hends der Eindruck, sämtliche Regeln des Anstands und des respektvollen Umgangs miteinander seien außer Kraft gesetzt, moniert die Hamburger Respektforscherin Christina Mölders: „Politische Gegner werden als Heuchler, Lügner und Versager betitelt, und an ihren Plänen wird kein gutes Haar gelassen – frei nach dem Motto: Wer am lautesten schreit, ist im Recht.“
Es ist ein schmaler Grat zwischen Schmäh und Schmach, zwischen Provokation und Peinlichkeit, Lästern und Lamentieren, Beklagen und Beleidigen, auf dem die politischen Akteure dahintänzeln. Die Grenze zwischen gelungener rhetorischer Spitze und billiger Effekthascherei bleibt unscharf. Respekt? Hat jedenfalls Pause.
Mahnende Zwischenrufe wie zuletzt von Bundespräsident Heinz Fischer („So nicht!“) oder Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière („Die Ruppigkeit, die eingekehrt ist, ist schlecht für den Zusammenhalt der Gesellschaft“) verhallen nicht ungehört, aber weitgehend wirkungslos.
„Grönland eisfrei föhnen“
Noch schriller geht es dort zu, wo befreit von sämtlichen Kontrollfiltern kommuniziert wird: im Internet. Der Dauer-Aufregungspegel in den sozialen Netzwerken, die hektische Empörungsund „Gefällt mir“-Kultur planiert dort die Hemmschwellen fast vollständig ein. Nicht nur Armin Wolf, ORF-Anchorman mit weit ausladender Twitter- und Facebook-Präsenz, kennt das. „Woher Armand-Jean du Plessis, duc de Richelieu (1585– 1642), französischer Aristokrat, Kirchenfürst und Staatsmann kommen diese unglaubliche Aggression und dieser Hass?“, wundert er sich (siehe Seite 3) und fragt: „Glaubt ernsthaft wer, wenn er mich möglichst aggressiv anrempelt, werde ich meine Meinung über irgendetwas ändern?“
Schärfer mit dem respektlosen Umgangston im Netz geht der deutsche Kolumnist und Autor Sascha Lobo ins Gericht. Was sich an Schwachsinn in die sozialen Medien ergießt, sei nicht mehr auszuhalten, klagt er in einem „Spiegel“-Kommentar. „Oft scheint es, als sei es gar nicht Hass, sondern vor allem Dummheit, die sich da Bahn bricht“, vermutet Lobo und bringt einen plakativen Vergleich: „Könnte man Unfug in Energie umwandeln, mit dem deutschen Tagwerk auf Facebook ließe sich Grönland eisfrei föhnen.“Es fehle jedes Gespür für Verhältnismäßigkeit.
Eine Analyse, die zuletzt auch der Mediensprecher der österreichischen Grünen untermauerte. „Auf Facebook brechen gerade alle Dämme“, konstatierte er und gab an, dass man aufgrund von hetzerischen, denunzierenden, rufschädigenden Postings „Hunderte Personen anzeigen könnte“. Täglich!
Im Visier der Hasspostings finden sich dieser Tage vor allem Asylwerber. „Wie weit macht man die Türe auf, wenn ein Flüchtling anklopft? Na, maximal neun Millimeter“, hieß es da in einem Posting einer ehemaligen BZÖ-Nationalratsabgeordneten. Mit Respektlosigkeit allein lässt sich eine derartige Entgleisung wohl nicht erklären. Sie zeigt aber, was passiert, wenn sich fehlender Respekt mit ausreichend
„Es
ist nicht mein Ziel, geliebt zu werden. Mir genügt es, wenn man mich respektiert.“