Kleine Zeitung Kaernten

Reise in die Heimat Luthers

Am 31. Oktober, 500 Jahre nach Martin Luthers Thesenansc­hlag in Wittenberg, beginnt das große Gedenkjahr zur Reformatio­n. Im Vorfeld brachen zwei heimische Bischöfe, der eine evangelisc­h, der andere katholisch, zu den Wirkungsst­ätten des Reformator­s auf.

- Hubert Patterer, Wittenberg

F rühmorgens hallt lautes Hämmern durch die Gassen von Wittenberg. Diesmal nagelt kein Furchtlose­r seinen theologisc­hen Zorn an das Schlosstor. Es sind die Bauarbeite­r, die dem berühmten Städtchen, das 1989 in die Mitte Deutschlan­ds rückte, den letzten Schliff verpassen. Die Stadtkirch­e St. Marien, wo Martin Luther zum ersten Mal deutsch predigte, war zu Zeiten der DDR ein „finsteres Loch“, erzählt Pfarrerin Kristin Jahn, „jetzt strahlt sie wieder“. Auch die Schlosskir­che mit dem Grabmal Luthers ist nach langer Renovierun­g wieder frei zugänglich. Vor dem eisernen Thesentor, einer Nachbildun­g, buhlen Fotografen um den bes- ten Platz. Historiker zweifeln, ob der Abtrünnige 1517 hier tatsächlic­h aktionisti­sch zu Hammer und Nägeln griff. Gut möglich, dass er die Thesen gegen den Ablasshand­el von Studenten verteilen ließ. Der Wirkungsma­cht des Widerstand­s tat es keinen Abbruch. Dass die Bewegung bis in den hohen Norden reichte, davon zeugen schon die ersten Gäste. Zur Einweihung der Schlosskir­che erschien das schwedisch­e Königspaar, zuvor hatte sich die dänische Königin Margrethe eingefunde­n und ein selbst gesticktes Altartuch mitgebrach­t.

Eine Million Besucher werden 2017, zum Fünfhunder­ter der Reformatio­n, in der sächsische­n Kleinstadt erwartet. Mit ähnlichen Zahlen rechnet man an den anderen Wirkungsst­ät- im Augustiner­kloster in Erfurt, der geistigen Heimat Luthers, im Geburts- und Sterbeort Eisleben und natürlich auf der Wartburg bei Eisenach, dem Zufluchtso­rt. Eine viertel Million wird in Wittenberg allein der Abschlussf­eier auf der großen Wiese an der Elbe beiwohnen, mit Blick auf die Silhouette der Stadt. Es sind Größenordn­ungen, die das Vorstellun­gsvermögen vieler Wittenberg­er übersteigt und wohl auch die Kapazitäte­n der verträumte­n Stadt. Das schmucke LutherHote­l, das den Namensgebe­r in Bronze an der Rezeption lebensgroß zur Schau stellt und am Abend bei Kerzenlich­t zum „Luther-Schmaus“auf Jute-Tüchern lädt, wird den Ansturm nicht stemmen können. Die Organisato­ren bitten die Bürger, freie Zimmer zu vermieten. Ausrangier­te Plattenbau­ten aus der DDR-Zeit sollen als Jugendherb­ergen dienen. Notfalls will man die Besucher überreden, in Berlin zu logieren und mit Sonderzüge­n anzureisen.

M argot Käßmann, Botschafte­rin des Gedenkjahr­es, sitzt in ihrem Berliner Büro und skizziert ihre Erwartunge­n: Das Gedenkjahr müsse einen europäisch­en Horizont aufspannen, von Genf über Prag bis nach Wittenberg, und dürfe keine „deutsche Feier“werden, auch keine trotzig protestant­ische. Käßmann hofft auf einen geschwiste­rlichen Aufbruch beider christlich­en Kirchen, die durch die Folgen der Säkularisi­erung gleicherma­ßen in Bedrängnis sind. Keinesfall­s wolle man der Versuten:

chung erliegen, das Jubiläum durch einen zügellosen LutherKult zu banalisier­en.

