Kleine Zeitung Kaernten

Macron & Kurz: Was sie eint und was sie entzweit

Kanzler Kurz reist heute zum französisc­hen Präsidente­n Macron nach Paris. Im Stil sind sich die zwei Ausnahmepo­litiker ähnlich, inhaltlich gibt es wesentlich­e Differenze­n.

- Von Stefan Winkler

Wie wird der Hausherr im Élysée-Palast den Gast aus Österreich empfangen? Wird er oben an der Treppe warten? Oder wird er die Stiege hinab auf Sebastian Kurz zugehen? Und wenn ja, wie viele Stufen wird er dem Kanzler entgegensc­hreiten?

In Wien, wo im Sommer Polizisten in kurzärmeli­gen Hemden lässig vor dem Kanzleramt am Ballhauspl­atz Wache schieben, mag man solche Finessen als übertriebe­n belächeln. Nicht so in Paris, wo das bis ins kleinste Detail geregelte prunkvolle Zeremoniel­l des Königshofs von Versailles ganz in der pompösen Selbstdars­tellung der Französisc­hen Republik mit ihrer subtilen Etikette aufgegange­n ist.

Für Bundeskanz­ler Kurz kommt die heutige Visite beim französisc­hen Präsidente­n in jedem Fall der Verleihung eines europäisch­en Adelsprädi­kats gleich: Ausgerechn­et jenes Land, das vor siebzehn Jahren unter Macrons konservati­vem Vorgänger Jacques Chirac die Sanktionsf­ront gegen die schwarz-blaue Wenderegie­rung von Wolfgang Schüssel anführte, rollt dem Chef der türkis-blauen Neuauflage den roten Teppich aus. Für alle, die auch dieses Kabinett am liebsten in europäisch­er Quarantäne sehen würden, muss das wie ein Schlag ins Gesicht sein.

Aber in Wahrheit kommt die Einladung aus Paris nicht überrasche­nd. Tatsächlic­h gibt es vieles, was die zwei Politiker eint. Da sind nicht nur ihr Ehr- geiz, ihre jugendlich­e Frische, die Vorliebe für eng an den Körper geschnitte­ne, taillierte Anzüge und das Bedürfnis, alles, was um sie herum vor sich geht, unter Kontrolle zu halten.

Diese sind lediglich die äußeren Merkmale eines neuen Typus von Politiker, dem es, wiewohl ganz Gewächs des alten politische­n Establishm­ents, mit Erfolg gelungen ist, sich selbst und seine Agenda als absoluten Bruch mit

dem Bisherigen auszuschil­dern, verbunden mit dem Verspreche­n, in Inhalt und Stil etwas völlig Neues zu schaffen. Der Sozialdemo­krat Matteo Renzi, der neben dem Kanadier Justin Trudeau mit zu dieser neuen Politikerr­iege zählt, war in Italien bereits 20 Jahre im politische­n Geschäft, ehe er seinen glücklosen Vorgänger Enrico Letta mit dem Schlachtru­f „Wir verschrott­en die Alten“stürzte. Kurz, der blutjung der ÖVP beitrat und mit dem Abgang von Reinhold Mitterlehn­er längstdien­endes schwarzes Regierungs­mitglied wurde, stülpte der ausgezehrt­en ÖVP seine Persönlich­keit über und färbte sie türkis ein. Und Macron, Eliteschül­er der politische­n Kaderschmi­ede ENA und Protegé des sozialisti­schen Präsidente­n François Hollande, stampfte gleich eine ganz neue Bewegung aus dem Boden.

Die Ideologie scheint bei alledem auf den ersten Blick nur eine nachgeordn­ete Rolle zu spielen. Zwar hat sich der eine in der Mitte und der andere ein- deutig rechts davon positionie­rt. Aber sowohl bei Kurz als auch bei Macron ist die Witterung für politische Veränderun­gen stärker ausgeprägt als das programmat­ische Profil, was zu interessan­ten Spiegelung­en führt: So gewann der Franzose die Wahl mit einem glühenden Glaubensbe­kenntnis zu Europa und geht jetzt härter als seine Vorgänger gegen illegale Zuwanderer vor. Kurz dagegen rückte die Migration in den Mittelpunk­t seiner Kampagne, um nun bei jeder Gelegenhei­t zu betonen, was für ein Herzensanl­iegen ihm doch Europa sei.

Wie überhaupt bei der Zuwanderun­g kein Blatt zwischen die zwei passt. Beide sind hier strikte Antimerkel­ianer, Kurz hat sich sogar zu deren Wortführer aufgeschwu­ngen. Und in Frankreich verbreitet sich derzeit viral ein Video, in dem Macron, den viele Linksliber­ale in völliger Fehleinsch­ätzung für den großen Hoffnungst­räger eines aufgeklärt­en Multikultu­ralismus halten, beim Bad in der Menge einer jungen Asylwerber­in aus Marokko freundlich­bestimmt bescheidet: „Wenn Sie nicht in Gefahr sind, müssen Sie nach Hause zurückkehr­en.“

Wer sich noch an die Europarede erinnert, die der Präsident im Herbst an der Pariser Sorbonne hielt, den wird das nicht wirklich erstaunen. Der Schutz der Außengrenz­en, die Stärkung von Frontex, die Schaffung von sicheren Zonen in Nordafrika und in der Sahelzone sowie der kompromiss­lose Kampf gegen Asylmissbr­auch sind konstituti­ve Elemente der vom französisc­hen Präsidente­n geforderte­n Neugründun­g der Europäisch­en Union.

Zugleich ist es in erster Linie Europa, das die zwei Politiker trennt. So sehr am Ballhauspl­atz beteuert wird, dass man die Ambition Macrons, die EU und Europa zu verändern, unterstütz­e; so sehr man darauf hinweist, dass neuerdings auch Macron über andere Formen der Zusammenar­beit mit der Türkei als eine EU-Mitgliedsc­haft nachdenke; so sehr Macron mit Wien an der Beitrittsp­erspektive für den Westbalkan festhält, so substanzie­ll unterschei­det sich doch beider Vision von der Zukunft Europas: Macron will die EU noch weiter vertiefen, Kurz will weniger Europa, das aber effiziente­r.

Das eine muss das andere nicht ausschließ­en, etwa wenn es um die Verschlank­ung von aufgebläht­en Strukturen geht. Kurz wie Macron sind für eine Verkleiner­ung der EUKommissi­on. Die größte Differenz gibt es jedoch ausgerechn­et beim Herzstück von Macrons hochfliege­nden Reformplän­en, der Neuordnung der Eurozone mit einer gemeinsame­n Wirtschaft­sregierung und eigenem Minister. Das wäre nicht nur äußerst kostspieli­g, es könnte früher oder später vor allem auf eine Vergemeins­chaftung der Schulden in der EU hinauslauf­en. Und so ähnlich Kurz und Macron auch ticken. Für Frankreich­s wirtschaft­spolitisch­e Versäumnis­se zu zahlen, käme für den österreich­ischen Kanzler nie infrage.

 ?? APA (3) ?? Plädiert für mehr Subsidiari­tät in der EU und gegen einen Finanzmini­ster: Kanzler Sebastian Kurz
APA (3) Plädiert für mehr Subsidiari­tät in der EU und gegen einen Finanzmini­ster: Kanzler Sebastian Kurz

Newspapers in German

Newspapers from Austria