Armutszeugnis
Die Sozialpartner legten bei den Verhandlungen über flexiblere Arbeitszeiten einen Bauchfleck hin – womit eine zentrale Standortfrage einmal mehr vertagt wird.
Der saure Apfel war reserviert für Christoph Leitl: Damit sich die Sozialpartner nach mehrmonatigen Verhandlungen über Arbeitszeit und Mindestlohn nicht mit völliger Ergebnislosigkeit blamieren, musste der Wirtschaftskammer-Boss auf offener Bühne, direkt neben seinen Kontrahenten von Arbeiterkammer und Gewerkschaft seine Niederlage eingestehen. Denn Leitl konnte, entgegen den Ankündigungen von ÖVP und Wirtschaftskammer, kein flexibleres Arbeitszeitmodell und schon gar keinen ZwölfStunden-Tag ins Ziel bringen – und musste letztlich auch noch lobende Worte über die Einführung eines Mindestlohns von 1500 Euro herauspressen.
Leitls Auftritt mag ein Akt der Ehrenhaftigkeit gewesen sein, ein Plädoyer für die Sozialpartnerschaft allerdings war dieser Kompromiss eines Kompromisses keineswegs. Dabei hätte der längst angezählte Verbund der rot-schwarzen Interessensvertreter – nicht nur die Opposition rüttelt an den Grundfesten der Kämmerer, auch hochrangige Vertreter von SPÖ und ÖVP taten dies zuletzt munter – ein Lebenszeichen so dringend nötig gehabt. Anstatt mit zur Schau gestellter Handlungsfähigkeit Argumente für Pflichtmitgliedschaften zu liefern, ließen sie sich offenbar vom Wahlkampf anstecken. Bewiesen wurde lediglich, dass nicht einmal mehr das Prinzip Kuhhandel – gibst du mir, geb ich dir – funktioniert hat.
So bleibt nun diese durchaus bedeutsame Standortfrage nach Rahmenbedingungen für unseren Arbeitsalltag einmal mehr ungelöst. Diese Kapitulation ist im Angesicht fortschreitender Digitalisierung und damit einhergehenden Eruptionen im täglichen Tun ein fatales Signal. Denn das, was jedes kleinere Unternehmen für ein Reüssieren im Wettbewerb braucht, hat die Republik in Sachen Arbeitszeiten immer noch nicht gefunden: eine Strategie (die dürfte in Sozialpartnersprache ruhig auch „Generalvereinbarung“ heißen, kein Problem). Man überlässt es lieber einzelnen Branchen und Betrieben, sich mangels politisch festgelegter Marschroute Regulative auszuschnapsen – inklusive höchstens halblegalen Frisierens von Stundenaufzeichnungen, wenn’s denn sein muss. aran wird sich so bald auch nichts ändern. Denn weite Teile der ÖVP dürften nicht in Tränen ausbrechen, wenn das unpopuläre und schwer zu verkaufende Thema „Zwölf-Stunden-Tag“im Wahlkampf keine große Rolle spielt. (Was sagt eigentlich der schwarze Neo-Parteichef zum Verhandlungsflop?) Die SPÖ hingegen ist zumindest froh, „ihren“Mindestlohn – wenn auch erst in den kommenden drei Jahren, ohne Gesetz und Sanktionen – durchgebracht zu haben. Da kann dann ruhig auch die im „Plan A“des Kanzlers avisierte Flexibilisierung in den Hintergrund rücken. Das ursprünglich bei einem Verhandlungsscheitern angedrohte Gesetz wird es nicht geben, heißt es nun. Damit ist dies alles mehr als nur ein Bauchfleck der Sozialpartner – es ist ein Armutszeugnis für alle Beteiligten.
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