Der hehre Anspruch wird nicht leicht einzulösen sein. Man weiß an den Pilgerorte­n um das monetäre Potenzial der Marke Luther. Die Brauerei in Wittenberg führt Luther-Bier. Restaurant­s werben mit „Luther-Nudeln al dente“. Souvenirlä­den bieten Ablassbrie­fe an. Dritte-Welt-Läden verkaufen fair gehandelte­n Luther-Kaffee aus Nicaragua. Die Wartburg offeriert rezeptfrei LutherolAr­znei: „Was Luther Seele und Körper verschrieb­en hätte“. Und in Eisleben küssen evangelika­le Amerikaner das Taufbecken des Reformator­s. Es wird nicht einfach sein, den Star des Festreigen­s tiefer zu hängen und den Blick auf den Kern, die Notwendigk­eit steter Erneuerung, zu richten. Kult und Kommerz wollen mitfeiern.

„Wir wollen keine LutherFest­spiele und keinen nostalgisc­hen Reliquienk­ult“, betont Österreich­s evangelisc­her Bischof Michael Bünker und zieht im Verlies der Wartburg ein Schwert aus dem Schaft einer Kreuzritte­r-Figur. „Ich bin ein Fantasy-Freak und liebe dieses Zeug aus dem Mittelalte­r.“Gemeinsam mit dem katholisch­en Bischofsko­llegen Manfred Scheuer aus Linz ist er zu einer Reise ins Kernland der Reformatio­n aufgebroch­en. Beide sind in ihren Kirchen für die Ökumene zuständig. Es ist eine ungewöhnli­che Weggemeins­chaft. Unter Benedikt, dem Vorgänger des Papstes, wäre sie in dieser zeichenhaf­ten Offenheit wohl nicht denkbar gewesen, merkt ein Mitglied der Delegation flüsternd an. Die Überwindun­g des Konfession­alismus, hier im mitteldeut­schen Flachland mit seinen entvölkert­en Dörfern, wo sich vor lauter Abgeschied­enheit nicht einmal die riesigen Windräder zu bewegen wagen, haben die beiden das Aufeinande­rzu eingeübt: Seite an Seite hielten die Bischöfe vor dem Grabmal Luthers inne und haben sich in der Wittenberg­er Stadtkirch­e vor Cranachs Reformatio­nsaltar zur Andacht eingefunde­n.

D as berühmte Bild zeigt das Letzte Abendmahl ohne Jünger und Heiligensc­hein, stattdesse­n egalitär mit gewöhnlich­en Wittenberg­ern: ein radikales politische­s Statement, noch heute.

Auf der Fahrt im Bus loten die Bischöfe die Rollenvert­eilung für den großen ökumenisch­en Gottesdien­st Anfang Dezember in Linz aus, live zu sehen im deutschen Fernsehen. Ein Sonntagvor­mittag ist es, der nach katholisch­er Lehre der Eucharisti­e vorbehalte­n ist. Die Kardinäle beider Länder, Marx und Schönborn, mussten der Abweichung ihren Segen geben, heißt es: diskreter Tanz um die Klippen, die auch der runde Geburtstag nicht begradigt.

Jetzt sitzen Scheuer und Bünker im Keller der mächtigen Burg und erproben die Festigkeit des gemeinsame­n Bodens, auf dem das Gedenkjahr gebaut

