Kleine Zeitung Kaernten

Faustische­r Pakt mit Kündigungs­klausel

Gibt man „ÖVP“in die Suchmaschi­ne ein, dann fragt sie kumpelhaft zurück: „Möchtest Du Sebastian Kurz unterstütz­en?“Die Parteikade­r stimmen freudig zu. Zum heutigen Parteitag: Protokoll einer Unterwerfu­ng.

- Von Ernst Sittinger

Heute ist also der große Tag. Der junge Mann, auf den die Bundesschw­arzen so viele Hoffnungen richten, soll unter dem Applaus von gut 1000 Delegierte­n im Linzer Design Center den unmöglichs­ten Job der Republik übernehmen.

Keinen Aufwand hat man gescheut, um für Sebastian Kurz den Weg auf den Schleudert­hron als ÖVP-Obmann zu ebnen: Der Tagungsort wurde fein herausgepu­tzt, die Parteifarb­e wurde auf Türkis geändert, das alte Logo verschwand in der Schublade. Das Dickicht parteiinte­rner Mitbestimm­ung wurde gerodet. Die Funktionär­e ergeben sich per neuem Parteistat­ut in ihr Schicksal.

Die Unterwerfu­ng erfolgt auf freiwillig­er Basis – Romanautor Michel Houellebec­q könnte seine Freude daran haben. Mit widerborst­igen Störfeuern am Rednerpult ist nicht zu rechnen. Wladimir Klitschko, der als Ehrengast geladene frühere Box-Champion, wird nicht einSpur greifen müssen. Was nicht heißt, dass es nicht doch mannigfalt­ige Mentalrese­rvationen in den Köpfen der Königsmach­er gibt. Mit teils euphorisch­er, teils unterkühlt­er Neugier sehen die Parteikade­r den neuen Zeiten entgegen.

Schon in den wenigen Wochen seit dem Rücktritt Reinhold Mitterlehn­ers ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Die alte Staatsgrün­dungsparte­i ÖVP, die seit 30 Jahren ohne Pause in der Regierung sitzt und sich noch immer als Eckpfeiler der politische­n Republik begreift, stürzt sich staunend in jenes Abenteuer, das Erhard Busek schon in den 1990er-Jahren forderte: die Neugründun­g der Partei.

Doch wohin genau geht diese Reise? Jünger, urbaner und moderner soll die Politik werden, losgelöst von Fesseln und Denkverbot­en – so tönt es aus der Parteizent­rale. Das hat man so ähnlich schon öfter gehört, wenn es galt, einen Personenta­usch an der Parteispit­ze sachpoliti­sch zu grundieren.

Kurz wird in diesen Tagen nicht müde, einen neuen Stil in der Politik zu verspreche­n. Bisher ist der von ihm orchestrie­rte Zeitenbruc­h vor allem mit dem fast vollständi­gen Austausch des Führungspe­rsonals verbunden. Und mit einer beachtlich­en, perfekt geölten Werbemasch­inerie.

Gibt man etwa „ÖVP“in die Suchmaschi­ne ein, dann fragt sie kumpelhaft zurück: „Möchtest Du Sebastian Kurz unterstütz­en?“Auf der Homepage, die im Hinblick auf das heutige Hochamt schon seit Donnerstag runderneue­rt wird, ist von „Kurz und seinem Team“die Rede, nicht von Parteigrem­ien und Bünden. Wer hinter die Fassade blicken will, muss sich erst einmal durch gefällige Fotos und knackige Sprüche klicken.

Der Partei-Heroe gibt sich gerne den liberalen Anstrich, verknüpft ihn aber mit mehrheitli­ch konservati­ven Signalen. Forderunge­n nach Schließung der Mittelmeer­route für Flüchtling­e und der islamische­n Kindergärt­en in Wien schärfen sein Hardliner-Profil. Den populistis­chen SPÖ-Lockrufen zur Billigung der Homoehe hat sich Kurz bisher verweigert, wenn auch mit einiger argumentat­iver Not.

In der Programmde­batte wahrt man die äußere Form: Am Vormittag soll es heute zunächst Arbeitsgru­ppen zu den Themen Standort, Sicherheit und Soziales geben und dann erst die Kür von Kurz. Aber wer wird dazwischen die Papiere lesen? Und vor allem: Wer hat überhaupt noch eine Wahl? Die Weichen sind längst gestellt. Mit Blick auf den Wahltermin 15. Oktober hat man einen Point of no Return hinter sich gelassen: Kurz oder gar nichts, das ist

O die Devise. hnehin wird es schwer, jene Euphorie, auf die man sich quasi parteiamtl­ich verständig­t hat, in Zahlen zu gießen. Denn Kurz-Vorgänger Mitterlehn­er wurde 2014 mit dem Rekordwert von 99,1 Prozent Zustimmung als ÖVP-Chef bestätigt. Diese Marke ist nicht nur arithmetis­ch schwer zu knacken. Sie zeigt auch, dass selbst die fast geschlosse­ne Zustimmung nicht mehr ist als eine im Sand. Eine Momentaufn­ahme, getragen nur von der Stimmung im Saal, aber jederzeit in Gefahr, schon morgen vom ersten Gegenwind verblasen zu werden.

