Ein Fest der starken Frauen
Marie Chouinards erste Tanzsaison in Venedig.
Man kann an Marie Chouinards Programmierung einiges bemängeln: kaum aktuelle Positionen, überwiegend Tanzschaffende aus der kanadischen Heimat, altmodischer Frage-Antwort-Diskurs in Künstlergesprächen. Absolut lobenswert bleibt jedoch die Tatsache, dass noch nie so geballt bemerkenswerte Choreografinnen am Lido präsentiert wurden.
In nur neun Tagen liefen fünf Arbeiten von Männern und dreizehn (!) von Frauen. Eröffnet wurde mit dem postmodernen Klassiker „Dance“aus dem Jahr 1979 der heurigen Preisträgerin des Goldenen Löwen Lucinda Childs. Ein Stück, das man immer wieder sehen kann, weil es meisterhaft gebaut ist. Ähnliches gilt für Louise Lecavaliers „So Blue“. Unfassbar, mit wie viel Elan die 58-jährige, burschikose Tänzerin über die Bühne fegt.
Immerhin 9400 Menschen besuchten letztes Jahr die Tanzbiennale in Venedig. Nicht dazugezählt werden jene Personen, die man auf öffentlichen Plätzen bei freiem Eintritt erreicht. Chouinard veranstaltet diese niederschwelligen Begegnungen am malerischen Campo Sant’Agnese. Das Publikum sitzt locker um den quadratisch-weißen Tanzteppich oder macht es sich im Schatten der Häusermauern bequem. Viele, die durch Zufall vorbeikommen, verweilen, etwa, um die ehemalige Leistungssportlerin und heurige Preisträgerin des Silbernen Löwen Dana Michel beim trotzigen – den Tanzboden missachtenden – Rollen über die Pflastersteine zu beobachten. Der raue Umgang der dunkelhäutigen Tänzerin mit weißen Bettlacken ruft dabei bedrückende Bilder von Obdachlosigkeit, Armut und Ausgrenzung wach.