Kleine Zeitung Kaernten

Die asiatische Leistungss­chau im Zeichen der fünf Ringe

Die olympische Bewegung tritt mit dem heutigen Tag und der Eröffnung der Winterspie­le in Pyeongchan­g endgültig in das „asiatische Zeitalter“ein. Die Gründe für das Interesse sind vielfältig.

- Von Michael Schuen

Das Zeitalter Asiens“ist endlich da: Mit den Olympische­n Winterspie­len in Pyeongchan­g übernimmt der Ferne Osten für die nächsten vier Jahre, oder auch die XXIV. Winter-Olympiade, das olympische Ruder. Nach den Spielen in Pyeongchan­g stehen noch die Sommerspie­le in Tokio 2020 und dann abermals Winterspie­le in Peking 2022 an, ehe die Spiele wieder nach Paris und Europa zurückkehr­en werden. Es ist der Höhepunkt einer Entwicklun­g, die auf der einen Seite den Höhenflug der Bewegung unter den fünf Ringen in Asien dokumentie­rt, auf der anderen Seite aber just durch den von den Ausrichter­staaten zur Schau gestellten Gigantismu­s das Ansehen der olympische­n Bewegung in der „alten Welt“zweifellos weiter sinken lassen wird. Ein zweischnei­diges Schwert: Denn auf der einen Seite repräsenti­eren die asiatische­n Staaten alles, was sich ein Teil der olympische­n Bewegung, aber auch der Industrie, speziell im Winter, wünscht: die Ausdehser der Bewegung auf neue Märkte, die viel Potenzial zur Erschließu­ng haben und die Hoffnung nähren, die Rückgänge in den angestammt­en Heimmärkte­n aufzufange­n. Das gilt eben nicht nur für die Industrie, sondern auch für das Multimilli­arden-Business Olympia.

Die westliche Welt ist skeptisch geworden. Während etwa Rom, Hamburg, München, Graubünden, Innsbruck oder Budapest das Ansinnen ihrer Heimatstäd­te, sich um Olympia zu bewerben, ablehnten, scheint der Hunger Asiens unstillbar. Der Grund ist einfach: Olympia wird als Schuhlöffe­l ge- oder gar missbrauch­t, um Großprojek­te mit einer gesetzten Frist durchpeits­chen zu können. Diese beträgt genau sieben Jahre, denn so viel Zeit haben die Bewerberst­ädte vom Zeitpunkt des Zuschlags bis zum Entzünden des Feuers. Und just in Asien verfolgt man mit Olympische­n Spielen höhere Ziele: 1964 gelang es Japan mit den Spielen in Tokio, sich der Welt als Wirtschaft­smacht zu präsentier­en. Südkorea schaffte es 1988, sich als demokratis­ch gewandelte­s Land darzustell­en, das im Aufbruch war – in diesem Jahr zeigt schon das Motto, „Passion. Connected. – Leidenscha­ft. Verbunden.“, dass sich das Land als technologi­sche Führungsna­tion und Motor für Forschung und Entwicklun­g zeigen will. Und Peking 2008 war auch für China der Hebel, um sich dem Westen endgültig nicht nur als politische, sondern auch als wirtschaft­liche Supermacht zu präsentier­en. Die Winterspie­le 2022 werden diesem Kapitel ein weiteres hinzufügen, die (grenzenlos­en) Möglichkei­ten Chinas demonstrie­ren.

Doch bleiben wir in Südkorea. Es kommt nicht von ungefähr, dass das große Leitprojek­t dieser Spiele zum einen die neue 5G-Technologi­e im Mobilfunkb­ereich ist, die zum Beispiel erst autonomes Fahren ermöglicht. Auf der anderen Seite war der Ausbau des Hochgeschw­indigkeits­zuges KTX von Seoul in den Osten des Landes nach Gangneung die Triebfeder dienung Spiele. Die Nachricht an die Welt ist klar: Wir können alles schaffen – und das schneller und besser, wir sind die Zukunft. Oder, wie es Victor Cha, Direktor für asiatische Studien an der Georgetown-Universitä­t ausdrückt: „Es gibt eine interessan­te Abweichung in der Wahrnehmun­g der Spiele. In Asien ist Olympia reine Benchmark für die wirtschaft­liche Entwicklun­g einer Nation. Im Westen dient Olympia bestenfall­s als Vehikel, um große Städte wiederzube­leben“, sagte er gegenüber forbes.com.

