„Sommerspaziergang statt Sommergespräch“
Leser schildern ihre eigene Sicht auf das ORF-Interview mit Bundeskanzler Kern.
Kommentar: „Untadelig im Inhalt, aber Optik bleibt trüb“, 5. 9.
Passender als „Sommergespräch“mit Kanzler Kern wäre da „Sommerspaziergang“gewesen. Denn vor so einer wichtigen Wahl und solchen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien mit so einem angenehmen und überfreundlichen Gespräch davonzukommen, war nicht zu erwarten. Ob das aber Christian Kern nützt, wage ich zu bezweifeln. So konnte er nicht zeigen, dass er z. B. kämpferisch und durchsetzungsstark ist. Und es machte nun doch den Anschein, dass Tarek Leitner nicht in geringsten Ansätzen den Kanzler emotional fordern wollte. Es gab keine Fragen, bei denen der Kanzler wirklich energievoll hätte antworten können oder müssen. Das wird weder seine Parteifreunde für die letzten Wochen vor der Wahl mobilisieren, noch die Masse beflügeln, SPÖ anzukreuzen.
Viele Fragen offen
Kern war bei den Inhalten wie auch mit seinem Auftreten souverän. Wahrscheinlich gibt es trotz Kern eine ÖVP-FPÖ-Koalition, weil die Flüchtlingsfrage alles andere weiterhin dominiert und die SPÖ eine Altherrenpartei geblieben ist. Die Mindestsicherung ist in den Augen des Kanzlers nur eine vorübergehende Unterstützung. Wissen das auch die Wähler? Reicht Doskozil als „Sicherheitsminister“, um die Gemüter zu beruhigen? Jetzt ist auch die SPÖ für Grenzschutz, wird das reichen? Kern will die Millionä- re und die Großkonzerne zur Verantwortung ziehen. Das will auch die Mehrheit, aber wählt sie deshalb auch die SPÖ? Die wirkliche Arbeit macht der Bundeskanzler mit anderen Regierungschefs Europas. Alle anderen kritisieren nur; reicht das zum Sieg?
Das Sommergespräch ist zu Ende und viele Fragen bleiben offen. Wird die Parteibasis der SPÖ aufwachen und mitziehen? Oder ist Kern der Partei einfach zu souverän?
Ing. Egon Hofer, Maria Saal
Unter Freunden
Das als Sommergespräch deklarierte Gespräch mit dem SPÖVorsitzenden Christian Kern war ein Gespräch unter Freunden. Zum Unterschied mit anderen Politikern gab es von Tarek Leitner keine Unterbrechung, vielmehr wurden die Aussagen von Kern erleichtert und bestätigt.
Ob das in Rede stehende Gespräch ein Beitrag für die Wahlwerbung war?
Rudolf Ofner, Krumpendorf
Schiefe Optik
Es stellte sich heraus, dass die Freundschaft zwischen Christian Kern und Tarek Leitner dem ORF schon länger bekannt ist und nicht erst durch den ÖVPKandidaten Dönmez ans Tageslicht kam. Selbstverständlich bleibt es jedem unbenommen, auch mit Politikern befreundet zu sein. Insofern ist Herrn Tarek Leitner nur der Vorwurf zu machen, dass er Herrn Wrabetz nicht gebeten hat, ihn wegen Befangenheit als Moderator der Sommergespräche nicht vorzusehen. Der weitaus größere Vorwurf ist dem Herrn ORFGeneraldirektor selbst zu machen, der sich von dieser Entscheidung für Herrn Leitner wahrscheinlich Vorteile für die SPÖ erhoffte. Unabhängig vom Verlauf der ORF-Sommergespräche hat die nun entstandene schiefe Optik Herr Wrabetz allein zu verantworten.
Dkfm. Wolfgang Zak, Feistritz
Neutral, aber unkritisch
Jeder, der die Sommergespräche unvoreingenommen verfolgt hat, wird Herrn Leitner eine neutrale Interviewführung attestieren, wenngleich die Konstellation einen Nachgeschmack hat. Was dagegen bei Herrn Leitner wirklich gefehlt hat, ist der kritische Journalismus, der ein Ausweichen und vage Aussagen nicht zulässt – man erinnere sich besonders an die Gespräche mit Frau Felipe und Herrn Kurz. Was kritischer Journalismus zu leisten vermag, hat Armin Wolf am 5. September beim Interview von Sebastian Kurz in der ZiB 2 bewiesen.
Dr. Peter Klug, Graz