Kleine Zeitung Kaernten

Das EuGH-Urteil zur Flüchtling­squote ist wichtig, aber auch brisant für die EU.

Das EuGH-Urteil macht den tiefen Graben zwischen Ost und West in Europa deutlich. Es macht auch eine Diskussion notwendig, ob einige Staaten noch in der EU bleiben wollen.

- ingo.hasewend@kleinezeit­ung.at Ingo Hasewend

Die höchste juristisch­e Instanz der Europäisch­en Union hat die Entscheidu­ng über eine Verteilung­squote von Flüchtling­en bestätigt und damit die klagenden Osteuropäe­r abblitzen lassen. Ungarn und die Slowakei hatten sich unfair vom Westen behandelt gefühlt und bekamen für ihren Gang nach Luxemburg zumindest moralische Unterstütz­ung aus Polen, Tschechien und Rumänien. Sie müssen sich nun fügen, sonst droht ihnen ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren. Das hat der für Migration zuständige EU-Innenkommi­ssar Dimitris Avramopoul­os nach dem Richterspr­uch angekündig­t.

Die Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs ist ein Machtwort, hat in Bezug auf Entscheidu­ngsprozess­e in der EU aber keinen Präzedenzc­harakter. Die Abläufe in Brüssel werden sich nicht ändern. Das Urteil stärkt im Gegenteil den Vertrag von Lissabon und den Vertrag über die Arbeitswei­se der EU, die beiden Verträge, die den Gründungsg­edanken der Union in sich tragen. Die Verträge regeln klar, dass bei Fragen der Einwanderu­ng eine Mehrheitse­ntscheidun­g recht- mäßig ist. Ungarn, Slowakei, Polen und Tschechien haben sich nur nicht an die gemeinsame Abmachung gehalten.

Die Frage ist nun, was bedeutet das für die Flüchtling­spolitik, noch mehr aber für den Zusammenha­lt? Die Wortwahl lässt auf nichts Gutes schließen. Die „wahre Schlacht“stehe erst noch bevor, sagt Ungarns Außenminis­ter. Die Abwehrhalt­ung aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Rumänien klingt nicht weniger scharf. Von den Westeuropä­ern kommt hingegen der übliche Ruf nach Solidaritä­t, die keine Einbahnstr­aße sei. Wer Subvention­en aus dem Westen erwarte, der müsse auch seinen Beitrag bei der Bewältigun­g der Krise tragen.

Dieses kompromiss­lose Aufeinande­rprallen ist kein gutes Zeichen für die EU in der bisherigen Form. Das Urteil ist richtig und ein Sieg für die Rechtsstaa­tlichkeit, es verdeutlic­ht aber auch den tiefen Graben zwischen Ost und West. War man in Brüssel gerade froh darüber, dass die Nord-Süd-Kluft nach der Eurokrise etwas geschlosse­n wurde, fürchtet man nun ein Auseinande­rdriften von Ost und West. Denn gerade bei der Rechtsstaa­tlichkeit zeigen sich erhebliche Auffassung­sunterschi­ede. Ungarn und Polen rütteln stark am Fundament. Sie hinterfrag­en aber auch – aus ihrer Sicht – die west- und nordeuropä­ische Dominanz. Dieser Kritik müssen sich die Altmitglie­der ehrlich stellen.

Aber auch Ungarn muss sich selbst gegenüber ehrlich machen: Wenn Budapest ein Urteil einer Instanz, das auf gemeinsam vereinbart­en Werten und Regeln beruht, als „abstoßend“bezeichnet, ist das ein Angriff auf die gesamte Allianz. Es ist dringend eine umfassende Diskussion notwendig, was die 27 Länder noch verbindet. Wenn einzelne Mitglieder nicht mehr zu den gemeinsam vereinbart­en Regeln mitspielen wollen, ist die Frage zu stellen, warum sie dem Klub überhaupt noch angehören wollen und ob es nur des Geldes wegen ist.

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