Am Sonntag müssen die Tiroler entscheiden.
Soll das Land Tirol ein selbstbewusstes Angebot für nachhaltige, regional angepasste sowie wirtschaftlich und ökologisch vertretbare Olympische und Paralympische Winterspiele Innsbruck-Tirol 2026 legen? Tirol will zum dritten Mal Olympische Winterspiel
Wie soll man es formulieren? Sportlich vielleicht so: So richtig auf Zug kam die Kampagne, die die Tiroler von einem Ja als Antwort auf die obige, leicht tendenziöse Frage am Sonntag überzeugen sollte, nie wirklich. Der Auftakt der groß angekündigten „Roadshow“ging im Seniorenheim des olympischen Dorfes im Osten der Stadt Innsbruck über die Bühne. Vor 15 Zuhörenden. Manche von ihnen waren ebenso wenig begeistert wie die aufmarschierte Politprominenz. Das olympische Feuer wurde also (noch) nicht gezündet im „heiligen Land Tirol“. Manche Beobachter meinen, das liege an der allgemeiist nen Politikverdrossenheit. Rund um den Nationalratswahlkampf will man so wenig wie möglich anstreifen an der Politik. Und Olympia, das ist eine hochpolitische Frage. Genauso wie die Frage, wie sich die Tiroler am Sonntag entscheiden, noch völlig offen ist. Olympische Optimisten gehen von einer 60-prozentigen Zustimmung aus, Olympiagegner hoffen auf ein weit knapperes Ergebnis, vor allem in der Stadt Innsbruck sogar auf eine Ablehnung.
Diese wäre gleichbedeutend mit dem Ende des Abenteuers „Olympia 2026“, wenn man der Politik glauben darf. Und es wäre wohl auch das Ende aller Olympiaambitionen in diesem Land. Salzburg ist nach zwei Ohrfeigen durch die IOC-Mitglieder für die Spiele 2010 und 2014 wohl noch lange aus dem Rennen, ob sich Innsbruck und Tirol bei einem Nein der Bevölkerung je wieder über das Thema trauen, ist mehr als fraglich. Dabei stünden die Chancen gut: Die Punkte, mit denen schon Salzburg einst ins Rennen zog – Nachhaltigkeit, Überschaubarkeit, Redimensionierung der Spiele, vorhandene Sportstätten, Expertise, Begeisterung –, haben durch die Skandale rund um Olympia erstaunlich an Wert gewonnen. Das IOC schiebt nach der Ablehnung der Idee Olympia in Graubünden/St. Moritz und in Garmisch fast ein wenig an. Die Sorge, es sich endgültig mit den Kernmärkten zu verscherzen, spürbar. Wie auch die Bereitschaft, im Notfall auf viele Bedingungen zu verzichten, ohne die es in der Vergangenheit nicht einmal zum Kandidatenstatus gereicht hätte.
Insofern ist es kein Wunder, dass sich die Tiroler Politik fast durchwegs zu Olympia bekennt. Oder vielleicht nicht gegen Olympia stellt, denn die große Liebe wurde ebenso wenig verkündet, zu groß ist offenbar die Angst, am Sonntag auch hier eine Abfuhr des Wahlvolkes zu erleiden.
Einzig die „Liste Fritz“, des einstigen Tiroler Arbeiterkammerpräsidenten Fritz Dinkhauser und dessen Frau Heidi, hat sich die Gegnerschaft zu Olympia auf die Fahnen geheftet. „Tischallenden
hat dringlichere Probleme“, sagt er und meint damit etwa die steigenden Wohnkosten, die verstopften Routen zu den Tourismusbetrieben, die Belastung der Natur durch Schneekanonen, die vielen Veranstaltungen, die Abhängigkeit des Arbeitsmarktes vom Tourismus. Er warnt: „Großevents wie Olympische Spiele bringen Preissteigerungen bei Grund-, Boden- und Mietpreisen. Vom Bier bis zum Kaffee ist in fast allen Bereichen des Lebens ein enormer Preisschub zu beobachten!“Von den überzogenen Budgets vergangener Spiele gar nicht zu reden. Dinkhauser fürchtet zu wissen, wer die Last zu tragen hat, wenn falsch geplant wird. „Die Hetz muss jemand zahlen – der Steuerzah- ler“, warnt Dinkhauser – 1968 übrigens selbst Olympia-Teilnehmer, damals im Zweierbob.
Dem tritt vor allem das Österreichische Olympische Comité (ÖOC) unter Präsident Karl Stoss und Peter Mennel entgegen. Das ÖOC war es auch, das mit vielerlei Mitteln versucht, die Pro-Argumente besser zu platzieren, als es die eigentlich mit der Kampagne betraute „Innsbruck Tirol Sports GmbH“, die u. a. auch die RadWM 2018 pushen soll, geschafft hat. Mit Toni Innauer und Benjamin Raich wurden zwei Olympiasieger kurzerhand zu den Gesichtern der Bewerbung bestimmt, sie sind bei Diskussionen, Interviews, TV-Runden dabei und versuchen, Emotiorol nen zu schüren. Die wichtigsten Argumente aber kommen vom Chef persönlich. IOC-Präsident Thomas Bach erläutert ein ums andere Mal, dass es „nun wirklich an der Zeit ist, dass die Spiele wieder an einen traditionellen Wintersportort zurückkehren“. Oder er lobt das Vorhandensein der Infrastruktur, die es ermöglicht, die Budgets in Grenzen zu halten. „Die Nutzung von vorhandenen Sportstätten führt nicht nur zu einem überschaubaren Investitionsbudget. Sie verhindert auch, dass die Spiele Narben in Form von unbenutzten und zerfallenen Stadien (den „weißen Elefanten“, Anm.) wie etwa in Rio de Janeiro oder Athen hinterlassen. So etwas wollen wir nicht!“, sagte er.
Bleibt die Frage, ob die Tiroler am Sonntag wollen. Nüchtern betrachtet ist klar: 77 Prozent der Sportstätten wären im Tiroler Konzept vorhanden, der fehlende Teil soll temporär geschaffen werden. Gelingt es, das kalkulierte Durchführungsbudget von 1,175 Milliarden Euro zu halten (und dieser Teil des Budgets hielt bisher noch bei allen Spielen), dann wären sie tatsächlich ohne Zuschuss zu finanzieren. Bleibt die Frage nach Investitionen in sportfremde Infrastruktur und Sicherheitsmaßnahmen. Eines ist klar: Auch in der kleinen Dimension braucht Tirol Mut – nur den kann man nicht kaufen.