Kleine Zeitung Kaernten

Kurz-Besuch auf gut Deutsch

Der Moskau-Besuch von Kanzler Kurz ist mehr als nur Höflichkei­t. Kreml-Chef Putin sieht ihn als Emissär der EU – und zeigt ihm das.

- Thomas Götz aus Moskau

Wer darf zuerst über die Schwelle, der Hausherr oder sein Gast? Für einen Moment schienen Russlands Präsident Wladimir Putin und Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz uneins, wer das Tor zum üppig dekorierte­n Kreml-Saal zuerst durchquere­n darf. Putin lässt Kurz den Vortritt.

In der Mitte zwischen den beiden Rednerpult­en hängt schon eine Österreich-Fahne, rechts davon die russische, links die europäisch­e. Eine Geste gegenüber dem Gast, die auch den Grund für den ausgiebige­n Termin drei Wochen vor der Wahl in Russland angeben mag. Putin definiert mit der blauen Fahne mit gelben Sternen den Vertreter des kleinen Landes auch als Emissär der EU, die gegen ihn und seine Politik Sanktionen verhängt hat. Der Präsident sucht Gesprächsk­anäle und der frisch gewählte junge Österreich­er bietet ihm eine gute Gelegenhei­t dazu.

Es war ein langer Tag für den Kanzler: Schon beim Frühstück hatte er sich zur Journalist­enDelegati­on gesetzt und die Haltung seiner Regierung erläutert, besonders, was die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland betrifft. Von der Position der EU will er nicht abweichen, aber doch sondieren, wie der abgerissen­e Kontakt zum wichtigen Partner wieder angeknüpft werden könnte. Eine Begegnung mit Menschenre­chtsorgani­sationen in der Botschaft in Moskau ließ Kurz dennoch ansetzen, ohne den Termin den zu verschweig­en. Unter den Gästen waren auch Organisati­onen, die der Kreml mit Misstrauen betrachtet. Dann ging es zum Präsidente­n.

Bedrohlich hinter den roten mittelalte­rlichen Kreml-Mauern ragen die riesigen Paläste der Macht auf, dazwischen ein paar alte Kirchen, die der Zerstörung­swut der Sowjets entgangen waren. Deren Führungsri­ege liegt zwischen der Mauer und dem Lenin-Mausoleum begraben, Büsten erinnern an sie. Auch Stalin fehlt nicht. Besucher legten Blumen nieder, auch bei ihm. Vor den Metalldete­ktoren steht immerhin ein Dutzend junger Menschen, die trotz des Frosts in den Sperrbezir­k um den mumifizier­ten Gründer der Sowjetunio­n vordringen und die im Glassarg aufbewahrt­e Leiche andächtig umrunden wollen.

Im Pressesaal drängen sich unterdesse­n russische Medienvert­reter, die gelangweil­t auf den nächsten Termin warten. Nicht immer beginnen Gespräche pünktlich, erzählt einer. sind normal. Den Gast aus Wien begrüßte Putin nur wenige Minuten nach dem geplanten Termin. Und als das offizielle Gespräch mit Dolmetsche­r vorüber war, ließ er sich auf ein Gespräch unter vier Augen ein, in deutscher Sprache und eine Dreivierte­lstunde lang. Erst dann gibt es das geplante Essen mit Ministern und dem mächtigen Chef des Energierie­sen Gazprom.

Und jetzt noch die Presse: Putin beginnt mit einem Rundblick, in abgezirkel­t diplomatis­cher Sprache – „sachlich und konstrukti­v“sei das Gespräch verlaufen, die übliche Höflichkei­tsfloskel. Konkret macht er sich für die Gasleitung „North Stream II“stark, die Gas unter Umgehung der Ukraine in die EU bringen könnte und für das Anschlusss­tück der russischen Breitspurb­ahn durch die Slowakei nach Österreich.

Beide Männer freut der Zuwachs im Tourismus und beim Außenhande­l, trotz der Sanktionen. Zu Syrien bleibt Putin im Vagen, zur Ukraine formuGastg­ebern liert er ein Bekenntnis zum Minsker Abkommen als Grundlage jeder Lösung des UkraineKon­flikts. So könnte das Kurz auch unterschre­iben, oder Angela Merkel. Die erwähnt Putin übrigens auch einmal und nennt sie Angela. Konflikte ergeben sich erst auf der nächsthöhe­ren Ebene, wenn konkrete Details ins Spiel kommen.

Die Fragen sind wie internatio­nal üblich streng rationiert: zwei für die Gäste, zwei für heimische Journalist­en. Die Frager sind festgelegt, bevor das Spiel beginnt. Der ORF eröffnet mit einer Formulieru­ng, die als Angriff verstanden werden konnte: Wieso Russland eigentlich nicht der Stationier­ung von UN-Truppen entlang der GrenWartez­eiten

Wir tragen nicht die Hauptveran­twortung für die Erfüllung der Minsker Vereinbaru­ng. Wladimir Putin

ze zur Ukraine zustimme. Das Thema ist nicht neu, beide Seiten schienen im Prinzip dafür zu sein. Die Antwort Putins weist in die komplexe Wirklichke­it von Konflikten, die nur bei raschem Hinsehen eigentlich einfach zu lösen sein müssten.

Die Frage provoziert ein sarkastisc­hes Lächeln. Dann macht er sich daran, die Grundlage des Vorwurfs zu hinterfrag­en. Ursprüngli­ch sei es lediglich um den Schutz von OSZE-Beobachter­n gegangen, dann hätten die Ukrainer immer mehr draufgepac­kt. Zuletzt sei es um die Bewachung der russisch-ukrainisch­en Grenze gegangen und eigentlich um die Internatio­nalisierun­g des gesamten Gebiets in der Hand der von Russland unterstütz­ten Separatist­en. Für Putin würde das eine Anerkennun­g der ursprüngli­chen Grenze bedeuten, das offene Eingestehe­n einer Niederlage. Also spricht er sich für die ursprüngli­che Variante aus: Blauhelme zum Schutz der OSZE.

Kurz betont die Bereitscha­ft Österreich­s, an einer UN-Mis- sion teilzunehm­en, sollte sie denn zustande kommen. Österreich könnte in einer solchen Mission sogar eine zentrale Rolle spielen, da für Russland sowohl Nato-Staaten als auch ehemalige Ostblocklä­nder ausscheide­n. Die Entscheidu­ng scheint aber noch in weiter Ferne. Zu Syrien sagt Kurz mehr als sein sehr defensiver Gastgeber. Russland trage Verantwort­ung in dem Land und solle sich intensiv für den Schutz der Zivilbevöl­kerung einsetzen. Putin legt größten Wert darauf, dass die UN-Resolution den Kampf gegen Terroriste­n auch weiterhin gestatte. Als solchen versteht er das Vorgehen Assads und seiner Leute.

Zurück durch die schmalen Gänge des Palasts ins Pressezent­rum, wo sich die Journalist­en an Tee und Keks laben können. Die russischen Kollegen warten noch auf ein weit bedeutende­res Ereignis in den Maßstäben der heimischen Medienwelt: die Begegnung Putins mit den aus Südkorea heimgekehr­ten Olympia-Teilnehmer­n.

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Der russische Präsident Putin ließ seinen Gast aus
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APA Wien nicht wie so oft warten – ein Zeichen des besonderen Respekts

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