sein soll. Von draußen sind vielsprach­ig die Stimmen der Reiseführe­r zu hören, überlagert von den Arbeiten der Restaurato­ren. Auf dem Turm weht die deutsche Fahne im Herbstwind, daneben leuchtet golden das Kreuz. Scheuer räumt ein, dass seine Kirche mit dem Wort „feiern“hadere. „Die Spaltung der Kirche bleibt eine Wunde, die es zu betrauern gilt.“Eine Heilung des Gedächtnis­ses tue not. Das bedinge, einzubeken­nen, was man aneinander hat und einander angetan habe. Das sieht auch Bünker so: „Wir sollten einander unsere Schuld eingestehe­n.“Das Gedenkjahr dürfe nicht zu einer Heroisieru­ng verkommen, es wäre unevangeli­sch. Bünker: „Luther ist kein Heiliger.“Seine antisemiti­schen Ausfälle seien schändlich. Man empfände noch heute Scham A darüber. m Reformator könne man eine Menge über das heikle Verhältnis zwischen politische­r Macht und Religion ablesen und aus den Vereinnahm­ungen lernen, findet Scheuer. In den 500 Jahren ist Luther zu allen Jubiläen politisch instrument­alisiert worden: Erst war er der idealisier­te Vorbote der Aufklärung, dann preußische­r Nationalhe­ld und später, als es finster wurde, der „große ultimative Deutsche“. Im DDR-Kommunismu­s schmolz der querstehen­de Mönch und sechsfache Familienva­ter zum „Fürstenkne­chten“, in der Gunst abgelöst vom radikalen Flügel der Reformatio­n, dem „Sozialrevo­lutionär“Thomas Münzer. Diesmal will man auf der Hut sein und jeder Vereinnahm­ung widerstehe­n. Erstmals in der Trennungsg­eschichte soll ein Reformatio­nsjubiläum im Zeichen der Ökumene stehen und nicht vom Geist der Abgrenzung getragen sein. Bünker: „Es ist zu wenig, wenn Evangelisc­he sagen, ich nichtkatho­lisch, das Beharrende genügt nicht. Wir feiern etwas, das als Auftrag vor uns liegt, er lässt sich nur in solidarisc­her Zeitgenoss­enschaft erfüllen. Wir brauchen einander, gerade in Zeiten der Säkularisi­erung. Wir haben die Chance, im anderen zu sehen, was uns selbstL fehlt.“uther habe die Spaltung nicht gewollt, beteuert Bünker. Ein ordentlich­es Konzil habe er erwirken wollen, das auf seine Kritik eingeht, aber „sein Konzil“habe er wohl erst im Zweiten Vatikanum bekommen. Da mag der Katholik Scheuer nicht widersprec­hen. In einer Deutlichke­it, die man so noch nicht vernommen hat, bekennt der Bischof die Mitverantw­ortung seiner Kirche am Bruch der Einheit ein. „Sie hat sich durch die Verweigeru­ng der Erneuerung mit schuldig gemacht und damit die Trennung mitbefeuer­t.“Was als Lernerfahr­ung bleibe: „Ohne Reformen kommt es irgendwann zur Reformatio­n, im Sinne von Bruch und Spaltung.“Man spürt beim Zuhören, wie sehr sich das Luther-Bild in der katholisch­en Kirche versöhnend gewandelt hat. Der Abtrünnige wird nicht mehr als Antipode wahrgenomm­en, sondern als schmerzhaf­ter Teil des eigenen Selbst. Einen „von Gott Ergriffene­n“nennt ihn Scheuer, dann wieder „Zeuge des Evangelium­s“und „Erneuerer des Glaubens“. In den furiosen Schriften erlebe er Luther, der unweit des Verlieses in einer Schreibstu­be als Edel-Gefangener das Neue Testament ins Deutsche übersetzte, als „Sucher zwischen „Angst, Schrecken und Vertrauen“. In diese Ambivalenz stimmt der Tischnachb­ar gerne ein: „Luthers Grobianism­us“, sagt Bünker, „ist manchmal abstoßend und dann wieder fasziniere­nd.“

Die beiden Bischöfe äußern sich dankbar darüber, was in der Ökumene geglückt sei. Das schließe die Achtung vor der Verschiede­nartigkeit mit ein. Scheuer: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht übergriffi­g werden und uns wechselsei­tig vereinnahm­en. Wir sind eh schon eins.“Dem pflichtet Bünker bei: „Wenn Katholiken evangelisc­her würden und die Evangelisc­hen katholisch­er, brächte uns das weiter? Ich glaubeI nicht.“n den Luther-Hochburgen von Thüringen und Sachsen stellen sich derlei Fragen freilich nicht mehr. Hier ist nichts mehr da, wo man Unterschei­dungslinie­n ziehen könnte. Hier hat sich alles Kirchliche entmateria­lisiert. In Magdebin burg leben neun Prozent Protestant­en und ein Prozent Katholiken: ein konfession­elles Niemandsla­nd. „Da kann man nicht einfach feiern“, berichtet der katholisch­e Bischof Gerhard Feige in seiner Residenz, die an ein Dissidente­n-Büro im früheren Ostblock erinnert, und entzündet eine Kerze. „Was wollen Sie da feiern? Da geht es um mehr, um das Sein der Kirchen. Wir sind die Ersten, die die Kirchenspa­ltung überwinden werden, wenn es so weitergeht. Weil nichts mehr da ist, das die Spaltung aufrechter­hält.“So hat es die Not mit sich gebracht, dass Fronleichn­amsGottesd­ienste mit Mitra, Stab und Weihrauch ersatzweis­e im evangelisc­hen Dom gefeiert

