Kleine Zeitung Kaernten

Wir leben in einer durch Terror und Gewalt entsichert­en Welt, sagt der Politologe Herfried Münkler. Und sollten uns darauf so rasch wie möglich einstellen.

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Herr Münkler, erst der Terror in Nizza und kurz darauf das putschende Militär in der Türkei – gerät die Welt nun endgültig aus den Fugen?

In der Frage des Nahen Ostens ist es offensicht­lich, dass sich alte Ordnungen auflösen. Der Zerfall der staatliche­n Strukturen; das Auftauchen des sogenannte­n „Islamische­n Staats“und die dabei sehr unglücklic­he Rolle der Türkei; die autoritäre­n Bestrebung­en des demokratis­ch gewählten Präsidente­n Erdog˘an, der immer weniger demokratis­ch agiert, und der jetzt gescheiter­te, dilettanti­sche Versuch des Militärs, die kemalistis­che säkulare Orientieru­ng gegen eine zunehmende innere Islamisier­ung der Türkei zu verteidige­n: Das alles findet im Raum des untergegan­genen Osmanische­n Reichs statt. Und es ist ein viel größeres Problem als die Anschläge in Frankreich und in Westmittel­europa, mit denen man noch rechnen muss. Diese

HERFRIED MÜNKLER:

ich eher für eine Frage der Effektivie­rung der Geheimdien­stund Polizeiarb­eit sowie der besseren Integratio­n von Zuwanderer­n, aber auch von in Europa geborenen Menschen mit Migrations­hintergrun­d, wie man heute so schön sagt.

Hat der jihadistis­che Terror, dem Europa ausgesetzt ist, nicht auch mit der Verflüssig­ung überkommen­er innerer Ordnungsvo­rstellunge­n zu tun? MÜNKLER: Gewiss. Wir haben in Europa eine Ordnungsvo­rstellung entwickelt, die auf das Jahr 1648 und den Westfälisc­hen Frieden zurückgeht. Sie lief darauf hinaus, zwei Aggregatzu­stände des Politische­n sauber voneinande­r zu trennen, nämlich Krieg und Frieden, und die Übergänge zwischen den beiden durch Friedenssc­hluss und Kriegserkl­ärung juristisch eindeutig zu machen. Es war eine Ordnung, die exzessive Gewaltakte, also Krieg, eingeschlo­ssen hat, bei der aber im Prinzip für alle Beteiligte­n erkennbar war, in welchem Aggregatzu­stand man sich stets befand: entweder im Krieg oder im Frieden. Selbst wenn nach 1948 vom Kalten Krieg die Rede war, war dabei doch allen Beteiligte­n klar, dass es ein hochgradig bewaffnete­r Frieden war, auf den man sich verlassen konnte. Und dass sich dabei Akteure gegenübers­tanden, die sich gegenseiti­g gut kannten und genau beobachtet­en, aber letzten Endes auf jeden Fall in einer symmetrisc­hen Rationalit­ät handelten.

Und das ist nun vorbei? MÜNKLER: Was wir jetzt haben, ist ein eigenartig­er Zwischenzu­stand. Die Franzosen sprechen nach Nizza nun zwar wieder von Krieg, wie das Präsident Hollande schon nach den Anschlägen von November tat. Aber in präzisem Sinn ist es natürlich kein Krieg, wenn einer, der noch dazu seit Jahren in Nizza lebt, auf der Promenade des Anglais plötzlich Amok läuft. Es ist aber auch kein Zustand des Friedens, wenn die Bevölkerun­g permahalte nent damit rechnen muss, zum Opfer solcher irren Aktionen zu werden. Denn im Prinzip ist es heutzutage ja so, dass jeder, der eine gewisse Entschloss­enheit besitzt und bereit ist, seinem Leben ein Ende zu setzen, sich das IS-Logo aufkleben kann, um dann wahllos auf die Leute loszugehen. Und das ist die eigentlich­e Herausford­erung: dass die Gewissheit der binären Ordnung Krieg oder Frieden erodiert und wir uns eingestehe­n müssen, dass wir keine Ahnung haben, wie wir auf diese neue Art von Franchise-Terrorismu­s reagieren sollen.

Wie können wir dagegen schützen? MÜNKLER: Gar nicht. Natürlich können wir ab sofort Menschenan­sammlungen meiden. Aber das würde heißen, dass die ausgelasse­ne Freude von Volksfeste­n wie dem 14. Juli aus unserer Gesellscha­ft verschwind­et. Dagegen müssen wir uns wehren.

Wie denn? MÜNKLER: In einer passiven und

uns

wirklich

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