„Es geht um Brot, Wasser, Gesundheit“
Der Niederländer Ard van der Meij ist Chef von Novartis in Tirol, Österreichs größter Pharmagruppe. Er ist besorgt, dass die Forschungszukunft im Bildungssystem auf der Strecke bleibt. Reformen bräuchten „Erfolgswillen wie im Skilauf“.
Zu einem beherrschenden globalen Thema wurde Life Science, die Wissenschaft für verlängertes gesundes Leben. Kann Österreich da bei der Forschung mithalten?
ARD VAN DER MEIJ: Absolut. Österreich hat darin eine große Geschichte und Unternehmen wie unseres forschen sehr intensiv in diese Richtung.
Der Nabel der Welt ist da nicht mehr Silicon Valley in Kalifornien, sondern Silicon Hills in Texas, wo Google & Co mit Big Data an „ewiges Leben“herangehen.
Gesundheit ist ein Zusammenspiel von vielen Akteuren. In der Medizin braucht es heute zunehmend ein Zusammenwirken von Ärzten auch mit digitalen Lösungen. Da können gerade Firmen wie Google und Apple disruptive Sichtweisen und Innovationen einbringen, noch ehe Krankheiten mit Operationen repariert werden müssen. Wir sind im Gesundheitssystem noch zu sehr auf Heilung und zu wenig auf Vorsorge konzentriert.
Für disruptive, also systemverändernde Innovationen machen sich in Österreich vor allem Biotech-Start-ups einen Namen. Können wir da global mitspielen?
Ja, unbedingt, es gibt viel Erfahrung dank Firmen wie Boehringer-Ingelheim, auch wir in Tirol mit Novartis haben eine starke Position – mit Zusammenarbeit mit Universitäten, die einen hohen Wissenschaftsstand in diesen Bereichen haben.
Eine Studie von Gottfried Haber zeigte, dass 17 Prozent des Umsatzes der Pharmaindustrie in die Forschung gehen, das ist weit über den üblichen drei Prozent. Wie erleben Sie dafür die Forschungsbedingungen im Land?
Die Forschungsförderung ist in Österreich eine sehr positive Stimulanz. Mit den Universitäten ist es auch möglich, Basisinnovationen zu kreieren. Österreich kann von der Größe her in der Pharmaforschung keine Nummer eins sein, aber es hat sich mit einer Life-ScienceStrategie des Wirtschaftsministeriums dazu klar positioniert. Es ist bedauerlich, dass Gesundheitsund Bildungsministerium nur von der Seite beobachten.
Symptomatisch für Österreich?
Es ist schade, weil man gerade bei Life Science als Forschungsstandort Stärke zeigen kann. Früher gab es einen Dialog von Behörden und Sozialpartnern.
Die viel gerühmte Sozialpartnerschaft stellt sich infrage.
Als Niederländer erinnert mich das an unser Polder-Modell, wo man mit den Füßen gemeinsam im Wasser steht, bis etwas ausgeredet ist. Das hat mir an der Sozialpartnerschaft immer gut gefallen. In letzter Zeit jedoch wird viel geredet, aber nicht mehr in eine Richtung gezogen.
Auch von der im Reformstau gelandeten Großen Koalition.
Ja, es ist zwar Reformfreudigkeit angesagt, aber wir verlieren an Schnelligkeit in Europa. Da bin ich besonders besorgt, was im Bereich Bildung verabsäumt wird und wo Bund und Länder einander mitunter blockieren. Wenn wir die Resultate der Schüler in den Mint-Fächern – Mathematik, Informations- und Naturwissenschaften sowie Technik – sehen, muss uns klar sein: Wenn wir hier nicht eine gesunde Basis schaffen, können
wir das später nicht aufholen, um Innovation zu schaffen.
Sie haben 84 Studienprojekte laufen mit 3000 beteiligten Patienten. Was sind Ihre Hauptforschungsgebiete?
