Kurz-Besuch auf gut Deutsch
Der Moskau-Besuch von Kanzler Kurz ist mehr als nur Höflichkeit. Kreml-Chef Putin sieht ihn als Emissär der EU – und zeigt ihm das.
Wer darf zuerst über die Schwelle, der Hausherr oder sein Gast? Für einen Moment schienen Russlands Präsident Wladimir Putin und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz uneins, wer das Tor zum üppig dekorierten Kreml-Saal zuerst durchqueren darf. Putin lässt Kurz den Vortritt.
In der Mitte zwischen den beiden Rednerpulten hängt schon eine Österreich-Fahne, rechts davon die russische, links die europäische. Eine Geste gegenüber dem Gast, die auch den Grund für den ausgiebigen Termin drei Wochen vor der Wahl in Russland angeben mag. Putin definiert mit der blauen Fahne mit gelben Sternen den Vertreter des kleinen Landes auch als Emissär der EU, die gegen ihn und seine Politik Sanktionen verhängt hat. Der Präsident sucht Gesprächskanäle und der frisch gewählte junge Österreicher bietet ihm eine gute Gelegenheit dazu.
Es war ein langer Tag für den Kanzler: Schon beim Frühstück hatte er sich zur JournalistenDelegation gesetzt und die Haltung seiner Regierung erläutert, besonders, was die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland betrifft. Von der Position der EU will er nicht abweichen, aber doch sondieren, wie der abgerissene Kontakt zum wichtigen Partner wieder angeknüpft werden könnte. Eine Begegnung mit Menschenrechtsorganisationen in der Botschaft in Moskau ließ Kurz dennoch ansetzen, ohne den Termin den zu verschweigen. Unter den Gästen waren auch Organisationen, die der Kreml mit Misstrauen betrachtet. Dann ging es zum Präsidenten.
Bedrohlich hinter den roten mittelalterlichen Kreml-Mauern ragen die riesigen Paläste der Macht auf, dazwischen ein paar alte Kirchen, die der Zerstörungswut der Sowjets entgangen waren. Deren Führungsriege liegt zwischen der Mauer und dem Lenin-Mausoleum begraben, Büsten erinnern an sie. Auch Stalin fehlt nicht. Besucher legten Blumen nieder, auch bei ihm. Vor den Metalldetektoren steht immerhin ein Dutzend junger Menschen, die trotz des Frosts in den Sperrbezirk um den mumifizierten Gründer der Sowjetunion vordringen und die im Glassarg aufbewahrte Leiche andächtig umrunden wollen.
Im Pressesaal drängen sich unterdessen russische Medienvertreter, die gelangweilt auf den nächsten Termin warten. Nicht immer beginnen Gespräche pünktlich, erzählt einer. sind normal. Den Gast aus Wien begrüßte Putin nur wenige Minuten nach dem geplanten Termin. Und als das offizielle Gespräch mit Dolmetscher vorüber war, ließ er sich auf ein Gespräch unter vier Augen ein, in deutscher Sprache und eine Dreiviertelstunde lang. Erst dann gibt es das geplante Essen mit Ministern und dem mächtigen Chef des Energieriesen Gazprom.
Und jetzt noch die Presse: Putin beginnt mit einem Rundblick, in abgezirkelt diplomatischer Sprache – „sachlich und konstruktiv“sei das Gespräch verlaufen, die übliche Höflichkeitsfloskel. Konkret macht er sich für die Gasleitung „North Stream II“stark, die Gas unter Umgehung der Ukraine in die EU bringen könnte und für das Anschlussstück der russischen Breitspurbahn durch die Slowakei nach Österreich.
Beide Männer freut der Zuwachs im Tourismus und beim Außenhandel, trotz der Sanktionen. Zu Syrien bleibt Putin im Vagen, zur Ukraine formuGastgebern liert er ein Bekenntnis zum Minsker Abkommen als Grundlage jeder Lösung des UkraineKonflikts. So könnte das Kurz auch unterschreiben, oder Angela Merkel. Die erwähnt Putin übrigens auch einmal und nennt sie Angela. Konflikte ergeben sich erst auf der nächsthöheren Ebene, wenn konkrete Details ins Spiel kommen.
Die Fragen sind wie international üblich streng rationiert: zwei für die Gäste, zwei für heimische Journalisten. Die Frager sind festgelegt, bevor das Spiel beginnt. Der ORF eröffnet mit einer Formulierung, die als Angriff verstanden werden konnte: Wieso Russland eigentlich nicht der Stationierung von UN-Truppen entlang der GrenWartezeiten
Wir tragen nicht die Hauptverantwortung für die Erfüllung der Minsker Vereinbarung. Wladimir Putin
ze zur Ukraine zustimme. Das Thema ist nicht neu, beide Seiten schienen im Prinzip dafür zu sein. Die Antwort Putins weist in die komplexe Wirklichkeit von Konflikten, die nur bei raschem Hinsehen eigentlich einfach zu lösen sein müssten.
Die Frage provoziert ein sarkastisches Lächeln. Dann macht er sich daran, die Grundlage des Vorwurfs zu hinterfragen. Ursprünglich sei es lediglich um den Schutz von OSZE-Beobachtern gegangen, dann hätten die Ukrainer immer mehr draufgepackt. Zuletzt sei es um die Bewachung der russisch-ukrainischen Grenze gegangen und eigentlich um die Internationalisierung des gesamten Gebiets in der Hand der von Russland unterstützten Separatisten. Für Putin würde das eine Anerkennung der ursprünglichen Grenze bedeuten, das offene Eingestehen einer Niederlage. Also spricht er sich für die ursprüngliche Variante aus: Blauhelme zum Schutz der OSZE.
Kurz betont die Bereitschaft Österreichs, an einer UN-Mis- sion teilzunehmen, sollte sie denn zustande kommen. Österreich könnte in einer solchen Mission sogar eine zentrale Rolle spielen, da für Russland sowohl Nato-Staaten als auch ehemalige Ostblockländer ausscheiden. Die Entscheidung scheint aber noch in weiter Ferne. Zu Syrien sagt Kurz mehr als sein sehr defensiver Gastgeber. Russland trage Verantwortung in dem Land und solle sich intensiv für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen. Putin legt größten Wert darauf, dass die UN-Resolution den Kampf gegen Terroristen auch weiterhin gestatte. Als solchen versteht er das Vorgehen Assads und seiner Leute.
Zurück durch die schmalen Gänge des Palasts ins Pressezentrum, wo sich die Journalisten an Tee und Keks laben können. Die russischen Kollegen warten noch auf ein weit bedeutenderes Ereignis in den Maßstäben der heimischen Medienwelt: die Begegnung Putins mit den aus Südkorea heimgekehrten Olympia-Teilnehmern.