Blutorangen und ein Pool in Mondform
1966 war einmal, 2016 ist gerade. Ein Jahr voll Soul und Überraschungen.
Unlängst titelte das Mekka der Onlinemusikberichterstattung „Pitchfork“die Frage: „Is 2016 Music’s Biggest Year in Decades?“– zu Deutsch: „Könnte das Jahr 2016 in die Bücher der jüngsten Musikgeschichte eingehen?“Zumindest das Scheiden zahlreicher Musikgötter ließ bereits Zweifel am Glauben daran aufkommen.
Besonders erschütternd war der überraschende Tod David Bowies, der Wochen zuvor für ein frühes Top-10-Album des Jahres gesorgt hatte. Nur sein eigenes Ableben stellte den arrangierten Abschiedsgruß „Blackstar“in den Schatten, erst mit dem Heimgang nach oben wurde der Zenit überschritten.
Doch abseits des Friedhofes sprossen in der Zwischenzeit ganz neue Blüten. Viele davon jagten ob des nostalgischen Aufrufens alter Geister zunächst kräftig Angst ein, andere wiederum verwelkten schnell.
Anohni, zuvor bekannt als Antony (and the Johnsons), lieferte mit „Hopelessness“eine Mischung aus politischem Kompendium und Manifest, PJ Harvey verfasste einen Lagebericht aus den Slums und Krisenherden von Afghanistan oder dem Kosovo. Auffällig war sicherlich das laute Aufbegehren und die Dichte an afroamerikanischer Identitätenstiftung. Was bereits 2015 mit D’angelo oder Lamar seinen erstärkten Ausgangspunkt fand, wurde in diesem Jahr erfolgreich und konsequent weitergesponnen. Die Renaissance des Soul wurde durch Werke von Blood Orange, Maxwell oder Anderson.Paak eingeleitet. Letzterer steuerte mit einer Verschmelzung aus Funk/Soul/Rap den wohl wichtigsten allgemeinen Leitfaden bereits im Jänner bei. Beyoncé schenkte die Protestkostprobe „Lemonade“aus, während Chance the Rapper das wichtigste Rapalbum in Form einer exorbitanten Gospelmesse ablieferte. Kanye West übernahm einmal mehr die Rolle des avantgardistischen Vordenkers. Sein Werk „The Life Of Pablo“zeigte, dass er der wichtigste Universalkünstler des Jahrzehnts werden könnte.
Auch wenn intensivste Ahnenforschung betrieben wurde, gab es mit den Alben „A Moon Shaped Pool“von Radiohead und „The Colour In Anything“von James Blake zwei futuristische Klangteppiche, die einen zukunftsweisenden Katalog für die nächsten Jahre mit auf den Weg geben. All das macht dieses Jahr zu einem besonderen. Es fand ein gehöriger Umbruch statt, der das Fundament grundlegend renovierte, aufwertete und neue Etagen darauf baute. Es wurde Reiseproviant mit auf den Weg gegeben. Wohin dieser Weg führt, bleibt abzuwarten.