Janko Ferk geht mit Geistesdiebstahl ins Gericht.
Das Plagiat bildet die geistige Demarkationslinie zwischen dem redlichen Wissenschaftler und dem unredlichen Dieb geistigen Eigentums.
Dieses Essay beginnt mit einem Zielkonflikt: Ich will etwas Phantasievolles über etwas Phantasieloses verfassen, zumal letztlich jedes strafbare Verhalten geistlos ist. Vor allem soll ich nichts ohne Zitierung abschreiben, weshalb ich unwillkürlich an den kalifornischen Dramatiker Wilson Mizner (1876–1933) denke, der eine scherzhafte Begriffsbestimmung geprägt hat: Aus einem Buch abschreiben ist ein Plagiat, aus zwei ein Essay, aus drei eine Kompilation und aus vier eine Dissertation.
In Österreich hat ein Plagiatsjäger oder – nobler ausgedrückt – Plagiatsforscher die Auseinandersetzung mit dem geistigen Diebstahl salonfähig gemacht, wogegen prinzipiell nichts einzuwenden ist, solange die Forschung wissenschaftlich bleibt. Ihren Ausgang hat die unrühmliche Sache beileibe nicht in Graz genommen. Auch erfolgreiche Autoren, wie Dan Brown mit seinem „Sakrileg“, hatten mit Plagiatsvorwürfen zu kämpfen und jüngst traf es eben einen in der Öffentlichkeit stehenden Steirer-Mann hart. Mit Bescheid wurde er seinen Doktor los. Gerühmt sei die akademische Redlichkeit der Grazer Universität.
Doch zunächst zur Begriffsbestimmung. Meine felsenharte Lateinprofessorin hätte gewusst, dass das Plagiat aus ihrer Sprache, und zwar vom Wort plagium, abgeleitet wird, das in unserer Spra- che ganz lebendig Menschenraub heißt, womit nichts anderes gemeint ist als die Vorlage fremden geistigen Eigentums als höchstpersönliches. Dabei kann es sich um ein ganzes oder um Teile eines Werks handeln. In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, in welchem Ausmaß sich Plagiatoren zweier Probleme bewusst sind. Das erste ist die Tatsache, dass das Plagiieren, wie bereits aufgezeigt, strafbar ist, und zweitens zivilrechtlich Schadenersatzforderungen nach sich ziehen kann. Wer, wenn er wüsste, dass er sich nach dem Stehlen mit dem Bestohlenen vor Gericht, einem besonderen akademischen Forum, treffen kann, würde weiter gedanken- und schamlos abschreiben? Nur der beinahe Hirnlose oder besonders Verwegene, meine ich.
Der älteste Plagiatsfall ist aus dem Rom des ersten Jahrhunderts nach Christus belegt, wo ein – heute völlig unbedeutender – Poetaster, der damals auf den Namen Fidentinus gehört hat, Gedichte des Verseschmieds Martial als seine bekannt gemacht hat.
Ein Vorgang, der heute ebenso und durchaus vorstellbar wäre. Die Tat wurde schon vor zweitausend Jahren geächtet. Im Lauf der Geschichte wurde auf diesem Gebiet so viel gestohlen, dass einem der Platz fehlen würde, all die betreffenden „Dichter“auch nur exemplarisch hinreichend zu würdigen.
Natürlich darf das Zitieren nicht mit dem Plagiieren verwechselt werden. Die Wiedergabe eines kurzen Zitats unter korrekter Angabe der Quelle, die auf den Urheber hinweist, wird nie ein Problem sein. Eine Dissertation oder Habilitation wird ohne solche Hervorbringungen nie auskommen können. Es wäre geradezu unakademisch, bisherige Forschungsergebnisse nicht gleichsam redundant „einzubauen“. Die Resultate der gelehrten Vorfahren liefern die Bausteine für das eigene und – hoffentlich – neue akademische Gebäude, was jeder, der wenigstens einmal im Leben eine Seminar-, Diplomoder sonstige anspruchsvolle Arbeit verfasst hat, gern bestätigen wird.
