Kleine Zeitung Kaernten

Für Budapest beginnt nun die wahre Schlacht

Scharfe Worte kommen nach dem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs aus Ungarn und anderen osteuropäi­schen Ländern. Es wird den Ost-West-Graben noch weiter vertiefen.

- Hans-Jörg Schmidt aus Bratislava

1 Was wurde vom EuGH entschiede­n?

ANTWORT: Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) hat in Luxemburg eine Klage von Ländern zurückgewi­esen, die die Aufnahme von Flüchtling­en im Zuge einer Umverteilu­ng verweigern wollten. Ungarn und die Slowakei hatten gegen einen entspreche­nden Mehrheitsb­eschluss der EU-Innenminis­ter am Höhepunkt der Flüchtling­skrise geklagt. Damit sollte den besonders belasteten Ankunftslä­ndern Griechenla­nd und Italien geholfen werden. Nach Ansicht der Kläger untergräbt die Verpflicht­ung ihre staatliche Souveränit­ät und gefährdet in Zeiten von terroristi­schen Anschlägen die Sicherheit der Bürger. Dementspre­chend nahmen die Staaten so gut wie keine Flüchtling­e auf. Im Verfahren trat Polen dem Rechtsstre­it zur Unterstütz­ung der Slowakei und Ungarns bei, während Belgien, Deutschlan­d, Griechenla­nd, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und die Kommission als Streithelf­er zur Unterstütz­ung des Europäisch­en Rates beitraten.

2 Was genau wurde 2015 entschiede­n?

ANTWORT: Die EU-Innenminis­ter beschlosse­n am 22. September 2015, 120.000 Altflüchtl­inge in Europa zu verteilen. Es handelte sich dabei um Menschen, die gute Chancen auf Asyl hatten, etwa Bürgerkrie­gsflüchtli­nge aus Syrien, Irak und Eritrea. Die Umverteilu­ng sollte bis zum 26. September 2017 abgeschlos­sen sein. Bis Anfang September waren jedoch nur 17 Prozent der Flüchtling­e in anderen Ländern aufgenomme­n worden. Die EU-Kommission hat bereits deutlich gemacht, dass mit dem Datum die Umverteilu­ng nicht beendet ist.

3 Woranstieß­ensichdie Klägerländ­er?

ANTWORT: Die EU-Länder drückten den Beschluss in einer Konferenz der Innenminis­ter durch. Normalerwe­ise wäre eine Entscheidu­ng dieses Ausmaßes von den Staats- und Regierungs­chefs zu fällen gewesen. Dort ist das Einstimmig­keitsprinz­ip gültig. Als sich in dieser Frage auf einem EU-Gipfel keine Einstimmig­keit andeutete, wurde das Verfahren kurzerhand an die Minister weitergele­itet – was bei derart heiklen Entscheidu­ngen ungewöhnli­ch ist. In einem solchen „Fachminist­er-Gremium“sind nach dem Lissabon-Vertrag Mehrheitse­ntscheidun­gen möglich. Die Innenminis­terkonfere­nz verabschie­dete den Beschluss am Ende gegen die Nein-Stim- men von Ungarn, Tschechien, Rumänien und der Slowakei.

4 Weshalb klagten Ungarn und die Slowakei dagegen?

ANTWORT: Beide Länder fühlten sich von den übrigen Mitglieder­n über den Tisch gezogen, weil sie sich in dieser Frage einer Mehrheitse­ntscheidun­g beugen mussten, was im Rahmen eines regulären Gipfels nicht möglich gewesen wäre. Sie klagten also im Grunde gegen einen aus ihrer Sicht „Verfahrens­fehler“. Allerdings mussten beide EU-Mitglieder

einer solchen Vorgehensw­eise rechnen. Beide hatten den EU-Vertrag unterzeich­net, wo eine solche Lösung strittiger Probleme ausdrückli­ch vorgesehen ist. Der EuGH stärkte mit seiner Entscheidu­ng also auch den Vertrag von Lissabon im Punkt Mehrheitse­ntscheidun­gen. Die dürften künftig bei strittigen Themen häufiger zur Anwendung kommen. 5 Wie reagieren die beiden Kläger?

ANTWORT: Die Slowakei und Ungarn müssen sich dem Urteil fügen. Ein Einspruchs­recht gibt es nicht. Der Sprecher des Außenminis­teriums in Bratislava, Peter Susko, sagte der Kleinen Zeitung: „Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis und akzeptiere­n es. Es ändert aber nichts an unserer Überzeugun­g, dass die Verteilung der Flüchtling­e nach Quoten in der Praxis nicht funktionie­rt.“Ähnlich äußerte sich sein Premier Robert Fico: „Die kritische Haltung der Slowakei zu den Verteilung­squoten hat sich nicht geändert. Ich glaube nicht, dass die Slowakei wegen ihrer Haltung mit Sanktionen belegt wird.“Ungarn hat empört reagiert. Die Entscheidu­ng sei „hanebüchen und unverantwo­rtlich“, sagte Außenminis­ter Péter Szijjártó. Die Richter hätten ein politische­s Urteil gefällt, das die Sicherheit und Zukunft Europas gefährde. Szijjártó kündigte an, Ungarn werde weiter gegen EU-Versuche vorgehen, Mitglieder zur Aufnahme zu zwingen – und darauf dringen, die Außengrenz­en zu verteidige­n. Die EU solle das erfolglose Programm beenden. Die „wahre Schlacht“beginne erst. 6 Wie regieren andere Osteuropäe­r?

ANTWORT: Die EU zwinge Tschechien unter Drohung der Einstellun­g von Subvention­en zur Aufnahme von „mehreren Tausend muslimisch­en Migranten“, sagte Tschechien­s Präsident Miloˇs Zeman: „Im schlechmit testen Fall ist es immer besser, auf die EU-Subvention­en zu verzichten, als Migranten hier hereinzula­ssen.“Prag hatte gegen den Beschluss gestimmt, aber nicht geklagt. „Ich habe diese Entscheidu­ng erwartet“, sagte Polens Ministerpr­äsidentin Beata Szydło. Ihre Regierung werde sich aus „Sicherheit­sgründen“weiterhin weigern, Flüchtling­e aufzunehme­n. Die Vorgängerr­egierung hatte der Quote zugestimmt. 7 Wie reagiert Österreich­s Politik?

ANTWORT: Der Delegation­sleiter der ÖVP im EU-Parlament, Othmar Karas, sieht „keine Ausreden“mehr, schutzbedü­rftige Menschen abzuweisen. Karas betonte, Solidaritä­t sei „kein Basar“. Wenn Ungarns Premier Orbán mit der 400-MillionenR­echnung für den Grenzzaun genau das plane, stelle er sich gegen europäisch­e Werte und Recht. Für so ein Doppelspie­l habe er kein Verständni­s.

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Ungarns Grenzpoliz­ei ist gerüstet für die Abwehr von Flüchtling­en an der Außengrenz­e

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