Macron & Kurz: Was sie eint und was sie entzweit
Kanzler Kurz reist heute zum französischen Präsidenten Macron nach Paris. Im Stil sind sich die zwei Ausnahmepolitiker ähnlich, inhaltlich gibt es wesentliche Differenzen.
Wie wird der Hausherr im Élysée-Palast den Gast aus Österreich empfangen? Wird er oben an der Treppe warten? Oder wird er die Stiege hinab auf Sebastian Kurz zugehen? Und wenn ja, wie viele Stufen wird er dem Kanzler entgegenschreiten?
In Wien, wo im Sommer Polizisten in kurzärmeligen Hemden lässig vor dem Kanzleramt am Ballhausplatz Wache schieben, mag man solche Finessen als übertrieben belächeln. Nicht so in Paris, wo das bis ins kleinste Detail geregelte prunkvolle Zeremoniell des Königshofs von Versailles ganz in der pompösen Selbstdarstellung der Französischen Republik mit ihrer subtilen Etikette aufgegangen ist.
Für Bundeskanzler Kurz kommt die heutige Visite beim französischen Präsidenten in jedem Fall der Verleihung eines europäischen Adelsprädikats gleich: Ausgerechnet jenes Land, das vor siebzehn Jahren unter Macrons konservativem Vorgänger Jacques Chirac die Sanktionsfront gegen die schwarz-blaue Wenderegierung von Wolfgang Schüssel anführte, rollt dem Chef der türkis-blauen Neuauflage den roten Teppich aus. Für alle, die auch dieses Kabinett am liebsten in europäischer Quarantäne sehen würden, muss das wie ein Schlag ins Gesicht sein.
Aber in Wahrheit kommt die Einladung aus Paris nicht überraschend. Tatsächlich gibt es vieles, was die zwei Politiker eint. Da sind nicht nur ihr Ehr- geiz, ihre jugendliche Frische, die Vorliebe für eng an den Körper geschnittene, taillierte Anzüge und das Bedürfnis, alles, was um sie herum vor sich geht, unter Kontrolle zu halten.
Diese sind lediglich die äußeren Merkmale eines neuen Typus von Politiker, dem es, wiewohl ganz Gewächs des alten politischen Establishments, mit Erfolg gelungen ist, sich selbst und seine Agenda als absoluten Bruch mit
dem Bisherigen auszuschildern, verbunden mit dem Versprechen, in Inhalt und Stil etwas völlig Neues zu schaffen. Der Sozialdemokrat Matteo Renzi, der neben dem Kanadier Justin Trudeau mit zu dieser neuen Politikerriege zählt, war in Italien bereits 20 Jahre im politischen Geschäft, ehe er seinen glücklosen Vorgänger Enrico Letta mit dem Schlachtruf „Wir verschrotten die Alten“stürzte. Kurz, der blutjung der ÖVP beitrat und mit dem Abgang von Reinhold Mitterlehner längstdienendes schwarzes Regierungsmitglied wurde, stülpte der ausgezehrten ÖVP seine Persönlichkeit über und färbte sie türkis ein. Und Macron, Eliteschüler der politischen Kaderschmiede ENA und Protegé des sozialistischen Präsidenten François Hollande, stampfte gleich eine ganz neue Bewegung aus dem Boden.
Die Ideologie scheint bei alledem auf den ersten Blick nur eine nachgeordnete Rolle zu spielen. Zwar hat sich der eine in der Mitte und der andere ein- deutig rechts davon positioniert. Aber sowohl bei Kurz als auch bei Macron ist die Witterung für politische Veränderungen stärker ausgeprägt als das programmatische Profil, was zu interessanten Spiegelungen führt: So gewann der Franzose die Wahl mit einem glühenden Glaubensbekenntnis zu Europa und geht jetzt härter als seine Vorgänger gegen illegale Zuwanderer vor. Kurz dagegen rückte die Migration in den Mittelpunkt seiner Kampagne, um nun bei jeder Gelegenheit zu betonen, was für ein Herzensanliegen ihm doch Europa sei.
Wie überhaupt bei der Zuwanderung kein Blatt zwischen die zwei passt. Beide sind hier strikte Antimerkelianer, Kurz hat sich sogar zu deren Wortführer aufgeschwungen. Und in Frankreich verbreitet sich derzeit viral ein Video, in dem Macron, den viele Linksliberale in völliger Fehleinschätzung für den großen Hoffnungsträger eines aufgeklärten Multikulturalismus halten, beim Bad in der Menge einer jungen Asylwerberin aus Marokko freundlichbestimmt bescheidet: „Wenn Sie nicht in Gefahr sind, müssen Sie nach Hause zurückkehren.“
Wer sich noch an die Europarede erinnert, die der Präsident im Herbst an der Pariser Sorbonne hielt, den wird das nicht wirklich erstaunen. Der Schutz der Außengrenzen, die Stärkung von Frontex, die Schaffung von sicheren Zonen in Nordafrika und in der Sahelzone sowie der kompromisslose Kampf gegen Asylmissbrauch sind konstitutive Elemente der vom französischen Präsidenten geforderten Neugründung der Europäischen Union.
Zugleich ist es in erster Linie Europa, das die zwei Politiker trennt. So sehr am Ballhausplatz beteuert wird, dass man die Ambition Macrons, die EU und Europa zu verändern, unterstütze; so sehr man darauf hinweist, dass neuerdings auch Macron über andere Formen der Zusammenarbeit mit der Türkei als eine EU-Mitgliedschaft nachdenke; so sehr Macron mit Wien an der Beitrittsperspektive für den Westbalkan festhält, so substanziell unterscheidet sich doch beider Vision von der Zukunft Europas: Macron will die EU noch weiter vertiefen, Kurz will weniger Europa, das aber effizienter.
Das eine muss das andere nicht ausschließen, etwa wenn es um die Verschlankung von aufgeblähten Strukturen geht. Kurz wie Macron sind für eine Verkleinerung der EUKommission. Die größte Differenz gibt es jedoch ausgerechnet beim Herzstück von Macrons hochfliegenden Reformplänen, der Neuordnung der Eurozone mit einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung und eigenem Minister. Das wäre nicht nur äußerst kostspielig, es könnte früher oder später vor allem auf eine Vergemeinschaftung der Schulden in der EU hinauslaufen. Und so ähnlich Kurz und Macron auch ticken. Für Frankreichs wirtschaftspolitische Versäumnisse zu zahlen, käme für den österreichischen Kanzler nie infrage.