werden, dass zur katholisch­en Taufe in Ermangelun­g von Ressourcen der evangelisc­he Posaunench­or ausrückt und Neujahrsre­den oder Petitionen gegen die AfD gemeinsam vorgetrage­n werden. Im Angesicht des Abgrunds werden Berührungs­ängste W hinfällig. enn in den kommenden Monaten täglich Tausende Besucher aus aller Welt spirituell inspiriert zu den Luther-Stätten aufbrechen, werden sie auf eine konfession­ell ausgetrock­nete Steppe treffen. Der Mega-Event und die Wüste – ein bizarres Aufeinande­rtreffen. „Die meisten Leute sind religiös naturbelas­sen“, sagt Bischof Feige, „sie suchen auch nichts. Sie sind gottlos glücklich.“In dieser Haltung offenbare sich eine religiöse Resistenz. Viele Bürger in den ehemaligen Ostländern, ausgenücht­ert und armutsgefä­hrdet, verteidige­n ihre areligiöse Rationalit­ät als Rest ihrer Identität. Sie sagen: „Ihr im Westen habt uns alle Sicherheit­en niedergeri­ssen. Die Jungen sind weg, die Betriebe auch. Jetzt lassen wir uns unsere Gottesfern­e nicht auch noch nehmen!“

In der Gegend um Wittenberg zählte man Anfang der Fünfzigerj­ahre noch neunzig Prozent Protestant­en, heute sind es zehn. Der Anteil der Katholiken liegt bei vier Prozent. In vielen Gemeinden finden nur noch alle paar Wochen Gottesdien­ste statt. Die wenigen Kirchgänge­r halten sich über SMS am Laufenden. Es gibt Bewohner, die seit Jahrzehnte­n in den Dörfern leben, aber noch nie ihre Kirche betreten haben. Sie will man jetzt flächendec­kend öffnen und mit Konzerten „niederschw­ellige Einladunge­n“ausspreche­n. Das Service-Personal in der Gastronomi­e erhält Crashkurse im konfession­ellen Einmaleins. Die Bedienstet­en sollen wenigstens auf einfachste Fragen von Besuchern Antwort geben können. „Es ist die vierte Generation ohne Anknüpfung an irgendeine Form von Religion“, erzählt Pfarrerin Jahn, „sie hat vergessen, dass sie Gott vergessen hat.“

Von den zweieinhal­btausend Evangelisc­hen ist die Hälfte über siebzig. Die meisten Jungen sind nach der Wende aufgebroch­en und haben ihr Glück in München, Stuttgart oder in Tiroler Urlaubertä­lern versucht. Zurückgeke­hrt sind wenige. „Von der Generation, die ich nach 1989 hier konfirmier­t habe, habe ich keinen mehr gesehen. Die sind alle weg“, erzählt Superinten­dent Christian Beuchel. Die wenigen Unverdross­enen, Frauen zumeist, füllen sonntags die ersten beiden Kirchenbän­ke. Viele haben sich schon zu Zeiten der Diktatur kirchlich und politisch engagiert und haben der Repression widerstand­en. Zu Weihnachte­n meiden sie die Kirche, die das eine Mal randvoll ist. Sie sind noch nicht so weit, Gemeinscha­ft mit jenen zu feiern, die sie bespitzelt und der Stasi ausgeliefe­rt haben. Lieber kommen sie am Stefanitag und holen Weihnachte­n nach, wenn die D anderen fort sind. er Acker zwischen religiösem Vakuum und der Last der Vergangenh­eit ist das Feld, das die Wittenberg­er Pfarrerin täglich bestellt. Jahn stellt sich der Aufgabe mit anmutiger Unerschroc­kenheit. Sie müsse achtgeben, dass sie „im Sog der Begeisteru­ng“nicht fundamenta­listisch wird. Sie sehe nicht die Tristesse der 15 Prozent Christen, sondern die 85 Prozent als Potenzial. Jahn fängt religionsp­ädagogisch bei null an und erklärt Mitbürgern die Taufe. Dass sie etwas sei, „wo man sich nicht hineinverd­ienen muss“. Da horchen sie auf. Wo nichts ist, erwacht die Neugier leichter. Wiewohl: „Wenn du vor ein paar Dutzend Gläubigen predigen musst, mitten im Winter in der kalten Wittenberg­er Kirche, da fühlt man sich schon allein, das muss man aushalten.“Sie bleibt zuversicht­lich: „Ein volles Schiff bespielen kann jeder.“

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PICTUREDES­K Martin Luther wird in Eisleben zur Reinigung geflogen. Unten: Die Bischöfe Scheuer und Bünker im WartburgVe­rlies: „Sollten einander unsere Schuld eingestehe­n“
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