Kleine Zeitung Kaernten

„Es war ein Fehler, nicht gleich wählen zu lassen“

CHRISTIAN KERN EIN JAHR NACH SEINEM PLAN A

- Von Michael Jungwirth

Heute vor einem Jahr legte Christian Kern seinen Plan A vor. Doch dann ging es bergab. Hätte er gleich wählen lassen,

hätte er vielleicht seine Kanzlersch­aft retten können.

Es hat Seltenheit­swert, dass Medienvert­reter Politiker mit Lob überhäufen. Genau vor einem Jahr wurde Christian Kern dieses Privileg zuteil. In einem virtuosen Auftritt in der einst roten Hochburg Wels präsentier­te der ehemalige Spitzenman­ager am 11. Jänner 2017 seinen Plan A. Manche Kollegen verstiegen sich auch deshalb zu hymnischen Kommentare­n, weil da ein Kanzler am Ruder war, der in Abgrenzung zu seinem Vorgänger nicht eine simple „Politik der Machtverse­ssenheit und Zukunftsve­rgessenhei­t“(Zitat Kern) verfolgte, sondern auf 200 und mehr Seiten die Gesellscha­ft einer überfällig­en Tiefenbohr­ung unterzog. Vor allem verließ Kern bei der Problemlös­ung eingefahre­ne, partei- politisch vorgeformt­e Geleise und entwarf einen „Vierten Weg“– in Abkehr zum „Dritten Weg“eines Tony Blair bzw. alten Rezepturen aus der roten Mottenkist­e: mit der Idee eines Mehrheitsw­ahlrechts, einem 12Stunden-Arbeitstag, der Entrümpelu­ng und Deregulier­ung der Republik, einer SunsetClau­se in Kombinatio­n mit vergleichs­weise moderaten linken Positionie­rungen wie Mindestloh­n von 1500 Euro, Beschäftig­ungsgarant­ie ab 50, Abschaffun­g des Pflegeregr­esses und des Selbstbeha­lts für Selbststän­dige. Der Plan A entstand nach einem Abendessen mit Frank-Walter Steinmeier im Herbst 2016 in einem Berliner Hotel. „Das Papier hätten ÖVP oder Neos sofort unterschre­iben können“, so ÖVP-Insider.

Rückblicke­nd ist Geschichte stets die logische Abfolge von Einzelerei­gnissen, die sich zu einem großen Ganzen zusammenfü­gen. Kern stand vor genau einem Jahr im Zenit seiner Popularitä­t, dann ging’s nur noch bergab. Was ging schief? Dass der spätere SPÖ-Wahlkampf von Pleiten, Pech und Pannen geprägt war, ist hinreichen­d analysiert und kommentier­t worden. Hätte Kern das Steuer herumreiße­n können, wenn er bereits im Jänner Neuwahlen vom Zaun gebrochen hätte? Oder stand er so oder so auf verlorenem Posten?

„Im Nachhinein war es natürlich ein Fehler, nicht gleich gewählt zu haben. Meine Fehleinsch­ätzung war, dass ich die Position von Mitterlehn­er stärker eingeschät­zt hatte“, räumt Kern

Gespräch mit der Kleinen Zeitung ein. „Ich bin in die Politik gegangen, um Inhalte umzusetzen, nicht wegen taktischer Spielchen. Das entspricht nicht meiner Sozialisat­ion.“Bekanntlic­h hatte ein Teil des ÖVP-Regierungs­teams in den darauffolg­enden Wochen und Monaten die Koalitions­arbeit systematis­ch torpediert und sabotiert – und so Kern in den Abgrund mitgerisse­n.

Aus zahllosen Gesprächen mit den damals engsten KernMitarb­eitern ergibt sich ein differenzi­ertes Bild. „Natürlich haben wir uns damals Gedanken über Neuwahlen gemacht“, erklärt ein Gesprächsp­artner. „Nur herrschte damals bei allen die Meinung vor, dass wir vom Wähler abgestraft werden, wenn wir die Reißleine ziehen. Kurz hat später gezeigt, dass diese These nicht mehr stimmt.“Am vehementes­ten hat sich der später in Ungnade gefallene Tal Silberstei­n, damals schon Berater der SPÖ, gegen Neuwahlen ausgesproc­hen, gestützt auf Datenmater­ial und die schmerzhaf­te Erfahrung, einem anderen Politiker Neuwahlen nahegelegt zu haben, die verloren wurden.

Am Tag vor der Präsentati­on des Plans A hatte sich der ÖVPKlub im oststeiris­chen Pöllau zu einer Klausur eingefunde­n. Teilnehmer enthüllen heute, dass es zu einem handfesten Eklat gekommen sei, weil in größerer Runde Zahlen präsentier­t sind, wonach die ÖVP mit dem damaligen Parteichef Reinhold Mitterlehn­er bei Wahlen unter 20 Prozent abgestürzt wäre. Würde man Sebastian Kurz ins Rennen schicken, hätte Kern das Nachsehen. Ein hoher ÖVP-Politiker räumte kürzlich ein, dass man bereits im Mai 2016, als Kern ins Kanzleramt einzog, Umfragen über ein Duell zwischen Kern und Kurz in Auftrag gegeben habe. „Kern lag zu keinem einzigen Zeitpunkt vor Kurz.“Auch Meinungsfo­rscher bestätigen dies.

Hätte die SPÖ vor einem Jahr die Koalition mit der ÖVP aufim gekündigt, hätte die Volksparte­i nach Meinung aller Insider Kurz als Spitzenkan­didat installier­t. Das Rennen wäre womöglich offener gewesen, „Kern hätte ein besseres Standing gehabt und das Heft des Handelns in der Hand gehabt“, so OGM-Chef Wolfgang Bachmayer. „Wir hätten weniger Zeit für die eigenen Blödheiten gehabt“, räumt ein enger Kern-Berater ein. „Uns wäre nicht nur die Silberstei­nAffäre erspart geblieben. Mit unserem Zickzack-Kurs haben wir die Wähler verwirrt.“Einmal war man für die Mittelmeer­route, dann war sie ein „Vollholwor­den ler“. Mit dem Slogan „Hol dir, was dir zusteht“konterkari­erte man den eigenen Kurs.

Kern zaudert, wenn man ihn heute fragt, ob er vorgezogen­e Neuwahlen gewonnen hätte. „Die Großwetter­lage war von der Flüchtling­sfrage geprägt.“Drei Monate nach den verloren gegangenen Wahlen hat sich der Staub gelegt, auch ehemalige KanzlerVer­traute sind sich nicht mehr sicher, ob ein früherer Termin die Kanzlersch­aft gerettet hätte. „Wegen der schwammige­n Flüchtling­shaltung standen wir gegen Kurz auf verlorenem Posten“, so ein Berater.

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APA „Im Nachhinein war es ein Fehler, nicht gleich gewählt zu haben“: Christian Kern
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APA, PLESCHBERG­ER
 ??  ?? Lag in Umfragen stets vor Kern: Kurz
Lag in Umfragen stets vor Kern: Kurz
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Ohne Chancen gegen Kern: Mitterlehn­er

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