Ein Ahnentempel fusioniert mit dem 21er Haus, Schwimmwesten kratzen am Idyll des BelvedereBeckens: Ai Weiwei setzt sich in Wien mit dem Thema Flucht auseinander.
AUSSTELLUNG
Am besten ist Kunst immer noch, wenn sie ein klein wenig verstört: „Ist das schon alles?“, zeigt sich eine Ausstellungsbesucherin verwirrt. Dabei ragt ein 14 Meter hoher, hölzerner Ahnentempel aus der Ming-Dynastie vor ihr auf, zusammenge- aus 1300 Holz-Einzelteilen, vom Künstler Ai Weiwei von China nach Wien transferiert.
Und er schmiegt sich so passgenau in den ehemaligen Österreich-Pavillon der Weltausstellung 1958 (vulgo 21er Haus), dass es eine Freude ist. Eine perfekte Symbiose zweier Gebäude, die – ihrer ursprünglichen Bestimmung beraubt – eine Einheit bilden. Das zeigt sich am eindrucksvollsten, wenn man den Blick nach oben richtet. Dorthin, wo die Dachverstrebungen der Häuser verschmelzen, als würde man unter dem Rückgrat eines Drachen stehen. Fast könnte man meinen, die Fusion von Ost und West hätte den Gebäuden neues Leben eingehaucht, gilt der chinesische Drache „long“doch auch als Urahn der Menschen.
Genau hier kann man den Blick für das übergreifende Ausstellungsthema „Translocation – Transformation“schärfen: Jeder Ortswechsel, oft unfreiwillig, erzwingt nicht nur eine Neuverortung, sondern verändert auch Identitäten. Das zieht sich durch das Leben des Künstlers, der mittlerweile von Peking nach Berlin übersiedelt ist, genau so wie durch die Biografien jener Flüchtlinge, die nach Europa wollen.
Lotusblüten
Ai Weiwei macht das mit „F Lotus“sichtbar: 1005 gebrauchte Schwimmwesten von Flüchtlingen bilden in Form von Lotusblüten ein kalligrafisches F – sichtbar nur von oben. Man kann demnach, wie im wahren Leben auch, die reale Entwicklung einfach ausblenden und sich ganz dem Blumenidyll mit Schloss im Hinsetzt tergrund widmen. Es ist wie immer eine Frage des Wollens. Apropos wollen: Ai Weiwei sagte bei der Eröffnung der Schau ganz klar, mit welcher Facette des Starkünstler-Lebens er wenig anfangen kann – nomadisch von einer Stadt zur anderen ziehen, Hunderte Hände zu schütteln und sich nicht in der eigenen Sprache ausdrücken zu können. Viel lieber stellt er Kunstwerke her oder recherchiert an den Brennpunkten der Welt. Einfach gesagt: Er liebt es, schlafende Drachen zu kitzeln. Eine Tätigkeit, die kein geregeltes Leben zulässt. Das betrifft auch Wünsche nach der einen oder anderen Auszeit – wie zuletzt in Griechenland: „Wir wollten eigentlich Urlaub machen, aber gelandet sind wir im Flüchtlingscamp.“Kunst kennt eben keinen Alltag.