Kleine Zeitung Kaernten

„Wir leben in einer Wüste der Bilder“

Goran Fercˇ ec, zurzeit Writer in Residence im Wiener Museumsqua­rtier, liest am 30. Mai in Klagenfurt. Ein Gespräch über den Stillstand in Kroatien, Peter Handke und Sprachgefü­hle.

- Von Uschi Loigge

Seit Anfang Mai ist Goran Fercˇec „Writer in Residence“im Wiener Museumsqua­rtier. Der 38-jährige Schriftste­ller, Dramatiker und Theatermac­her gewann 2007 den österreich­ischen Dramenwett­bewerb „Über Grenzen sprechen“, 2011 erschien sein erster Roman „Hier sind keine Wunder zu erwarten“, 2015 folgte der Essayband „Handbuch für gestern“. Am 9. Juni wird sein neues Stück „Arbeitssch­lachten“(Teil einer Trilogie) in Zagreb uraufgefüh­rt. Die Lesung von Goran Fercˇec im Klagenfurt­er Musilmuseu­m, moderiert die Kärntner Kulturmana­gerin Annemarie Türk.

Wie lebt es sich als „Writer in Residence“?

GORAN FERCEC:ˇ Es ist das Beste, was einem passieren kann. Beim Schreiben kommt man unweigerli­ch an den Punkt, an dem man sich fragt, was das überhaupt soll. Ob das irgendjema­nd braucht. Diese Programme helfen, ein Buch zu Ende zu bringen. Es sind Inseln, die dir das Gefühl geben, dass es richtig und wichtig ist, was du tust.

Aber die Menschen brauchen doch Geschichte­n ...?

Immer weniger. Narrativ und Geschichte­n haben sich durch die permanente Bilderflut verändert. Wir leben in einer Wüste der Bilder. 2015 wurden mehr Fotos gemacht als in der gesamten Zeit, seit es die Fotografie überhaupt gibt. Das schafft eine völlig neue Aufnahmefä­higkeit bei den Menschen, die Geschichte steht nicht mehr im Mittelpunk­t und das hat natürlich Einfluss auf die Literatur.

Welche Geschichte erzählen Sie in dem Buch „Hier sind keine Wunder zu erwarten“?

Meist antworte ich, ich habe 250 Seiten nur wegen des Kapitels geschriebe­n, in dem ich mit dem Vater abrechne. Das ist natürlich ein Witz, aber es gibt tatsächlic­h ein Kapitel darüber wer der Stärkere ist, Vater oder Sohn. Es ist eine Geschichte über die Nachkriegs­zeit in Kroatien. Der Krieg war 1996 zu Ende und seither gibt es keine nennenswer­te Entwicklun­g, weder in politische­r noch in gesellscha­ftlicher und schon gar nicht in ökonomisch­er Richtung. Ich schreibe nicht über die Hauptstadt und besser entwickelt­e Gebiete, sondern über Westslawon­ien. Können Sie sich vorstellen, dass meine Großmutter dort alleine in einem Dorf lebt. Es ist ein serbisches Dorf in der Nähe von Pakrac, alle haben ihre Häuser verlassen, nur meine Großmutter, sie ist Serbin, ist geblieben. Die andere Frau im Dorf, nennen wir sie Ana, stand im Winter plötzlich vor der Tür und bat die Großmutter, ob sie bei ihr übernachte­n kann, weil sie befürchtet­e, dass ihr das Dach wegen des vielen Schnees auf den Kopf fällt. 2017! So etwas wird in Kroatien einfach ausgeblend­et. Da wird nicht investiert. Die

Menschen haben gar keine andere Möglichkei­t als wegzugehen. Und das ist nur wenige Stunden Autofahrt von hier.

Fühlen Sie sich als Serbe oder als Kroate oder trauern Sie dem alten Vielvölker­staat Jugoslawie­n nach wie Peter Handke?

Handke ist mein Lieblingsa­utor, ich verehre ihn und habe alles gelesen, was von ihm übersetzt ist. Was Handke als Miloˇsevic´Freund gemacht hat, war leider eine intellektu­elle Dummheit. Ich möchte das vergessen, er war wie ein kleines Kind, dass seinen Fehler nicht einsehen wollte. Aber Sie haben mich nach meiner Identität gefragt. Ich identifizi­ere mich mit der Sprache, in der ich schreibe. Ich schreibe Kroatisch und das ist auch eine Form von Provokatio­n, weil ich kein reines Kroatisch verwende, sondern alle Einflüsse, serbische, bosnische dazunehme. Ich mache es in gewisser Weise schmutzig, aber eigentlich ist es wunderschö­n und sehr lebendig. Nationale Muster interessie­ren mich nicht. Hier im Museumsqua­rtier stehen die Namen aller Künstler auf einer Tafel, ich hätte das HR bei mir am liebsten entfernt. Ich betrachte mich als Mann ohne nationale Identität. Die serbische Familie meiner Mutter kam von Bosnien nach Westslawon­ien, mein Vater ist aus Zagorje nahe der slowenisch­en Grenze.

Mit Ihrem Text „Brief an Heiner Müller“haben Sie 2007 den österreich­ischen Dramenwett­bewerb „Über Grenzen sprechen“gewonnen.

Im „Brief an Heiner Müller“schicke ich einen Mann von einer Stadt in die andere. Die Reise ist eine Performanc­e, die immer mehr nach einer Terrorakti­on aussieht. Man denkt, um Himmels willen, was macht er jetzt als Nächstes. Als er im Flughafeng­ebäude im Warteraum sitzt, glaubt man, er wird alles in die Luft jagen. Aber er nimmt dann nur den Brief an den deutschen Schriftste­ller Heiner Müller aus der Tasche und sieht das als Terrorakt.

Wie wichtig ist es, ins Deutsche übersetzt zu werden?

Für mich ist das am wichtigste­n überhaupt. Alles, was ich schreibe, sollte auf Deutsch erscheinen. Englisch ist für mich nicht so notwendig. Ich glaube, im anglikanis­chen Bereich kann man mit europäisch­er Literatur nicht so viel anfangen. Weil wir immer mit einer Geschichte auch ein Problem behandeln. In kleine Sprache übersetzt zu werden, ist auch wichtig. Aber Deutsch ist die Kulturspra­che zeitgenöss­ischer Autoren, auf Deutsch erscheint praktisch alles, was wirklich wichtig ist und daran orientiere­n sich dann die weiteren Übersetzun­gen.

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Goran Fercˇec: „Deutsch ist die Kulturspra­che zeitgenöss­ischer Autoren“

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