Klimawandel oder „Gottes Werk“?
In Florida und den übrigen Gebieten wird das Ausmaß der Schäden, die der Hurrikan „Irma“verursacht hat, nach und nach sichtbar. In der Frage, ob der Klimawandel ursächlich für die Wirbelstürme ist, bleiben die Fronten starr.
Irma“war der schwerste Hurrikan der Aufzeichnungen – Schätzungen zufolge verloren durch seine enorme Wucht in der gesamten Region bislang rund 50 Menschen ihr Leben. „Harvey“war hingegen jener mit dem meisten Wasser. Noch nie sind zwei Kategorie4-Stürme in nur einem Jahr in den USA an Land gegangen.
Man könnte jetzt eigentlich trefflich diskutieren, ob und was das mit dem Klimawandel zu tun hat. Es ist aber alles nicht so einfach. Hier die Klimaforscher, dort die Abstreiter. Forscher Michael Mann in der „Washington Post“: „Hurrikans bekommen ihre Energie vom warmen Wasser des Ozeans, und die Ozeane erwärmen sich aufgrund einer menschengemachten Ansammlung von Treibhausgasen in der Atmosphäre, vor allem wegen des Verbrennens von Kohle, Öl und Gas. In den vergangenen zwei Jahren haben wir in beiden Hemisphären die stärksten Stürme erlebt. Wärmere Luft nimmt mehr Feuchtigkeit auf. Die Meeresspiegel steigen. Wir sprechen von fundamentalen physikalischen Prinzipien.“
Andere Forscher verweisen darauf, dass der Klimawandel Hurrikans nicht „mache“, es habe diese Stürme zu jeder Zeit gegeben. Entstehung und Verlauf seien ausgesprochen komplex. Auch die amerikanische Klima- und Wetterbehörde NOAA mahnt zur Vorsicht, die Zusammenhänge seien noch lange nicht zu Ende erforscht – sie fordert eindringlich, das zu tun. Tom Bossert vom Heimatschutzministerium sagt ausweichend: „Wir brauchen eine längere Trendanalyse.“Sein oberster Chef hat mit Forschung und Wissenschaften freilich nichts Hut: der Skeptiker des Klimawandels, US-Präsident Donald Trump. Er hält Erderwärmung und Klimawandel bestenfalls für unbewiesen. Schnellstmöglich entfernt er sein Land von allen Regulierungen seines Vorgängers, auf denen „Klimaschutz“steht. Aus dem unter Barack Obama verhandelten Klimaabkommen von Paris will das Land des Plastiks, der Autos und der Klimaanlagen aussteigen. Ja, sagt Trump, das seien Stürme katastrophalen Ausmaßes gewesen. Dass er dabei an einen möglichen Zusammenhang mit dem Klimawandel dachte, muss man nicht annehmen. Das konservative und erst recht das rechte Lager streuen schon seit Tagen, die Linken würden „Harvey“und „Irma“sicher zu besonders grimmigen Galionsfiguren der eigenen Sache stilisieren wollen. „Jetzt kommen sie wieder mit ihrem ,Ich hab’s euch ja gesagt‘“, schimpft die rechte Seite „The Daily Signal“. „Anstatt sich um Opfer zu kümmern“, heißt es.
Apropos Opfer – noch weiter entfernt von einer sachlichen Diskussion kann man die gewaltigen Stürme auch radikaler sehen und sie religiös aufladen. Die „Washington Post“hat das zusammengestellt: TV-Prediger Jim Bakker sagte, Gott habe „Harveys“Fluten gesandt. Als Strafe, vor allem für Houston. Als „Irma“auf die USA zuzog, seufzte Pastor Kevin Swanson, wenn der Oberste Gerichtshof doch nur rasch Abtreibungen und Homo-Ehe für illegal erklären würde. Dann werde Gott den Hurrikan von den USA weglenken. Der ultrarechte Hetzer Alex Jones sah in den Stürmen zwar kein „Werk Gottes“, wunderte sich aber trotzdem: Warum denn die Regierung keine „Technologie“eingesetzt habe, bevor die Hurriam
kans an Land gingen? Der zeitliche Zusammenhang mit der nahen Premiere des HollywoodBlockbusters „Geostorm“könne ja wohl kein Zufall sein.
Krude Theorien hat die Rechte aber nicht exklusiv: Schauspielerin und Trump-Gegnerin Jennifer Lawrence sagte, es falle schon schwer, in den Stürmen keinen Beleg für göttliche Wut an den herrschenden politischen Zuständen zu sehen. Millionen hören diese „Argumente“, glauben ihren Absendern. Für Autor Kurt Andersen ist „das im Atlantik“ein klarer Beleg dafür, dass Teile der USA ihren Verstand verloren haben.
Katastrophen und große Not führen die Menschen hierzulande persönlich immer wieder zusammen. Für die Diskussion über den Klimawandel gilt das nicht. Wie so oft in dieser Ära, glaubt jeder fest weiter an das, was er schon vorher geglaubt hat. „Irma“hin, „Harvey“her.