Im dunklen Strudel der Erinnerung
Ingmar Bergman wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Das Jubiläumsjahr wirft Licht und Schatten auf den Meisterregisseur.
In ihrer kühlen Schroffheit zählte sie ab den 60er-Jahren zum festen Inventar der kanonisierten Filmwelt. Die Küste der schwedischen Ostseeinsel Fårö bot Ingmar Bergman jene Orte, die er in mehreren Filmen zur Bühne seiner oft von Strenge durchzogenen Kinoereignissen machte. Auf diesem schroffen Eiland im Abseits, wo der Meisterregisseur jahrzehntelang arbeitete und lebte, wird heuer mehr als sonst an den schwedischen Säulenheiligen erinnert, mehr noch: Er wird gefeiert. Und nicht bloß dort.
Nicht weniger als das „weltweit größte Jubiläum für einen Filmemacher“kündigt die Bergman-Foundation anlässlich des diesjährigen 100. Geburtstags von Bergman an.
Rund um den Globus locken heuer Veranstaltungen und Retrospektiven des berühmten Skandinaviers, der 1997 im Rahmen von 50 Jahre Cannes mit der Palme aller Palmen als „Bester Filmregisseur aller Zeiten“ausgezeichnet wurde. Den Anfang des Würdigungsreigens macht das Filmmuseum Wien, wo bis 8. Februar das bergmansche Kino-OEuvre zu sehen ist, darunter Filmklassiker wie „Das siebente Siegel“, „Das Schweigen“oder „Szenen einer Ehe“. Bloß der seit Langem gesperrte Anti-Kommunistenthriller „Menschenjagd“fehlt.
Die vergehende Zeit verengt den Blick auf die Vergangenheit, das Signifikante verkommt zum Klischee. In Erinnerung bleiben bei Ingmar Bergman das Dunkle, der Zweifel, die existenzialistische Tiefe von Beziehungsdramen. Menschlichkeit, aufgenommen mit einer rücksichtslosen Nähe und Schärfe. „Wirklich große Meister sind aber viel reicher, als man glaubt“, betont Christoph Huber vom Wiener Filmmuseum. Das in Jahrzehnten entstandene Gesamtwerk des Regisseurs reiche weit über die bekannten poetischen Seelendramen hinaus: „In
Wirklichkeit ist es so, dass Bergman ein experimentierender, ein vielfältiger Regisseur war, der sich auch an Komödien versucht hat.“Der weite Schaffensbogen zeigt sich beispielhaft in „The Touch“(1971), der in Wien nun erstmals in einer Langversion zu sehen ist. Gefeiert werden 2018 nicht nur Bergmans Filme, auch seine literarischen Texte und die 120 Inszenierungen umfassende Thea- terarbeit werden heuer in den Fokus rücken. Wer Filme des Regisseurs im TV sehen möchte, ist aktuell auf StreamingDienste angewiesen: Amazon Prime zeigt „Das siebente Siegel“, „Wilde Erdbeeren“und „Persona“.
Trotz seines kommerziellen Erfolgs habe den Pastorensohn Bergman „das HollywoodDing“nie interessiert, erzählt Filmexperte Huber, der schon für die erste Wiener Retrospektive 2004 mitverantwortlich war. „So wie er in Schweden arbeiten konnte, war es perfekt für ihn.“Hier hatte er nicht nur seinen künstlerischen Freiraum, hier fand er auch schauspielerische Stammakteure wie Liv Ullmann, Max von Sydow, oder seinen Stammkameramann Sven Nykvist.
Gespannt darf man auf eine Dokumentation der Filmemacherin Jane Magnusson sein: „A Year in a Life“ist den sexuellen Beziehungen Bergmans mit einer Vielzahl seiner Schauspielerinnen gewidmet. Die Premiere soll der Film ausgerechnet an jenem Ort feiern, an dem der Schwede zum Größten seiner Regiezunft gewählt wurde: in Cannes. Im Kontext von #metoo könnte Magnussons Werk im Scheinwerferlicht des Jubiläumsjahres für einigen Schatten sorgen – und womöglich Bergmans Bild in der Filmgeschichte um unschöne Aspekte erweitern.