„Es war ein Fehler, nicht gleich wählen zu lassen“
CHRISTIAN KERN EIN JAHR NACH SEINEM PLAN A
Heute vor einem Jahr legte Christian Kern seinen Plan A vor. Doch dann ging es bergab. Hätte er gleich wählen lassen,
hätte er vielleicht seine Kanzlerschaft retten können.
Es hat Seltenheitswert, dass Medienvertreter Politiker mit Lob überhäufen. Genau vor einem Jahr wurde Christian Kern dieses Privileg zuteil. In einem virtuosen Auftritt in der einst roten Hochburg Wels präsentierte der ehemalige Spitzenmanager am 11. Jänner 2017 seinen Plan A. Manche Kollegen verstiegen sich auch deshalb zu hymnischen Kommentaren, weil da ein Kanzler am Ruder war, der in Abgrenzung zu seinem Vorgänger nicht eine simple „Politik der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit“(Zitat Kern) verfolgte, sondern auf 200 und mehr Seiten die Gesellschaft einer überfälligen Tiefenbohrung unterzog. Vor allem verließ Kern bei der Problemlösung eingefahrene, partei- politisch vorgeformte Geleise und entwarf einen „Vierten Weg“– in Abkehr zum „Dritten Weg“eines Tony Blair bzw. alten Rezepturen aus der roten Mottenkiste: mit der Idee eines Mehrheitswahlrechts, einem 12Stunden-Arbeitstag, der Entrümpelung und Deregulierung der Republik, einer SunsetClause in Kombination mit vergleichsweise moderaten linken Positionierungen wie Mindestlohn von 1500 Euro, Beschäftigungsgarantie ab 50, Abschaffung des Pflegeregresses und des Selbstbehalts für Selbstständige. Der Plan A entstand nach einem Abendessen mit Frank-Walter Steinmeier im Herbst 2016 in einem Berliner Hotel. „Das Papier hätten ÖVP oder Neos sofort unterschreiben können“, so ÖVP-Insider.
Rückblickend ist Geschichte stets die logische Abfolge von Einzelereignissen, die sich zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Kern stand vor genau einem Jahr im Zenit seiner Popularität, dann ging’s nur noch bergab. Was ging schief? Dass der spätere SPÖ-Wahlkampf von Pleiten, Pech und Pannen geprägt war, ist hinreichend analysiert und kommentiert worden. Hätte Kern das Steuer herumreißen können, wenn er bereits im Jänner Neuwahlen vom Zaun gebrochen hätte? Oder stand er so oder so auf verlorenem Posten?
„Im Nachhinein war es natürlich ein Fehler, nicht gleich gewählt zu haben. Meine Fehleinschätzung war, dass ich die Position von Mitterlehner stärker eingeschätzt hatte“, räumt Kern
Gespräch mit der Kleinen Zeitung ein. „Ich bin in die Politik gegangen, um Inhalte umzusetzen, nicht wegen taktischer Spielchen. Das entspricht nicht meiner Sozialisation.“Bekanntlich hatte ein Teil des ÖVP-Regierungsteams in den darauffolgenden Wochen und Monaten die Koalitionsarbeit systematisch torpediert und sabotiert – und so Kern in den Abgrund mitgerissen.
Aus zahllosen Gesprächen mit den damals engsten KernMitarbeitern ergibt sich ein differenziertes Bild. „Natürlich haben wir uns damals Gedanken über Neuwahlen gemacht“, erklärt ein Gesprächspartner. „Nur herrschte damals bei allen die Meinung vor, dass wir vom Wähler abgestraft werden, wenn wir die Reißleine ziehen. Kurz hat später gezeigt, dass diese These nicht mehr stimmt.“Am vehementesten hat sich der später in Ungnade gefallene Tal Silberstein, damals schon Berater der SPÖ, gegen Neuwahlen ausgesprochen, gestützt auf Datenmaterial und die schmerzhafte Erfahrung, einem anderen Politiker Neuwahlen nahegelegt zu haben, die verloren wurden.
Am Tag vor der Präsentation des Plans A hatte sich der ÖVPKlub im oststeirischen Pöllau zu einer Klausur eingefunden. Teilnehmer enthüllen heute, dass es zu einem handfesten Eklat gekommen sei, weil in größerer Runde Zahlen präsentiert sind, wonach die ÖVP mit dem damaligen Parteichef Reinhold Mitterlehner bei Wahlen unter 20 Prozent abgestürzt wäre. Würde man Sebastian Kurz ins Rennen schicken, hätte Kern das Nachsehen. Ein hoher ÖVP-Politiker räumte kürzlich ein, dass man bereits im Mai 2016, als Kern ins Kanzleramt einzog, Umfragen über ein Duell zwischen Kern und Kurz in Auftrag gegeben habe. „Kern lag zu keinem einzigen Zeitpunkt vor Kurz.“Auch Meinungsforscher bestätigen dies.
Hätte die SPÖ vor einem Jahr die Koalition mit der ÖVP aufim gekündigt, hätte die Volkspartei nach Meinung aller Insider Kurz als Spitzenkandidat installiert. Das Rennen wäre womöglich offener gewesen, „Kern hätte ein besseres Standing gehabt und das Heft des Handelns in der Hand gehabt“, so OGM-Chef Wolfgang Bachmayer. „Wir hätten weniger Zeit für die eigenen Blödheiten gehabt“, räumt ein enger Kern-Berater ein. „Uns wäre nicht nur die SilbersteinAffäre erspart geblieben. Mit unserem Zickzack-Kurs haben wir die Wähler verwirrt.“Einmal war man für die Mittelmeerroute, dann war sie ein „Vollholworden ler“. Mit dem Slogan „Hol dir, was dir zusteht“konterkarierte man den eigenen Kurs.
Kern zaudert, wenn man ihn heute fragt, ob er vorgezogene Neuwahlen gewonnen hätte. „Die Großwetterlage war von der Flüchtlingsfrage geprägt.“Drei Monate nach den verloren gegangenen Wahlen hat sich der Staub gelegt, auch ehemalige KanzlerVertraute sind sich nicht mehr sicher, ob ein früherer Termin die Kanzlerschaft gerettet hätte. „Wegen der schwammigen Flüchtlingshaltung standen wir gegen Kurz auf verlorenem Posten“, so ein Berater.