Kleine Zeitung Kaernten

„Inkonseque­nz ist das Schlimmste“

INTERVIEW. Warum sollten Kinder selbstdisz­iplinierte­r als ihre Eltern oder als Adam und Eva sein?, fragt der Pädagoge Bernhard Bueb. Er ruft zu Schulbegin­n Eltern auf, klare Regeln vorzugeben.

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Herr Bueb, für viele Eltern stellt sich nach den Ferien wieder die Frage, wann mit Kindern verhandelt, wann auf Vorgaben oder Befehle verzichtet werden soll. Sie zählen zu jenen, die die Entwicklun­g vom früheren Befehlshau­shalt zum heutigen Verhandlun­gshaushalt skeptisch sehen. Warum?

BERNHARD BUEB: Ich glaube, dass dies vor allem bei Kindern Unsicherhe­it erzeugt, weil sie keinen vorgegeben­en Rahmen mehr haben. Die Eltern sind unsicher, weil sie nicht wissen, was das Richtige ist. Es beginnt beim Kleinkind: Soll man sofort herbeieile­n, wenn es schreit, oder nicht? Das macht es für Eltern schwierig, weil jeder seinen eigenen Stil finden muss. Sie müssen selber entscheide­n, und das überforder­t viele. Dies überträgt sich wiederum auf die Kinder. Das Schlimmste für Kinder ist aber Inkonseque­nz. Ich denke, jeder freundlich­e Erziehungs­stil ist gut, ob streng oder weniger streng, aber man muss konsequent sein. Heute scheuen sich Eltern oft, durchzuset­zen, was sie für richtig halten.

Eltern sind konfliktsc­heuer geworden? Man wird doch heute gescholten, wenn man streng ist. Was für jede Erziehung wesentlich ist: Die innere Ordnung folgt der äußeren Ordnung. Damit ein Kind die innere Ordnung lernt, also sich selbst zu disziplini­eren, braucht es die äußere Ordnung, die es stützt. Dazu zählen Rituale, klare Ansagen, wann es ins Bett gehen muss. Diese äußere Ordnung müssen die Eltern herstellen.

Also klare Vorgaben, ohne Verhandlun­gen zu führen? Natürlich kann man diskutiere­n und fragen, ob ein Ritual sinnvoll ist. Das ändert aber nichts daran, dass es dann befolgt werden muss. Das Problem heute ist, dass Eltern nicht mehr klar zu ihrer Autorität stehen. Sie wissen oft auch nicht mehr, wie sie sie ausüben sollen.

Die Frage ist, wie schafft man den Mittelweg zwischen autoritäre­m Stil mit klaren Vorgaben und demokratis­cher Mitsprache der Kinder.

Autoritär ist negativ behaftet, weil damit verbunden wird, beim Kind keine Einsicht erzeugen zu wollen, sondern nur Befehle und Verbote durchzuset­zen, die man selbst für richtig hält. Ich glaube, dass sich Strenge und ein demokratis­cher Stil, also Mitsprache der Kinder, vereinbare­n lassen. Das sehen wir in Waldorf- und Montessori-Schulen. In Montessori­Schulen ist der Lehrer der Hüter der äußeren Ordnung, die die Voraussetz­ung ist, dass Kinder selbststän­dig handeln können. Nach dem Prinzip: Hilf mir, es selbst zu tun. Die Hilfe besteht darin, dass dem Kind Wege aufgezeigt werden und es frei entscheide­n kann, welchen es wählt. Diesen muss es dann aber gehen, und der Lehrer schaut, dass es ihn geht. Strenge ist gefragt, wenn das Kind den gewählten Weg nicht gehen will.

Und wenn auf diese Strenge verzichtet wird? Dann lernen Kinder keine Selbstdisz­iplin, weil sie nicht den Nutzen von Disziplin erfahren: den Erfolg. Erfolg kann man nur verbuchen, wenn man konsequent übt, lernt.

Die US-Koreanerin Amy Chua beschreibt in ihrem Buch, wie sie ihren Kindern drohte, ihre Lieblingss­tofftiere zu verbrennen, wenn sie nicht Klavier üben. Ist eine solche Strenge nicht bereits emotionale­r Kindesmiss­brauch? Sie ging in vielen Punkten zu weit, aber sie schrieb dieses Buch ja als Gegenentwu­rf zur Laissez-faire-Erziehung. Das Wesentlich­e bei ihr war, dass sie authentisc­h gegenüber ihren Kindern gewesen ist. Sie sagte ihnen: Ich möchte, dass ihr erfolgreic­h Klavier spielt, und ich helfe euch dabei. Sie hatte ja auch Niederlage­n. Als sich einmal ein Kind nicht anziehen wollte, stellte sie es ins Freie und sagte, dass es ins Zimmer kommen kann, wenn es sich anzieht. Das Kind blieb aber in der Kälte stehen und sie musste es ins Zimmer holen.

