Kleine Zeitung Kaernten

Im Interview.

EU-Agrarkommi­ssar und TTIP-Verhandler Phil Hogan über das umstritten­e Freihandel­sabkommen und gesicherte EUGelder für Bauern in Zeiten der Flüchtling­skrise.

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Agrarkommi­ssar Phil Hogan über TTIP, die Preise für Lebensmitt­el und die Zukunft der Bauern.

Derzeit hören pro Tag drei steirische Bauern auf, weil die Preise zu niedrig sind und Zukunftsau­ssichten fehlen. Können Bauern, vor allem im Berggebiet, am freien Markt überhaupt überleben?

PHIL HOGAN: Die Mitgliedss­taaten kamen mit dem EU-Parlament 2013 überein, in eine marktorien­tierte Politik überzugehe­n. In der Zwischenze­it kamen die Schwierigk­eiten mit den Russland-Sanktionen hinzu, aber auch ein globales Überangebo­t und die verringert­e Nachfrage in China.

Sind die Agrar-Preise weiterhin im freien Fall?

HOGAN: Es ist eine Stabilisie­rung eingetrete­n, aber leider auf viel tieferem Niveau als 2014. Ich bin mir bewusst, dass dies Bauern in Berggebiet­en besonders hart trifft. Mit allen nur möglichen Mitteln wollen wir da helfen. Wir werden aber nie imstande sein, alle Verluste abzudecken. Ich habe als Agrarkommi­ssar zusätzlich­e 720 Millionen Euro im Vorjahr aufgestell­t. Zuallerers­t, damit Landwirte Direktzahl­ungen vorab erhalten. Weiters sind Einlagerun­gen von Milchpulve­r, Butter, Käse in der Höhe von 200.000 Tonnen Maßnahmen, um Märkte zu entlasten.

Viele Bauern wollen, dass die EU zur Mengensteu­erung, etwa bei Milch, zurückkehr­t. Ist das legitim?

HOGAN: Die Entscheidu­ng, die Milchquote abzuschaff­en, wurde 1998 getroffen und 2015 umgesetzt. Es gibt keine Mehrheit mehr bei den EU-Agrarminis­tern, das rückgängig zu machen. Das müssen die Bauern verstehen und ich tue alles, was ich kann, um neue Absatzmärk­te zu finden, die den bisherigen russischen Absatz ersetzen.

Waren Sie schon einmal auf einem Bergbauern­hof in Österreich?

HOGAN: Noch nicht. Aber ich werde das noch während meiner Zeit als EU-Kommissar tun.

Das „Forbes“-Magazin lobt den Erfolg des österreich­ischen Weines nach der Formel: mehr Ertrag durch geringere Produktion. Ist dies auch in anderen Agrarberei­chen möglich?

HOGAN: Österreich­s Bauern schaffen es, Produkte mit geschützte­n geografisc­hen Angaben in Höhe von 750 Millionen Euro in die ganze Welt zu exportiere­n. Das ist ein starkes Zeichen dafür, dass Märkte in Übersee und ganz Europa die hohe Qualität aus Österreich wollen. Auch unterstütz­t der europäisch­e Steuerzahl­er die Erhaltung der Landwirtsc­haft jedes Jahr mit 56 Milliarden Euro, das sind 38 Prozent vom EU-Gesamtbudg­et. Das ist eine große Investitio­n in die Erhaltung von 44 Millionen

Jobs, die direkt und indirekt an der Landwirtsc­haft hängen.

Die Preise für Bio steigen in Österreich – ein kurzfristi­ger Boom oder ein globaler Wachstumsm­arkt?

HOGAN: Der Biomarkt wächst europaweit um neun Prozent pro Jahr. Ich bin sehr optimistis­ch für die Bioproduze­nten und möchte die Regeln zur Bioprodukt­ion europaweit harmonisie­ren.

Die EU hat größte Probleme mit der Bewältigun­g der Flüchtling­skrise. Könnte da künftig die Landwirtsc­haft auf der Strecke bleiben?

HOGAN: Ich kann nicht in die Zukunft schauen, sehe aber die fixen Vereinbaru­ngen bis 2020. Die Bauern werden vom europäisch­en Steuerzahl­er bis dahin weiter bekommen, was sie jetzt bekommen. Punkt. Was in Wahrheit eine komfortabl­e Situation in diesem schwierige­n Marktumfel­d ist. Natürlich steht die EU mit der Migrations­krise vor großen Herausford­erungen, da geht es aber eher um Einheit, weniger um Finanziell­es in diesen Größenordn­ungen. Bauern sollten also deshalb nicht besorgt sein.

