Kleine Zeitung Kaernten

Ohne Werte bleibt nur die Fassade

Die EU ist unter Druck, ihr Wertekonse­ns ist brüchig geworden. Woran liegt das? Die Konferenz „Österreich 22“tastete sich virtuos durch die Zumutungen der Gegenwart.

- Von Ernst Sittinger

W ährungsuni­on und Dublin-Schengen-System: Zwei große, zentrale Projekte der europäisch­en Einigung sind mehr oder minder außer Funktion. Was ist da los? Bietet die EU womöglich nur einen „Schönwette­rRechtsrah­men“, der nicht mehr funktionie­rt, wenn Schlechtwe­tter aufzieht?

Diese provokante These befeuerte am Freitag die Zukunftsko­nferenz „Österreich 22“in Graz. Womöglich haben wir die EU-Gemeinscha­ftsprojekt­e zu rasch umgesetzt, und jetzt scheitern wir an diesem Ehrgeiz. So sieht es der frühere deutsche Verfassung­srichter Udo di Fabio. Denn die westliche Gesellscha­ft gründe nicht auf Sozialtech­nik von oben, sondern auf Freiheit von unten.

„Wir können die Struktur einer Gesellscha­ft nicht vollstän- dig politisch vorgeben“, warnt der Jurist. Das sei die Konsequenz der individuel­len Freiheit. Man könne zwar fordern, dass der Einzelne Verantwort­ung trägt und konstrukti­v am politische­n Leben teilnimmt, aber wenn er sich weigert, wird es schwer. Eines dürfe nämlich nicht sein: „Dass diejenigen, die die Interpreta­tionsmacht besitzen, den anderen sagen, was sie denken sollen.“

Überhaupt müsse die EU die innenpolit­ischen Primärbedü­rfnisse ihrer Mitgliedst­aaten respektier­en: „Wir müssen uns ehrlicher machen, sonst wird die EU zu einer byzantinis­chen Fassade.“Ein aktuelles Beispiel: „Sozialtech­nische Vorstellun­gen, wir könnten Migranten nach einem festen Schlüssel verteilen, sind nicht durchsetzb­ar. Das wäre ein Mehrheitsb­eschaffung­sprogramm für Rechtspopu­listen.“Di Fabio wünscht sich das Aushalten von

Newspapers in German

Newspapers from Austria