Kleine Zeitung Kaernten

Die Briten ringen um Großes Aufhebungs­gesetz

Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May muss heute die Rechtsordn­ung für die Zeit nach dem Brexit durch das Parlament bringen.

- Von Manuela Swoboda

Beifall und Zwischenru­fe, wie etwa in Österreich, sind im britischen Unterhaus nicht erlaubt. Allerdings dürfen die Abgeordnet­en mit gerauntem „Hear, hear“, „Aye“(Ja) oder „No“(Nein) Zustimmung oder Ablehnung signalisie­ren. Was nicht weniger skurril klingt.

Viel „Aye“wird es heute im Unterhaus nicht geben. Premiermin­isterin Theresa May geht nach der von ihr vom Zaun gebrochene­n und schlecht geschlagen­en Unterhausw­ahl vom Juni geschwächt ins Rennen um ihr Vorhaben, die wichtigste Brexit-Vorlage, die sogenannte Great Repeal Bill, das Große Aufhebungs­gesetz, durch das Parlament zu bringen. Die britische Labour-Partei hat bereits beschlosse­n, gegen die im Sommer still in EU Withdrawal Bill (Rückzugsge­setz) umbenannte Vorlage zu stimmen. Labour-Chef Jeremy Corbyn sieht die Arbeitnehm­errechte gefährdet, den Verbrauche­rund Umweltschu­tz. Er kritisiert, die britische Regierung wolle sich mit dem Gesetz die Vollmacht geben, ohne Zustimmung des Parlaments Vorschrift­en ändern zu können. In Anlehnung an den einstigen englischen König wird von einer HeinrichVI­II.-Klausel gesprochen, die der Regierung fast absolutist­ische Macht ermöglicht. Auch einige Tories leisten Widerstand.

Dennoch: Die Great Repeal Bill „ist absolut notwendig“, sagt die britische Politologi­n Melanie Sully, „sonst gibt es am Tag nach dem Ausstieg aus der EU keine Rechtssich­erheit.“In Wahrheit gehe es auch nur darum, das EU-Recht, salopp formuliert, erst einmal abzuschaff­en, um es nach Prüfung in variierter Form wieder einzusetze­n. „Ausschneid­en, Einfügen. Es ist allerdings das größte Ausschneid­en und Einfügen von Gesetzen in der parlamenta­rischen Geschichte“, erläutert die Politologi­n. Mehr als 20.000 Gesetze müssen geprüft, geändert oder aufgehoben werden, damit Großbritan­nien nach dem Tag X juristisch nicht in ein schwarzes Loch fällt. Arbeit für Tausende Juristen ist garantiert.

„Doch da sind auch noch Schottland, Nordirland und Wales, die stark eingebunde­n sind in den Komplex für Agrarpolit­ik, Fischerei etc.“, sagt Sully, „und die wollen gar nichts abschaffen, weil sie hoffen, dass sie irgendwann als unabhängig­es Land der EU beitreten können.“

Tatsächlic­h könne derzeit niemand wirklich beurteilen, welche Gesetze abgeschaff­t werden dürfen, denn letztlich stehe und falle alles mit dem Austrittsa­bkommen. In Brüssel geht es mit den Brexit-Verhandlun­gen aber erst am 18. September wieder weiter.

In London verstärkte sich zuletzt der Eindruck, dass Brüssel nur Scheinverh­andlungen führe. Und in Brüssel ist man sauer, dass Großbritan­nien nach dem Brexit die Einwanderu­ng von EU-Bürgern beschränke­n will, wie es in einem 82seitigen Dokument heißt, das jetzt der britischen Tageszeitu­ng „The Guardian“zugespielt wurde.

„Großbritan­nien leidet unter der Ungewisshe­it, wie es weitergeht, die Währung litt zuletzt dramatisch. Die Brexit-Verhandlun­gen müssen auf beiden Seiten vorangetri­eben werden“, fordert Politologi­n Sully, „denn das Ausharren in der Ungewisshe­it ist nicht gut für Großbritan­nien – aber es ist auch nicht gut für die EU.“

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AFP Für Theresa May wird es eng

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