Lostag für Europa
Die EU gibt Belgien bis heute Abend Zeit, um dem Handelspakt mit Kanada zuzustimmen. Andernfalls wird die Unterzeichnung am Donnerstag abgeblasen.
E U-Parlamentspräsident Martin Schulz stellte noch einmal unmissverständlich klar: „Die Verhandlungen sind vorbei.“Neben ihm stand Walloniens Premier Paul Magnette. Gelassen sagte er: „Wir werden die Vorschläge prüfen.“Es wird also weitergepokert um Ceta, den Handelspakt der EU mit Kanada. Aber seit dem Wochenende ist klar: Die Gespräche mit Kanada sind vorbei. Europa ist am Zug. Gerüchten zufolge hat die EU Belgien eine Frist bis heute Abend für die Zustimmung gesetzt. Andernfalls werde der für die Unterzeichnung geplante Gipfel mit Kanada am kommenden Donnerstag abgesagt, hieß es.
„Europa ist eben manchmal ein bisschen kompliziert“, sagte Magnette. Das ist leicht untertrieben. Er und sein Landesparlament blockieren Ceta trotzig. Ohne Mandat aus der Wallonie Mandat aus Belgien. Und damit auch kein Mandat der EU.
Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland hatte nach dem zweiten negativen Votum des wallonischen Parlaments binnen sieben Tagen genug. Sie drohte am Freitag mit ihrem Abflug. „Ich bin sehr enttäuscht, dass die EU nicht mal in der Lage ist, mit einem derart europäisch gesinnten Land wie Kanada ein Freihandelsabkommen abzuschließen“, sagte sie. Mit Tränen in den Augen.
Ihre Familie daheim in Kanada musste dann doch noch ein wenig warten. Parlamentspräsident Schulz fing Freeland ab und bat am Samstag zum vermittelnden Gespräch. Getrennt empfing er Freeland und Magnette im Europäischen Parlament. Getrennt traten sie vor die Presse: „Unsere Aufgabe ist erledigt. Der Ball liegt nun im Feld der Europäer“, sagte Free- land. „Ich bin nicht hier, um neue Probleme zu schaffen“, sagte Magnette. Und Schulz erklärte: „Ich bin optimistisch.“
Schulz kann den Wind freilich nicht ändern, nur die Segel drehen. Aber das versucht er. Der Deutsche kämpft gerade um die Fortsetzung seiner politischen Karriere: in Brüssel um eine Verlängerung seines im Jänner auslaufenden Mandats als EUParlamentspräsident. In Berlin um die Kanzlerkandidatur der desolaten SPD. Aber nicht nur Schulz, auch der linke Sozialdekein mokrat Magnette will hoch hinaus. Sein Vorgehen hatte sowohl seinen Parteichef, den ehemaligen belgischen Premier Elio Di Rupo, als auch den derzeitigen liberalen belgischen Premier Charles Michel ausgekontert. Freelands Reisewarnung stellte ihn bloß. Auch Magnette braucht eine Lösung.
Ebenso wie die EU. Es geht um ihre Glaubwürdigkeit, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte. Im Bemühen, die Basis einzubinden und die Kritiker zu besänftigen, hatte die EU-Kommission im Juni nachgegeben
und Ceta den nationalen und regionalen Parlamenten vorgelegt. Doch Basisdemokratie ist beschwerlich. Schon beginnt die Suche nach Verantwortlichen. Der frühere EU-Handelskommissar Karel De Gucht, ein Liberaler aus Flandern, gegen seine Nachfolger in Brüssel. EU-Kommissar Günther Oettinger gegen SPD-Chef Sigmar Gabriel und dessen Wackelkurs. Und Österreichs Kanzler Christian Kern grantelte mit Blick auf die komplizierten Entscheidungsabläufe in Brüssel: „Diese EU ist jetzt auf dem Tief- punkt. Es ist evident, dass wir ein Problem haben.“
Und Freeland? Sie taugt den Ceta-Kritikern kaum als neoliberale Galionsfigur. Am Donnerstag soll Ceta unterzeichnet werden. Freeland reiste am Samstag tatsächlich ab. Ohne Tränen. Und mit einer leisen Hoffnung. „Ich hoffe, dass ich in ein paar Tagen mit Premier Justin Trudeau zurückkomme.“
Freeland fliegt. Die Verantwortung für Ceta bleibt zurück in Europa. Trudeaus Abflug ist für Montagabend geplant. Bis dahin muss eine Einigung her.