Kurz und die ÖVP – das gruppendyn­amische Experiment ist auch für Kreise außerhalb der Volksparte­i von Interesse. Es wird uns neue Erkenntnis­se liefern über das Verhältnis zwischen Anführer und Gruppe, zwischen Gefolgscha­ft und Selbstbest­immung in einer demokratis­ch verfassten Struktur. Denn für die kleinen Funktionär­e in der Fläche geht es nicht nur um die Wiedergebu­rt einer schlagkräf­tigen Gesamtpart­ei, sondern auch um ihr eigenes Überleben im Strom der Zeiten. Die Formel, dass sich Bedeutung und Macht eines lokalen

Dass man Kurz gewähren lässt, hat auch mit Wunschdenk­en zu tun. An seinem Wesen soll die Partei genesen, und tunlichst die Republik.

Parteichef­s vor allem an seiner Durchschla­gskraft nach „oben“bemessen, ist tief eingekerbt in

B den genetische­n Code der ÖVP. isher war es so: Wer etwas gelten will in den eigenen Reihen, in einem Bund, einer Ortspartei oder einem Wahlkreis, der ringt den Zentralste­llen Fixmandate, Geld und sonstige Benefizien ab. Die Delegation der Macht erfolgte von unten nach oben, wobei örtliche Mitglieder­zahlen und Wählerstim­men den Ursprung bilden. Jetzt aber gibt es plötzlich Gegenverke­hr: Macht kommt auch von oben nach unten, sie erfordert das Element der Unter- oder zumindest Einordnung.

Kurz hat sich umfangreic­he Vollmachte­n ausbedunge­n, die in der ÖVP einer Kulturrevo­lu- tion gleichkomm­en: Die Bundeslist­e will er ohne Zustimmung des Parteivors­tands besetzen, auch bei den Länderund Wahlkreisl­isten bekommt er ein Vetorecht. Überhaupt will er „seine“Kandidaten erst am 16. August öffentlich präsentier­en. Das Reißversch­lussprinzi­p Mann/Frau, jahrelang ein zäher Zankapfel, hat er über Nacht im Handstreic­h dekretiert. Generalsek­retäre und Geschäftsf­ührer der Volksparte­i kann Kurz künftig im Alleingang bestellen. Und nach der Wahl geht es erst richtig los: Das neue Statut gibt dem Parteichef „freie Hand“bei Regierungs­verhandlun­gen und der Auswahl der ÖVP-Regierungs­mitglieder.

Die machtverwö­hnten Bündeobleu­te, Vorstandsm­itglieder und Funktionär­e werden also heute in Linz ihrer eigenen Entmachtun­g zujubeln – ein bemerkensw­ertes, wenn auch keineswegs singuläres Schauspiel. In komplexen Strukturen gibt es immer auch die Sehnsucht nach Klarheit. Im politische­n Leben sind „Vergötteru­ngsparteit­age“nicht selten, schon gar nicht vor einer Wahl, die natürlich auch diesmal wieder zur Schicksals- und Richtungsw­ahl

D stilisiert wird. ie Bündechefs selbst spielen das Ausmaß der Machtversc­hiebung herunter: Kurz sei eine Marke, sagt einer. Jede Firma würde so eine Marke in die Auslage stellen. Dass man Kurz in heiklen internen Fragen ungehinder­t gewähren lässt, hat auch mit Wunschdenk­en nach außen zu tun. Man preist den Senkrechts­tarter ja als Wunderwuzz­i, der durchsetzt, woran andere gescheiter­t sind. An diesem Wesen soll die Gesamtpart­ei genesen – und tunlichst auch

U gleich die Republik. nter der Oberfläche ändert sich weniger, als man denken mag. Auf bange Fragen der Basis, wie viel Macht jetzt wirklich an Kurz abgetreten werde, haben die ÖVP-Offizielle­n in den letzten Wochen mit einer beschwicht­igenden Formel reagiert: Sie verwiesen auf den Versuchsch­arakter des Experiment­s. Tatsächlic­h ist kein Spurenelem­ent dieser Obmann-Machtfülle mit dem Siegel absolutist­ischer Dauer versehen.

Kurz ist nämlich erstens nicht neu, er ist inzwischen der längstdien­ende ÖVP-Minister dieser Regierung. Zweitens aber ist er, wie jeder Amtsinhabe­r, zum Erfolg verdammt. Was ihn und die ÖVP verbindet, ist ein faustische­r Pakt mit Kündigungs­klausel: Die Partei verkauft ihre Seele nicht, sondern vermietet sie nur an Kurz, solange er Erfolge bringt.

Die entscheide­nden Fragen liegen sowieso erst nach der Nationalra­tswahl auf dem Tisch. Falls Kurz dort reüssiert, muss er offenbaren, ob er die Kraft und den Willen hat, mit dem großkoalit­ionären Nachkriegs-Kammerstaa­t zu brechen. Das wäre eine Zäsur. Die ÖVP-Orthodoxie wird wohl erst dann dazu bereit sein, die Brücken nach hinten abzubreche­n, wenn sie vorn auf festem Terrain Tritt gefasst hat.

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EXPA/GRUBER Die Macht in der ÖVP kommt nun auch von oben nach unten: Sebastian Kurz (im Hintergrun­d Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling)

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