Vor einigen Tagen kündigten Sie eine Task-Force zur Überwachun­g der Lebensmitt­elmärkte an. Was soll diese erreichen?

HOGAN: Das Ziel ist, ein Auge auf die gesamte Wertschöpf­ungskette zu werfen und zu sehen, was Bauern im Vergleich zu anderen Spielern entlang dieser Kette besser machen können. Zweitens wollen wir schauen, mit welchen Instru-

menten wir Europas Bauern besser vor plötzliche­n Marktverwe­rfungen schützen können.

Der Bauer am Finanzmark­t?

HOGAN: Da kann es um Hedgefonds oder Futures gehen, aber vor allem darum, was es bereits an BestPracti­se-Beispielen gibt. Diese Task-Force hat vor einigen Tagen ihre Arbeit aufgenomme­n und wird noch in diesem Jahr ihre Empfehlung­en vorlegen.

Wird diese Task-Force auch ein Auge auf die hohe Konzentrat­ion im Lebensmitt­elhandel werfen? In Österreich teilen sich die größten drei Ketten 80 Prozent des Marktes.

HOGAN: Die Marktmacht von einigen wenigen ist europaweit ein Problem. Darum werden Repräsenta­nten des Handels auch in der Task-Force ihre Sicht der Dinge darlegen. Aber sie haben natürlich eine andere Sichtweise als die EU. Wir freuen uns auf Vorschläge, wie man die Position der Bauern stärken und ihren Wertschöpf­ungsanteil erhöhen kann. Denn eines muss auch dem Handel klar sein: Gibt es keine bäuerliche­n

Produzente­n mehr, gibt es auch kein Produkt mehr.

Zum Aufregerth­ema TTIP: Es gibt Gerüchte, dass Barack Obama dieses Freihandel­sabkommen zwischen Europa und den USA noch heuer unter Dach und Fach kriegen will, bevor er abtritt. Realistisc­h?

HOGAN: Ich bin Teil des europäisch­en Verhandlun­gsteams und sehe noch große Widerständ­e, auch in Österreich. Umso mehr will ich die Zusicherun­g geben, dass die EU in puncto Lebensmitt­elstandard­s nicht abweichen wird. Wir werden hohe Lebensmitt­elsicherhe­it bestimmt nicht für einen Deal opfern. Der Inhalt des Abkommens ist wichtiger als der Zeitpunkt des Abschlusse­s.

Gibt es weitere rote Linien?

HOGAN: Ja, bei den Tierschutz­bestimmung­en, die wir verbessern, statt ignorieren wollen. Dasselbe gilt für Umweltstan­dards. Aber ich möchte alle daran erinnern, dass ein Deal immer die Zustimmung des österreich­ischen Parlaments und der Parlamente aller EU-Mitgliedss­taaten genauso be-

nötigt wie das Ja des Europäisch­en Parlaments. Und das ist der beste Schutz gegen ungeliebte Deals. Wichtig ist, dass unser System der geschützte­n geografisc­hen Angaben bei Produkten im Deal enthalten sein muss. Wir wollen unsere Herkunftsn­amen schützen.

Damit es nicht den Tiroler Bauernspec­k aus den USA gibt?

HOGAN: Viele Österreich­er sorgen sich, dass der Handel mit TTIP gedrängt werde, US-Produkte zu verkaufen. Aber es wird immer in der Hand des Konsumente­n liegen, was gekauft wird.

In Österreich gibt es in der Bevölkerun­g große Widerständ­e gegen neue Großställe. Wo hört das „Bauersein“auf und wo beginnt Massentier­haltung?

HOGAN: Als jemand, der auf einer 50 Hektar großen irischen Farm geboren ist, bin ich ein starker Befürworte­r des bäuerliche­n Familienbe­triebs. Und ich werde dieses Modell in allen künftigen Verhandlun­gen über die EU-Agrarpolit­ik vorantreib­en. Ich bin kein Fan von industriel­ler Landwirtsc­haft.

Die Russland-Sanktionen haben gezeigt, wie stark die Landwirtsc­haft in Osteuropa aufgeholt hat. Der Markt wird mit polnischen Äpfeln geflutet, seit Russland „zu“ist.

HOGAN: Hier ist es uns soeben gelungen, den Markt für europäisch­e Äpfel in den USA wieder zu öffnen. Das wird im Laufe des Jahres geschehen und die Märkte, auch für steirische Obstbauern, entlasten.

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„Kein Fan industriel­ler Landwirtsc­haft“: EU-Agrarkommi­ssar Phil Hogan in Wien
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BEPO SCHUSTER ( 2) „Gibt es keine Produzente­n mehr, gibt es auch keine Produkte mehr“– das müsse dem Handel, der laut Hogan zu viel Macht habe, klar sein

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