Das Urheberrecht unterscheidet das „kleine“und „große Zitat“. Der Oberste Gerichtshof hat dazu im Jahr 1995 zu Recht erkannt, dass es zulässig ist, „in eine Dissertation ... im Rahmen des wissenschaftlichen Großzitats, eine größere Anzahl von Zitaten aufzunehmen, wenn der Schwerpunkt auf der eigenen geistigen Leistung des Zitierenden liegt“. In derselben Entscheidung hat der Gerichtshof noch konstatiert, dass „ein Werk wissenschaftlich ist, wenn sich sein Gegenstand zur wissenschaftlichen Behandlung eignet und der Urheber des Werks durch die Art und Weise der Behandlung des Themas ... die Absicht erkennen lässt, dass sein Werk wissen-
schaftlichen Zwecken dienen soll“.
Ein Zitat ist dann erkennbar, wenn im unmittelbaren Zusammenhang auf seine Eigenschaft als Zitat hingewiesen wird. Aufklärungen an späterer Stelle eines Sprachwerks reichen für ein ordnungsgemäßes Zitieren nicht aus. Heutige Plagiate führe ich auch darauf zurück, dass der wissenschaftliche Nachwuchs nicht mehr korrekt zitieren kann. Älteres Abschreiben war wohl reine Unverschämtheit.
Man kennt noch weitere Unterscheidungen, und zwar das Total- sowie Teilplagiat oder das Verbalplagiat, das Formulierungen mit dem Wortlaut übernimmt. Gefinkelter oder gar gewinkelter ist das Ideenplagiat, das das Ergebnis übernimmt, ohne den Urheber zu nennen, was nicht selten vorkommen soll, aber ganz selten wirklich nachgewiesen werden kann.
Das Ideenplagiat darf jedoch nicht mit der Umsetzung einer literarischen Grundidee verwechselt werden. Ein und dasselbe Sujet wird sich in der Literaturgeschichte zigmal wiederfinden, beispielsweise der Kaspar-Hauser-Stoff. Trotzdem kommt es immer wieder zu Prozessen, in denen Dritte behaupten, ein Bestsellerautor habe ihre Idee literarisch umgesetzt. Noch dazu in bare Münze. Die Streitwerte betragen naturgemäß mehrere Millionen Euro oder vor allem Dollar. Die forensische Erfahrung sagt, dass bei solchen Rechtshändeln nichts herauskommt, weil das Ideenplagiat kaum be- und nachweisbar ist.
Vergleichen Sie doch in einer ruhigen Minute Kafkas „Verwandlung“und Handkes „Stunde der wahren Empfindung“! Ein und dieselbe Grundidee. Ein Sujet. Aber nicht einmal der kauzigste Germanist würde ernsthaft behaupten, ein Großer hätte hier von einem Unerreichbaren abgekupfert.
Im universitären Bereich sieht das Gesetz eine Sanktionierung „über die Note“vor, wenn die Erschleichungshandlung noch vor erfolgter Beurteilung, aber nach Abschluss des Prüfungsvorgangs entdeckt wird. Der Prüfer bekommt in diesem Fall eine abgeschriebene Arbeit zur Beurteilung. Nun hat der Professor zwei Möglichkeiten. Die erste ist die Notengebung und die zweite die nachträgliche Nichtigerklärung. Siehe Grazer Exempel! Die Studentin oder der Student, je nach dem Stadium der wissenschaftlichen Karriere, haben mit zwei Folgen zu rechnen. Vor dem Studienabschluss könnten sie von der Universität ausgeschlossen, danach könnte ihnen der akademische Grad aberkannt werden. Noch unangenehmer und peinlicher kann es sein, wenn außeruniversitär für die Erschleichungshandlungen straf- und zivilrechtliche Konsequenzen drohen. Falls die Studenten auch nur eine Ahnung von den Folgen hätten, würden sie keine Zeile „entlehnen“. Beziehungsweise müsste die kriminelle Energie, die für den Geistesdiebstahl notwendig ist, eine besonders große sein.
Eines aber darf ich ungestraft tun: Von mir selbst abschreiben. Die Wissenschaft spricht von einem Autoplagiat. Und mit aller Arroganz kann ich sagen, dass ich mir damit wenigstens nicht meinen Stil verhaue. Daraus folgt, dass die Geistesdiebe entweder keinen Stil haben oder kein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Beides schlimm genug.