„Öffi-Ticket so wichtig wie Aufdecken“
Julian Schmid drängte Peter Pilz bei den Grünen hinaus. Was ist seine Leistung aus vier Jahren im Parlament und zählt Aufdecken noch?
Julian Schmid ist ein Symbol der totalen Verflachung. Er hat es zugelassen, sich als Sinnbild der Postdemokratie der Grünen plakatieren zu lassen.“Das sagte der Wiener Grünen-Gemeinderat Klaus Werner-Lobo bei seinem Abgang über Sie. Was dachten Sie sich, als Sie das im „Vice“-Magazin gelesen haben?
JULIAN SCHMID: Na ja, mein Stil, über andere zu sprechen, ist respektvoller. Jedenfalls habe ich mich konsequent für Junge, Europa, Bildung und Klimaschutz starkgemacht. Dafür wurde ich vom Bundeskongress auf den vierten Platz gewählt – und als Signal an die Jungen.
Ihre Leistungsbilanz im Parlament ist quasi null. Weil wir nicht in der Regierung sind.
Es gibt kaum Anträge oder Anfragen. Als Helmut Kohl in der Opposition war, vertrat er das Credo: Jede Oppositionsarbeit ist Regierungsarbeit. Wo sind Ihre Initiativen der letzten Jahre? Solche Anträge verschwinden oft in Schubladen. Ich setze mich seit Jahren dafür ein, dass Maklergebühren nicht mehr auf Mieter abgewälzt werden, aber die Lobbys, die in der ÖVP und der FPÖ das Sagen haben, lehnen das ab. Ein anderes Projekt von mir ist das österreichweite Öffi-Ticket. Wir sind kein groauf ßes Land, trotzdem schaffen kein Ticket, das die Jungen weniger abhängig vom Auto machen würde.
Zählt ein Öffi-Ticket mehr als das Aufdecken von Skandalen? Beides ist wichtig. Ich habe größten Respekt vor Peter Pilz, er ist mein Vorbild und ich bedaure, dass er nicht für den sechsten Listenplatz kandidiert hat. Er hätte sicher gewonnen.
Pilz überlegt nun den Antritt mit einer eigenen Liste. Es wäre sehr bedauerlich, wenn er diesen Schritt setzt. Für mich ist und bleibt er Teil der Grünen.
Amputieren die Grünen gerade den politischen Kernbereich Korruptionsbekämpfung? Wir haben mit Georg Bürstmayr einen Anwalt auf Platz sechs, der mit allen Wassern gewaschen ist. Und wenn der UAusschuss nach der Wahl fortgesetzt wird, wird wohl HypoAufdecker Werner Kogler mit Gabi Moser weitermachen.
Moser ist in Oberösterreich auf dem dritten Listenplatz. Das ist im besten Fall ein Kampfmandat. Ich finde es spannend, dass Sie schon wissen, wie die Wahl ausgeht. Wahlen lassen sich schwer voraussagen – siehe Brexit, Trump und die nicht prognostizierte Niederlage Le Pens.
Niemand sagte einen Sieg Le Pens voraus. Aber zurück zum Thema: Sehen Sie eine Schwächung der Grünen? Wir haben ein super Team, sind eine klare Ansage gegen die neoliberale Politik des Sebastian Kurz. Als ich vor ein paar Jahren mit ihm bei einer Schuldiskussion war, sagten die Schüler, sie hätten Sorgen ums Pensionssystem. Er meinte lapidar, dann müsse man sich um eine private Zusatzpension kümmern. Wir stehen dagegen für Solidarität – auch in Europa. Alleine werden wir gegen den Klimawandel nichts ausrichten und die Digitalisierung nicht managen können.
Es ist leicht, über Solidarität zu sprechen, wenn man nie auf sie angewiesen war – weder im Elternhaus noch seit Sie mit 24 Jahren einen Job mit 8500 Euro Bruttoeinkommen angetreten sind. Ich komme aus einer Lehrerfamilie und nicht aus reichem Haus. Aber auch Kreisky wuchs begütert auf. Trotzdem hat er Solidarität gesetzt, sodass mein Vater studieren konnte.
Reden wir über Glaubwürdigkeit als Vertreter der Jugend. Ich beginne am Montag mit einer sechswöchigen Aktion, wo ich verschiedene Schnupperlehren mache.
Was ist der Unterschied zum Pizzaboten Kern? Er machte das einen Abend, ich arbeite sechs Wochen mit.
Aber immer begleitet mit vielen Facebook-Postings. Ich habe hier eine Bildungslücke, die ich auffüllen will. Natürlich ist das nicht mit einer Lehre vergleichbar, aber ich bekomme schon einen Eindruck, wie es jemandem geht, der neu in einen Job kommt.
Warum haben Sie nicht schon im letzten Sommer oder davor ihre Bildungslücke aufgefüllt? Das war schon länger geplant. Jetzt kam uns der Wahlkampf dazwischen. Ich bin froh, dass
die Betriebe das mitmachen. Und natürlich werde ich das über Facebook kommunizieren, meine Generation macht das so.
Facebook besteht aber aus Inszenierung statt Substanz. Liegt das nicht auch an den Medien, die lieber über mein Badehosenbild berichten als über meine Öffi-Ticket-Initiative? Aber ich habe mir bei Amtsantritt selbst versprochen, dass ich so bleibe, wie ich bin, dazu gehört eine optimistische Kommunikation.
Dazu gehört auch der Kapuzenpulli, der mittlerweile wie Inszenierung wirkt. Ich trage auch gerne Hemden und war so im Parlament.
Sie sagten unlängst: Es braucht keine Migrantenklassen. Verkennen Sie da nicht die Realität? Es braucht sehr wohl zusätzliche Sprachförderung, sonst bleiben Migrantenkinder in einer Parallelgesellschaft verhaftet.
Parallelgesellschaften müssen verhindert werden, sie führen zu Radikalisierung. Dem muss man ebenso entgegenhalten wie Rechtsextremismus. Aber dass Migrantenkinder erst drei Jahre in eine Extraklasse gehen und dann mit neun Jahren gemeinsam mit den Sechsjährigen eingeschult werden, ist keine Lösung – genau solche Klassen wollen ÖVP und FPÖ aber. Für Sprachförderung bin ich jederzeit, aber Kinder lernen von allem von Kindern.
Glauben Sie wirklich, dass die Grünen eine blaue Regierungsbeteiligung verhindern können? Über Umfragen haben wir heute schon gesprochen. Tatsache ist: Die SPÖ schreibt ein neoliberales Programm der ÖVP ab, die ÖVP ist mittlerweile türkis angemalte Hetze und die FPÖ die FPÖ. Wir stehen für Europa, Bildung, eine tolerante und liberale Gesellschaft.
Hat Eva Glawischnig zum Sieg über Peter Pilz gratuliert?
Ja, hat sie mittlerweile.