„Medien haben ihre tragende Rolle in der Demokratie aufgegeben“
ESSAY. Facebook, Apple und Co setzen Presse, Parteien und Politiker unter Druck. Wer sich ihnen, der technischen Seite des Neoliberalismus, ausliefert, läuft Gefahr, sich bis zur Unkenntlichkeit anzupassen oder unterzugehen.
Alles, was an Medien besteht, ist wert, dass es zugrunde geht, obwohl nichts Besseres nachkommt. Also gut, fast alles. Darum soll es hier gehen.
Vor fast zehn Jahren sicherten wir Politikern Anonymität zu und erfuhren: Vor Wahlen werden Politiker bedroht. Wenn sie keine Inserate ablieferten, würde ihre politische Existenz vernichtet. Bei einem Interviewtermin verlangte ein Journalist Unterlagen eines aktuellen Skandals, sonst werde der Minister „hinuntergeschrieben“. Andere Journalisten zeigten Politikern zukünftige Seiten mit negativen Artikeln über sie, die man aber durch Inserate ersetzen könnte. Was auch geschah.
Das ist die Presse, wie wir sie kennen, vielleicht in extrem austriazistischer Ausformung von Korruption, aber es ist die Presse. Es sind die Medien. Für Leute wie Donald Trump ist die Presse eine hohle Stütze der Demokratie, die er ins Wanken bringen will. Ich will diese hohle Stütze revitalisieren.
Das herkömmliche politischParadox demokratische System ist diskreditiert. Ein Grund ist der Abstieg der Arbeiterklasse, der zu Ressentiments gegen „die da oben“führt. Die Krise färbt auf die Institutionen ab. Sogar im gut regierten Europa herrscht das Ressentiment gegen die da oben, die wegmüssen.
Man spürt ein moralisches Vakuum, das auch die Presse erfasst. Sie spielt keine tragende Rolle mehr in der Demokratie, vielleicht, weil sie ihre kritische, fragende, unparteiische Rolle längst aufgegeben hat.
Ein Grund dafür ist die „Selbstkolonialisierung durch Neoliberalismus“. Der ist das erfolgreichste ökonomische Programm der Geschichte. Idee und Strategie stammen aus den 1940er-Jahren, vom österreichischen Ökonomen Peter Hayek. Unbemerkt von der Öffentlichkeit entstanden akademische und intellektuelle Netzwerke. Seine Kraft bezog das Projekt aus dem Anspruch, für individuelle Freiheit und gegen Kollektivismus zu kämpfen, gegen Stalinismus und Nationalismus, aber auch gegen den „sanften Kollektivismus“und die „demokratische Gleichmacherei“der Wohlfahrtsstaaten im Nachkriegseuropa. Erst als die Netzwerke stark genug waren, verbreiteten sie unter Einsatz von viel Geld ihre Ideologie. Ein Beispiel: Eine neoliberale Stiftung lässt einen Beamten ein Papier schreiben, das den totalen Sieg neoliberaler Werte verkündet. Eine von Neoliberalen geförderte Zeitschrift publiziert den Artikel und zwei Reaktionen von ebenfalls geförderten Urhebern. Das Problem Herstellung von öffentlicher Meinung: Der Diskurs wird verschleiert. Über diese Verhältnisse ist ein Schleier des Nichtwissens gebreitet, aber nicht, damit wir unvoreingenommen faire Entscheidungen treffen können, sondern, damit uns die wahren Verhältnisse verborgen bleiben.
Neoliberalismus geht davon aus, dass die Einschränkung der Demokratie nötig ist, weil bereits kleine Eingriffe in den Markt eine Demokratie in Richtung Totalitarismus lenken. Was zu dem neoliberalen führt: Demokratische Freiheit gefährdet die Demokratie.
Die Linke war nicht in der Lage, Gegenwelten zu kreieren, und flüchtete in die Umarmung des neoliberalen Kapitalismus. Täte sie das nicht, bliebe ihr nur eine protektive Opposition, die unattraktiv geworden ist. Deshalb schrumpft sie.
Die Öffentlichkeit erfüllt ihre Funktion nicht mehr. Unsere Auffassung von Demokratie bleibt, dass eine informierte Mehrheit, in der jeder eine Stimme hat, für alle bindende Entscheidungen trifft. Stattdesdieser
sen herrscht die Öffentlichkeit der Massenmedien. Das macht Medien, so Ferdinand Lassalle 1863, zu einem heuchlerischen, ordinären Geldgeschäft, das unter dem Schein des Kampfes für große Ideen und das Wohl des Volkes betrieben werde.