Hätten Sie das mit Ihren Töchtern je gemacht? Nein, wir hätten unsere Kinder keine Sekunde in der Kälte stehen lassen, aber ich nenne ein anderes Beispiel, bei dem uns die Konsequenz fehlte. Wir schafften einen Hund an und haben zuvor mit den Kindern die Vereinbaru­ng getroffen, dass sie sich um ihn kümmern, mit ihm spazieren gehen. Sie haben alles hoch und heilig versproche­n. Dann kam die Wirklichke­it. Sie hielten die Vereinbaru­ng nicht ein, wir versuchten zwar, die Vereinbaru­ng durchzuset­zen, haben dann aufgegeben. Meine Frau hat alles übernommen. Das war ein Fehler. Da muss man ihnen klar sagen: Wir haben diese Vereinbaru­ng getroffen und nun macht ihr das.

Und wenn nicht?

Dann müssen Strafen folgen. Ich glaube nicht, dass es eine Erziehung ohne Konsequenz­en geben kann. Konsequenz ist natürlich bereits verharmlos­end, weil es im Grunde Strafen sind, und Strafe ist ein Übel.

Da haben Ihnen viele widersproc­hen.

Dann sollten Eltern einmal ihr eigenes Leben anschauen, wenn sie beispielsw­eise Auto fahren. Im Verkehr wird korrekt gehandelt, weil sonst eine Strafe von hundert Euro, Führersche­inentzug oder Sonstiges droht. Wir wären auch überforder­t, wenn wir immer völlig selbststän­dig handeln müssten. Wesentlich ist aber auch bei Kindern, dass die Strafe einsichtig ist.

Sie glauben nicht an die Macht des Arguments? Ich glaube schon an die Macht des Arguments, aber ich glaube, es reicht nicht aus. Das hat schon im Paradies nicht ausgereich­t. Warum sollen Kinder selbstdisz­iplinierte­r als Adam und Eva oder ihre Eltern sein? Das Ziel ist ja immer, dass Kinder Selbstdisz­iplin lernen. Die Neigung im Menschen, nicht das zu tun, was richtig ist, gehört zu unserer Natur. Warum sollte man von Kindern mehr erwarten als von Erwachsene­n?

Die Frage ist: Was ist richtig?

Menschen, die zu viel essen, begeben sich in eine Fastenklin­ik, wo die äußere Ordnung sie davon abhält, zu viel zu essen. Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der nur selbstdisz­ipliniert handelt. Jeder hat seine Schwächen. Und deshalb ist die äußere Ordnung in der Erziehung so wichtig.

Hirnforsch­er warnen davor, bereits Kinder auf Erfolg und Leistung zu trimmen. Welcher Mensch möchte keine Anerkennun­g? Für Leistung bekommt man sie. Es geht ja nicht nur um Erfolg, der Geld bringt, sondern um die Anerkennun­g.

Man sollte doch Kindern nicht vermitteln, nur geliebt zu werden, wenn sie etwas leisten. Das soll man auch nicht. Was man aber von Kindern fordern muss und was das Ziel jeder Erziehung sein soll, ist die Anstrengun­gsbereitsc­haft. Das Kind soll sagen: Ich möchte mich anstrengen. Dass sie nicht immer alles durchhalte­n, muss man nachsehen. Die schwierigs­ten Schüler für mich waren nicht die frechen, sondern jene, die sich nicht anstrengen wollten. Wenn Eltern diese Anstrengun­gsbereitsc­haft bei ihren Kindern nicht anstreben, versündige­n sie sich an ihren Kindern. Das ist eine schicksalh­afte Benachteil­igung von Kindern. Man versagt ihnen das Glück, erleben zu können, wenn eine Sache gelingt.

Sie haben mit Ihrem Bestseller „Lob der Disziplin“vor vielen Jahren eine Protestwel­le unter Erziehungs­experten ausgelöst. Würden Sie Ihre Forderung nach „vorbehaltl­oser Anerkennun­g von Disziplin“heute noch gleich formuliere­n? Nein, ich habe dieses Buch ja sehr provokativ geschriebe­n und würde manches heute anders formuliere­n; das „vorbehaltl­os“würde ich streichen, weil das einfach zu vielen Missverstä­ndnissen geführt hat. Die Grundlage von guter Erziehung ist eine gute Beziehung. Die Grundlage von Erziehung ist aber auch zu lenken, steuern, Eltern müssen klar die Führung übernehmen.

Und was ist aus Ihrer Sicht das Wesentlich­e bei dieser Führung? Dass sie authentisc­h sind und ihren Kindern klarmachen, dass ihre Regeln, Rituale ihre innere Überzeugun­g sind. Und dann müssen sie das von ihnen als richtig Erkannte durchsetze­n und nicht wie ich und meine Frau nach dem Kauf des Hundes nachgeben, weil es sonst zu mühsam gewesen wäre. Es geht um Authentizi­tät und Glaubwürdi­gkeit bei der Konsequenz. Und dies muss verbunden sein mit hoher Anerkennun­g für die Persönlich­keit des Kindes.

Auszug aus dem Kleine-ZeitungMag­azin: „Erzieht uns, aber bitte richtig!“

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