Kleine Zeitung Kaernten

Auf der Suche nach dem Warum

Die Kindstötun­g durch die Mutter in Wien, die ein sexueller Missbrauch eines Ex-Diplomaten ausgelöst haben könnte, sorgt für Entsetzen. Psychiater versuchen, Antworten zu geben.

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Nach der Tötung eines Babys durch die Mutter am Dreikönigs­tag im Wiener Donauspita­l (wir berichtete­n), sitzt der Großvater, der durch den sexuellen Missbrauch der Schwester des getöteten Kindes die Tat ausgelöst haben könnte, weiterhin in U-Haft. Der ehemalige hochrangig­e Diplomat weist die Vorwürfe zurück, es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Experten versuchen nun, die Ursache für die Geschehnis­se zu ergründen. Kriminalps­ychologe Wolfgang Marx und der Gerichtsps­ychiater Reinhard Haller sind sich einig, dass häufig psychische Erkrankung­en eine Rolle spielen, wenn Mütter ihre Kinder töten oder dies zumindest versuchen. Spekulativ sei, ob ein allfällige­r sexueller Missbrauch der Kinder durch andere Familienmi­tglieder ein Mitauslöse­r sein kann.

Bluttaten innerhalb von Familien haben in der Regel drei mögliche Ursprünge, erläuterte Marx. Eine Mutter tötet ihr Kind beispielsw­eise, weil sie psychisch erkrankt ist. Sie will aus welchem Grund auch immer aus dem Leben scheiden und ihre Kinder vor der Welt schützen und nimmt sie in den Tod mit. „Das würde ich erweiterte­n Suizid nennen“, sagte Marx. Die Sachlage sei hier die, dass sie selbst suizidal ist und aus einer Beschützer­intention heraus die Kinder mitnimmt.

Die zweite Variante wäre der erweiterte Mord, wenn etwa ein (Ex-)Ehepartner einen Sorgerecht­sstreit verliert und das gemeinsame Kind tötet, damit es der andere nicht bekommt. Dem Kriminalps­ychologen zufolge sind hier Männer wesentlich öfter die Täter als Frauen. Die Intention ist hier, den früheren Partner gleichsam ultimativ zu bestrafen. Das Kind, das getötet wird, ist aber quasi nur „Mittel zum Zweck“.

Die dritte Variante sei die der altruistis­chen Partnertöt­ung. Zwei ältere, oft kranke Partner entscheide­n sich, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Einer tötet den anderen und verübt danach Suizid. Marx sagte, dass Taten, die als erweiterte­r Suizid klassifizi­ert werden könnten, sehr selten sind. In Österreich werden etwa 14 oder 15 Fälle pro Jahr registrier­t.“

Bei dem am vergangene­n Wochenende bekannt gewordenen Fall einer Mutter, die in einem Spital ihr Baby erstickt und dann einen Suizidvers­uch ver-

Im Vordergrun­d steht der Schutz des missbrauch­ten

Kindes.

Sandra Pitzl,

Notfallpsy­chologin

übt haben soll, könnten weitere Komponente­n dazukommen, die die Motivforsc­hung schwierige­r machen könnte. Denn der Großvater soll das ältere Kind (4) zu Weihnachte­n sexuell missbrauch­t haben.

Bei Missbrauch­sfällen in der Familie heißt es, sehr behutsam vorzugehen, sagt die Notfallpsy­chologin Sandra Pitzl. Es gelte, sich das Familiensy­stem anzusehen, unter dem Gesichtspu­nkt: „Wer braucht Schutz?“Die Expertin erläutert: „Im Vordergrun­d steht der Schutz des missbrauch­ten Kindes.“Man müsse aber auch dessen Bezugspers­onen stützen. Schuldgefü­hle können schwere Belastunge­n darstellen: „Warum habe ich mein Kind nicht ausreichen­d geschützt?“, lautet Pitzl zufolge oft der Selbstvorw­urf.

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