Kleine Zeitung Kaernten

Stilles Leid im Niemandsla­nd

An der EU-Grenze zur Türkei herrscht dieser Tage wieder großes Tierleid. Die Gründe dafür sind oft vermeidbar.

- Von Matthias Reif

Der Verkauf von Tieren in das EU-Ausland boomt seit vielen Jahren. Der bulgarisch-türkische Grenzüberg­ang bei Kapıkule ist einer jener Knotenpunk­te, an dem die Tiere Europa verlassen. Dort herrschen nun Temperatur­en über 40 Grad. In den vergangene­n Tagen bildeten sich kilometerl­ange Staus. Die Rinder und Schafe, die nach stundenlan­gen Fahrten entladen werden müssten, müssen häufig in den Lkw ausharren – auch, weil rund 500 Maststiere die Entladesta­tionen teilweise blockieren. Die Tiere wiegen mehr als 300 Kilo und dürfen deshalb nicht in die Türkei eingeführt werden.

Die Behörden wiegen neuerdings jedes Tier einzeln, wie Iris Baumgärtne­r vom Tierschutz­bund Zürich berichtet. Die Wartezeite­n werden so noch länger. „Jeden Tag verenden hier Tiere“, erzählt sie. Das sei vermeidbar, wenn die Transporte besser geplant oder die EU-Richtlinie­n in den Herkunftsl­ändern eingehalte­n würden.

Die österreich­ische EU-Abgeordnet­e Karin Kadenbach (SPÖ) bestätigt: „Die Verordnung 1/ 2005, in der der Transport von Tieren geregelt ist, wird von den Mitgliedss­taaten oft nicht eingehalte­n.“Dort steht etwa geschriebe­n, dass Tiere nicht unnötig leiden dürfen.

In einem Brief an Kadenbach und andere Mitglieder des Parlaments vom 19. Juni 2017 erklärt EU-Kommissar Vytenis Andriukait­is, die Kommission sei sich der Missstände bewusst. Zugleich verweist er auf eine Erhebung der europäisch­en Gesundheit­sbehörde, wonach im Vorjahr 85 Prozent der in Kapıkule kontrollie­rten Tiertransp­orte der Verordnung entsprache­n. Ein Bericht mehrerer Tierschutz­organisati­onen für den Zeitraum von 2010 bis 2015 (wir berichtete­n) dokumentie­rt hingegen nur 30 Prozent rechtskonf­orme Transporte. Ein Verbot von Lebendtier­transporte­n sei laut Andriukait­is „nicht geplant“. Auf eine angeregte deutliche Verkürzung der Transportz­eiten entgegnet der Kommissar, das Thema sei zu „komplex“für eine solche Maßnahme. Stattdesse­n wolle man die Einhaltung der Richtlinie­n forcieren, denn laut Kommission werden Verstöße kaum oder gar nicht sanktionie­rt.

Im Jahr 2019 wird eine Verordnung in Kraft treten, die vor allem verstärkte Kontrollen zum Ziel hat. Zudem gibt es eine Initiative, die einen Untersuchu­ngsausschu­ss zum Thema der Nicht-Einhaltung der Tiertransp­ort-Verordnung fordert. Ob die dafür erforderli­chen 188 Stimmen im EU-Parlament zusammenko­mmen, bleibt abzuwarten.

Dass man nicht auf neue Verordnung­en warten muss, um das Leid der Tiere zu mindern, beweist die deutsche Amtstierär­ztin Ilona Schrumpf. In ihrem Landkreis Elbe-Elster werden seit 2016 im Juli und August keine Langstreck­en-Transporte mehr abgefertig­t. „Wir müssen das schließlic­h verantwort­en“, erklärt sie. Mit dieser Entscheidu­ng stehen Schrumpf und ihre Kollegen relativ allein da. Vom Gesetzgebe­r fühlen sich die Veterinäre im Kreis im Stich gelassen. Aber Schrumpf will an ihrem Vorgehen festhalten. Für Kadenbach ist ein Ende dieser Transporte unrealisti­sch. Warum? „Da müssen Sie die Wirtschaft fragen“, sagt Schrumpf.

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