Eine neue Schicht von Gewalt und Zerstörung
Keine der Kriegsparteien in Syrien kann gewinnen.
Wollte man für Syrien ein Organigramm des Krieges zeichnen, heraus käme ein unentwirrbares Knäuel an bewaffneten Akteuren, Zielen, Ideologien, Bündnissen und Feindschaften. Vier Kriege gleichzeitig toben mittlerweile in dem geschundenen Land. Der erste Krieg zwischen dem Assad-Regime und den Aufständischen, der zweite zwischen dem „Islamischen Staat“und einer internationalen Luftallianz, der dritte zwischen Sunniten und Schiiten. Seit letzter Woche ist mit dem Einmarsch der Türkei nach Nordsyrien ein vierter Krieg hinzugekommen – der Krieg um die Kurden. Wohl noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es einen Konflikt mit einer solch vertrackten und vielschichtigen Dynamik. Kein Wunder, dass die Friedensgespräche in Genf seit Monaten ausgesetzt sind. Beim jüngsten Treffen des amerikanischen und russischen Außenministers kam noch nicht einmal ein 48-stündiger Waffenstillstand für Aleppo zustande.
Stattdessen schaufelt der Waffengang zwischen Türkei und Kurden jetzt eine weitere Schicht von Gewalt und Zerstörung auf das geschundene Syrien, die alles nur noch heilloser macht. Denn der Kurdenkrieg wird die bisherigen Allianzen neu verquirlen, vor allem aber den Vormarsch gegen den IS erschweren.
Einen ersten Vorgeschmack bekamen die Amerikaner, die sich als Verbündete der syrisch-kurdischen YPG-Milizen gegen den IS und als Nato-Partner der Türkei plötzlich auf beiden Seiten der Front wiederfinden. Iran, Syrien-Regime und Türkei, ansonsten erbitterte Gegner, ziehen gegen die Autonomiewünsche der 30 Millionen Kurden an einem Strang. Assad-Freund Russland dagegen paktiert eher mit der kurdischen Seite.
M ehr denn je wird deutlich: Keine der Kriegsparteien kann gewinnen. Jeder der regionalen und internationalen Akteure ist in der Lage, wenn sich das Kriegsgeschehen wendet, mit zusätzlichem Nachschub zu eskalieren, um zumindest eine Niederlage abzuwenden. Die Saudis sehen sich in einem apokalyptischen Kampf gegen den Iran und wollen ihrem Erzfeind am Golf keinesfalls das Feld in Syrien überlassen. Die Türkei scheint sich mittlerweile mit einem politischen Überleben Assads abzufinden, sucht aber eine Annäherung an Russland, um den iranischen Einfluss vor Ort zu kontern. Der Iran wiederum stützt das Assad-Regime mit allen Mitteln, um seinen wertvollsten arabischen Verbündeten zu behalten.
Was bleibt, ist eine Übereinstimmung: der Kampf gegen den „Islamischen Staat“.