Für die kommerzialisierte Öffentlichkeit ist alles käuflich: So hat Hugenberg Hitler vorbereitet, Murdoch half Thatcher, Blair und Trump an die Macht, Berlusconi gleich sich selber. Seit den 1990er-Jahren haben sich die Komm unikat ions verhältnisse dramatisch verschärft. In Europa und mehr noch in den USA verdrängte Aktionärskapital privates Verlegertum. Zur Marktliberalisierung kam die Digitalisierung. Dieses militärisch motivierte und staatlich initiierte Projekt, angetreten mit dem Versprechen von mehr Demokratie durch Teilhabe aller, höhlt in Wirklichkeit demokratische Prinzipien aus. Alles wird ins Private gezogen, alles Private wird veröffentlicht und mit dem Privaten geht auch das Politische verloren. Damit wurde Öffentlichkeit endgültig zur Scheinöffentlichkeit.
Die Financiers des Silicon Valley schaffen neue Geschäftsmodelle, indem sie bestehende zerstören. So eliminieren sie „normale“kapitalistische Konkurrenz und traditionelle Formen der Kommunikation. Und: Die Silicon-Valley-Konzerne entziehen sich der Steuer- und Strafgesetzgebung der EU, sind scheinbar ortlos und nicht zu belangen. Sie machen den Medien den Garaus, wollen aber selbst keine sein, sondern nur eine Plattform.
Zugleich saugen wenige Konzerne – Facebook, Google, Apple, Amazon – die globale Werbewirtschaft auf. Das schwächt „traditionelle“Medien, die sich durch sinkende Verkaufs- und Anzeigenerlöse finanzieren.
Digitale Medien kosten scheinbar nichts, jedenfalls kein Geld. Doch sie bekommen die Daten des Publikums und erreichen sie mit ihrer Werbung punktgenau. Das ist ebenso besorgniserregend wie der Umstand, dass sie dieses Wissen – auf Anordnung der US-Regierung – an die US-Geheimdienste weitergeben müssen.
Die Daten dienen individueller Werbung für Produkte – und für Politik. Trump beschäftigte 100 Leute im und steckte 260 Millionen Dollar in den SocialMedia-Bereich. Auch in Österreich sind Wahlkämpfe Geldmaschinen, auch bei uns werden Facebook-Fans dank Microtargeting angepeilt. Sebastian Kurz hat 709.000 Facebook- und Twitter-Follower, Heinz-Christian Strache 610.000, Christian Kern 215.000.
Digitalisierung und Social Media sind die technische Seite des Neoliberalismus. Politiker binden sich – verzweifelt – an Medienberater, Parteien gleichen eher politischen Werbeagenturen. Wen wundert’s, dass sie sich auflösen? Zwischenfazit: Was die Welt zusammenhält, sind der Profit und die Monopole des US-Kapitalismus, der Europa kolonialisiert.
Die Entwicklung der Medien ist eine Dialektik von Kommerzialisierung und deren Zähmung. Doch wie könnte man die Digitalisierung zähmen? Öffentlich-rechtlich gehört neu definiert – auch in Richtung öffentlich-rechtliche Tageszeitung? Facebook, Google und Co gehören nicht in private Hände, sondern veröffentlicht. Es fehlen: ein europäisches Steuerregime, eine europäische Medienpolitik und eine DatenschutzNGO. Staatliche Medienförderung ist an Qualität und Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu knüpfen.
So gesehen hat die Digitalisierung auch Vorteile: Wissen, Geschwindigkeit, Masse der Informationen sind überwältigend. Übersetzungssoftware kann in übernationalen Verbünden wie der EU viel verändern.
Was die Welt zusammenhält, ist gewiss nicht die Vision einer Weltöffentlichkeit. Umso wichtiger ist es aber, diese Weltöffentlichkeit nicht als privatisierte, durchkommerzialisierte Scheinöffentlichkeit entgleisen zu lassen.
Leute wie Donald Trump wollen die Presse als hohle Stütze der Demokratie ins Wanken bringen. Ich will diese hohl gewordene Stütze revitalisieren. Armin Thurnher, Publizist