Für Erdog˘ ans Türkei ist kein Platz in Europa
Warum die EU die Beitrittsgespräche aussetzen sollte.
War der Putsch gar inszeniert? Nach dem gescheiterten Militärcoup in der Türkei wollen die Stimmen nicht verstummen, die argwöhnen, Staatschef Recep Tayyip Erdog˘an habe den dilettantisch angelegten Staatsstreich von Teilen der Armee selber angezettelt, um auf diese Weise das Präsidialsystem zu errichten, für das ihm bisher die Mehrheit fehlte.
Das ist eine so unheimliche wie aberwitzige Hypothese. Doch man muss gar keine bizarren Verschwörungstheorien wälzen, um dem Herrscher vom Bosporus eine Miturheberschaft an den höchst beunruhigenden Vorkommnissen in der Türkei zu attestieren.
Mit seiner Politik der Eskalation und gesellschaftlichen Polarisierung nach innen, der ihm eigenen Mischung aus Paranoia, Größenwahn und Fanatisierung seiner Anhänger hat Erdog˘an systematisch das Land destabilisiert und überhaupt erst das aufgeheizte Klima der Unsicherheit und des gegenseitigen Misstrauens geschaffen, das der ideale Nährboden für konspirative Umtriebe ist.
Zum Glück hat die Demokratie über die Putschisten gesiegt. Erdog˘an rief das Volk zum Widerstand auf, und die Türken wollten sich nicht noch einmal dem Joch der Militärs beugen.
Zur Heldensaga taugt das Ganze dennoch wenig. Der Rachefeldzug, mit dem Erdog˘an sich nun Tausender vermeintlicher Staatsfeinde entledigt, sein delirierendes Gefasel von der Säuberung des Volkskörpers von „Viren“und „Metastasen“sowie die Ankündigung, über die Wiedereinführung der Todesstrafe nachzudenken, lassen für das ohnehin gespannte Verhältnis zu Europa das Schlimmste befürchten.
Denn die Türkei ist nicht irgendein Land. Sie ist der wichtigste EU-Beitrittswerber, Mitglied der Nato und des Europarats. Und vor allem: Die Europäer sind in der Flüchtlingskrise auf Erdog˘an als Schleusenwärter auf der anderen Seite des Mittelmeers angewiesen.
N och hat die Türkei ungeachtet der Spannungen den im März vereinbarten Flüchtlingspakt mit der EU eingehalten. Aber was, wenn Erdog˘an – worauf alles hindeutet – das Land wirklich in einen autoritären Führerstaat umbauen will, in ein politisches System, das absolut inkompatibel ist mit europäischen Vorstellungen von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung?
Die Europäer dürfen das keinesfalls dulden. Konsequenterweise müssten die EU-Außenminister heute schon die Beitrittsgespräche mit Ankara einfrieren. Denn weder für Erdog˘ans maßlose Vendetta noch für die Zivildiktatur, die ihm vorschwebt, ist Platz in der EU.