Wir forschen in den Bereichen Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Immunologie und Dermatologie. Auch für Migräne, an der zehn Prozent der Menschen leiden, sehen wir neue Ansätze für Fortschritte.
Sie entwickeln und produzieren auch Generika, günstige Medikamente, gleichwohl gilt der Pharmabereich als Kostentreiber im Gesundheitswesen.
Die Krankenkassen sagten auch letztes Jahr am Anfang negative Ergebnisse voraus, am Ende war es wieder positiv.
Nur, da die Pharmabranche einmalig mit 150 Millionen ausglich.
Eine solche Solidaritätszahlung hat noch kein anderer Industriezweig für ein nachhaltiges Gesundheitswesen geleistet. Der Kostenanteil von Medikamenten hat sich in den letzten Jahren von 13 Prozent auf 12,2 Prozent verringert. Und Medikamente darf man nicht als Kosten sehen, sondern als Investitionen in das Wichtigste. Am Ende geht es im Leben ja um Brot, Wasser und Gesundheit.
Spitalsaufenthalte sollten laut Studie um zehn Prozent sinken.
Österreich ist halb so groß wie Holland und ich staune immer darüber, dass es hier doppelt so viele Spitäler gibt. Da schauen wir nicht innovativ genug in die Zukunft auf Verfügbarkeit von Ärzten in ländlichen Gebieten in Erstversorgungszentren.
Gesundheitsfinanzierung ist Bundessache, die Spitäler aber Landeshoheit; wie erleben Sie den österreichischen Föderalismus?
Als Erlebnis und als Abenteuer. Als Niederländer kennen wir Föderalismus nicht. Er hat sicher seine Wichtigkeit. Dass aber bei der Kleinteiligkeit der neun Bundesländer nicht mehr Wille da ist, vereint zu handeln, hemmt Österreich. Die Macht der Landeshauptleute beschäftigt uns nach innen stark, anstatt dass sie sich zusammensetzen und sagen: Das machen wir, um Österreich voranzutreiben.
Grenzen in den Köpfen nähren einen Populismus, mit Geert Wilders auch in Holland in starker Ausprägung. Das erleben Sie in Österreich als Déjà-vu?
Ich stecke es weiter: Ob Rechtsoder Linkspopulismus, Social Media und die Möglichkeit, es in Echtzeit abzusetzen, hat die Entwicklung dieses Phänomens befeuert. Es ist ein Absetzen vom Establishment, dessen Sprache viele nicht mehr verstehen. In Österreich und den Niederlanden war Populismus schon sehr früh spürbar.
Weltweit wird Österreich als Kulturland geschätzt. Haben Sie das Gefühl, das weiß man hier?
Ja, ich glaube, die Österreicher sehen Kultur als Teil der Identität. Nach zwei Jahren in Wien und Tirol sehe ich, wie verschieden sich das äußert. In Tirol finde ich sehr interessant, wie sich das Festhalten am Ländlichen mit neuer Weltoffenheit vermischt. In unserem Unternehmen in Kundl und Schaftenau haben wir Werksmusik, Freiwillige Feuerwehr und zugleich eine freundliche Offenheit mit den 250 ausländischen Kollegen.
Traditionsbewusstsein ist kein Hindernis für Integration.
Das ist sogar eine Stärke. Es erweitert Bodenständigkeit mit einer Atmosphäre der Offenheit und des Interesses, dass man im Zillertal nicht am Rest der Welt vorbeisehen kann.
Braucht Integration in Österreich so wie die Reformen auch einen engeren Schulterschluss von Politik und Gesellschaft?
Österreich zeigt beim Skifahren, wie man alles erreichen kann. Dieses Verstehen, dass man es von der Kinderkrippe an die Weltspitze schaffen kann, wenn wir es wollen, sollte man in anderen Bereichen mit ebenso viel Leidenschaft und Engagement anwenden.