Jedoch nicht nur die wirtschaft­liche Sogkraft war für die Bewerbung Südkoreas entscheide­nd, sondern tatsächlic­h eine der ursprüngli­ch tragenden Säulen der olympische­n Idee: Friede. Ebenso wenig wie der Hochgeschw­indigkeits­zug als pulsierend­e Ader für die Zusammenfü­hrung der beiden Küsten der südlichen koreanisch­en Halbinsel ein Zufall war, ist es die Wahl von Pyeongchan­g als Austragung­sort. Denn just in dieser Region Gangwon traf die Trennung der beiden Koreas nach Krieg in den 50ern besonders viele Familien. Die Hoffnung auf Frieden und Wiedervere­inigung war eines der Hauptargum­ente, als sich Pyeongchan­g zum dritten Mal um die Spiele beworben hatte. Und während das Verhältnis Nordkoreas zu den USA seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidente­n merklich abkühlte und sich Atomtests mit lächerlich­en Größenverg­leichen abwechselt­en, gelang es kurz vor Olympia, das Eis zwischen den beiden Koreas zu brechen. Erstmals nach elf Jahren wird damit heute bei der Eröffnung wieder ein gesamtkore­anisches Team einmarschi­eren – unter der Flagge eines gesamten Koreas, der blauen Halbinsel auf weißem Grund. Statt der Hymnen der Länder wird das in beiden Staaten beliebte Volkslied „Arirang“gespielt werden. Damit nicht genug: In aller Eile wurde auch ein gemeinsame­s Eishockey-Team der Damen beschlosse­n – und mit Sicherheit war noch nie ein Vorrundens­piel der Damen ein derartiger Quotenbrin­ger wie es das Samstagspi­el des gesamtkore­adem nischen Teams gegen die Schweiz (ein neutrales Land, wie passend) um 13.10 Uhr MEZ sein wird. Und auch, wenn nicht alle begeistert über den Kuschelkur­s zwischen Süd und Nord sind, auch wenn die nordkorean­ischen Spielerinn­en bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz das Podium nach der Verlesung ihrer Statements und vor allen Fragen fluchtarti­g verließen, auch wenn es im Team Verständig­ungsschwie­rigkeiten gibt – die symbolisch­e Strahlkraf­t überwiegt bei Weitem. Genauso wie das Gastspiel einer nordkorean­ischen Band, für deren Konzerte 150.000 Südkoreane­r Tickets wollten. Dabei hat das Entgegenko­mmen Grenzen – der nordkorean­ische Machthaber Kim Jong-un verzichtet­e trotz Olympia nicht auf seine Militärpar­ade am Donnerstag in der Hauptstadt Pjöngjang, mit der er der Gründung der Armee gedachte.

Klar ist: Die Spiele in Südkorea werden ein Erfolg. Alle Sportstätt­en sind fertig, auch der Ticketverk­auf zog an, am Tag vor der Eröffnung waren 78 Prozent der Karten verkauft. Und die Spiele an sich werden Gewinn abwerfen, ebenso wie die zwei nachfolgen­den. Was der olympische­n Bewegung schadet, ist der Preis, den Asien zahlt, um die Infrastruk­tur anzuschieb­en. Denn die Kosten für Hochg es ch windigkeit­sb ahnen, Straßen, überdimens­ionierte St adiens indes, die den Westen sich abwenden lassen. Obwohl: Im Fernsehen schaut alles gut aus – wenn auch hierzuland­e nicht zur Primetime.

Wir stellen das hiermit klar. Wir haben nicht die geringste Absicht, bei unserem Besuch im Süden US-Vertreter zu treffen. Cho Yong-sam, ein ranghoher Vertreter des nordkorean­ischen Außenminis­teriums

Wir brauchen Weisheit und Anstrengun­gen, um die Dialog-Chancen nach den Olympische­n Spielen zu bewahren. Südkoreas Präsident Moon Jae-in über das Tauwetter in den innerkorea­nischen Beziehunge­n

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APA/AFP Ein beliebtes Fotomotiv derzeit in Pyeongchan­g: Nordkorean­ische Cheerleade­r bei ihrem Besuch in Südkorea

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