Anecken gehört zum Geschäft
Mit Martin Kusˇej (56) wird der wichtigste österreichische Regisseur Chef der wichtigsten Bühne Österreichs. Zu Beginn seiner Karriere spielte er die Theatersäle halb leer.
Mitte der 1980er-Jahre war es. Da ließ ein junger Regisseur das Publikum bei einer Studioproduktion eineinhalb Stunden lang stehen. 1986 verbrachte der Kraftlackl in Ljubljana die „coolste Zeit“seines Lebens und verstörte die Laibacher wenig später mit seiner Sicht auf das „Ärgernis im Florianital“des slowenischen Nationaldichters Ivan Cankar. 1993 provozierte er mit Schillers „Kabale und Liebe“noch nie da gewesene lautstarke Reaktionen im Stadttheater Klagenfurt.
Fortan genoss Martin Kuˇsej nicht nur den Ruf, Theatersäle halb leer zu spielen, sondern auch den eines bis ins Detail studierten Arbeiters, der alles, was er angriff – und das ist auch als konfliktfreudig zu verstehen –, zu einem Bühnenereignis machte: als Hausregisseur am Staatstheater Stuttgart (1993 bis 2000), als Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele (2004 bis 2006, u. a. „Don Giovanni“ mit Nikolaus Harnoncourt), in Berlin, London, Zürich, Aix-enProvence, Wien. Oberstes Gebot: Es darf nicht fad sein! Basis seiner Inszenierungen sind bis heute die Raumbilder von Martin Zehetgruber, mit dem er das Doppel „My friend Martin“bildete.
Aufgewachsen im Südkärntner Ruden und seiner Einschätzung nach „früh zu Hirtenspielen gezwungen“, wurde für den Lehrersohn neben Handball die Kunst zu einem Ventil: „Im Grenzland sucht man nach einer Medizin“, sagt Martin Kuˇsej, der stets klar Position gegen nationalistische, populistische und xenophobe Politik bezog. Aus der Überzeugung von der politischen Dimension von Kunst erklärt sich sein Jobprofil: „Ich bin Theaterintendant, ich ecke jeden Tag an.“Auch bei Proben kann er mitunter recht ruppig sein.
Die Entscheidung, München und das Residenztheater im Sommer 2019 zu verlassen, fiel Kuˇsej nicht leicht. Aber: „Ich kann nicht anders, ich bin halt Österreicher. Und deshalb ist es ein besonderer Job, Burgtheater-Direktor zu werden.“
Kreative Pausen vom Theater gönnt sich der Vater eines Sohnes (der 17-jährige Lorenz lebt in Hamburg) regelmäßig in seinem Domizil im Kärntner Maria Saal. Auch Martin Kuˇsejs Ruf als Koch ist legendär, und wie er seine Gefährtin Sophie von Kessel beim Einkaufen über den Klagenfurter Benediktinermarkt dirigiert, ist auch ein Schauspiel.