Kleine Zeitung Kaernten

Einstürzen­de Altbauten

Nach der Scheidung ist vor der Scheidung: SPÖ und ÖVP behelligen das Publikum mit der Schuldfrag­e und treiben hohen manipulati­ven Aufwand. Versuch einer Klärung.

- Hubert Patterer

Man kennt das von Geschieden­en. Nach der Scheidung ist vor der Scheidung, denn es beginnt der Kampf um die Deutungsho­heit in der Kommunikat­ion nach außen. Beide Seiten buhlen im persönlich­en Umfeld um Verständni­s für die jeweils eigene zurechtges­chminkte Rolle. Es geht um Selbstentl­astung und die Auslagerun­g von Verantwort­ung. Es sind Werbekampa­gnen mit beschränkt­em Unterhaltu­ngswert für das Publikum.

Ähnlich gebärden sich die getrennten Partner der Regierung. Beide, SPÖ wie ÖVP, weisen dem jeweils anderen die Schuld an Trennung und Neuwahl zu. Christian Kern flunkert in seiner Erzählung, er habe die Arbeit und nichts als die Arbeit im Sinn gehabt. Leider sei er durch den überschüss­igen Ehrgeiz eines Karrierist­en unterlaufe­n worden. Sebastian Kurz suggeriert, dass Scherben und Rauch so gar nichts mit ihm zu tun hätten, auch nicht die von ihm als Trennungsu­rsache benannte dürre Frucht des Regierens, obwohl er sechs Jahre Teil davon war, oder doch nicht? Die Neuwahl wird als Beschluss des Parteien-Kollektivs hingestell­t. So kann etwas zugleich richtig und falsch sein.

Beide operieren mit Stilisieru­ngen: der eine als selbstlose­r Held der Arbeit. Der andere als Quereinste­iger von außerplane­tarischer Herkunft. Von außen lässt sich die Schuldfrag­e rasch klären. Die Trennung selbst war ein Werk der ÖVP, ausgelöst durch Mitterlehn­ers Rücktritt und vollzogen durch die machiavell­istische Volte von Kurz. Er entschied sich für das Momentum des Bruchs. Die „schlechten Kompromiss­e“, die als Begründung nachgereic­ht wurden: türkise Girlanden.

Das Klima des Misstrauen­s hingegen haben beide Seiten zu verantwort­en. Hier ist auch der Kanzler nicht frei von Mitverantw­ortung. Sein achtlos in die junge Liebe geworfenes Reizwort von der Maschinens­teuer, der Rückfall in die Orthodoxie bei Ceta und die Solonummer mit der Regierungs­erklärung zu Neujahr: All das war dem Miteinande­r wenig zuträglich und hat Mitterlehn­er gegenüber den Brunnenver­giftern geschwächt. instürzend­e Altbauten hat Ursula Plassnik die Volksparte­ien in Anspielung auf eine Punk-Band kürzlich genannt. Kern und Kurz versuchen, das Abbruchpro­jekt über das Hybridmode­ll eines Einpersone­nunternehm­ens zu stoppen. Die Parteien bleiben unsaniert und abgedunkel­t im Hintergrun­d. Ummantelt werden sie von Ich-AGs, erprobt in der Darstellun­gskunst und ausgestatt­et mit dem Machtanspr­uch von Monarchen.

Entsteht Neues? Kurz ist nicht Macron, er spielt ihn, seine erste Beförderun­g galt einer Bauernbünd­lerin. Kurz kann rücksichts­loser sein, Kern muss die Partei periodisch bei Laune halten, weil sie personell weniger nackt (Doskozil) und ein Dino noch im Gehege ist (Häupl). Aber die leise Öffnung zur FPÖ und die restriktiv­e Haltung bei der Zuwanderun­g: Es sind beides Selbstermä­chtigungen. Sie sind kein Rechtsruck, sondern ein Ruck hin zu pragmatisc­her, machtpolit­ischer Vernunft. Da kennen sich beide recht gut aus.

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