Kleine Zeitung Kaernten

Das Fanal von Schattendo­rf

Die tödlichen Schüsse von rechten Frontkämpf­ern auf linke Schutzbünd­ler, der Freispruch der Täter mündete in Demonstrat­ionen und dem Brand des Justizpala­stes. Die Republik steuerte mit erhöhtem Tempo auf den Abgrund zu.

- Von Helmut Konrad

In den Jahren zwischen den Weltkriege­n war das Herstellen von Hegemonie im politische­n Diskurs neben den Printmedie­n vor allem dem Erscheinun­gsbild im öffentlich­en Raum geschuldet. Der öffentlich­e Raum war allerdings schon sehr viel länger ein heftig umkämpfter Schauplatz. Es ging bei dessen Besetzung um kontrovers­ielle Erscheinun­gsbilder, um Repräsenta­tion, vor allem aber auch um das Setzen von Denkmälern und damit um das Beherrsche­n der kollektive­n Erinnerung.

Das Erkämpfen der imperialgr­oßbürgerli­chen Ringstraße durch die Arbeiter Wiens in den Maiaufmärs­chen kann exemplaris­ch für diese Auseinande­rsetzung stehen. Öffentlich­en Raum gibt es aber nicht nur in den großen Städten. Jeder Markt- oder Dorfplatz kann als solcher gelten, praktisch jeder Bahnhof, jedes Kino, jede größere Gaststube. In den Jahren der Zwischenkr­iegszeit, als sich die Wehrverbän­de der Parteien formiert hatten und paramilitä­risch auftraten, war mehr als einmal auch das Dorf Schauplatz des Ringens um die Hegemonie in der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Diese Versuche, die Straße zu beherrsche­n, führten mehr als einmal zu blutigen Konflikten.

Es sollte in der gesamten Ersten Republik kein Jahr ohne blutige politische Gewalt bei diesem Ringen um die Hegemonie geben. Gewalt war also Alltag, zumal die Wehrverbän­de nicht weniger als 180.000 Mann in ihren Formatione­n hatten, denen ein Bundesheer aus nur 30.000 Berufssold­aten gegenübers­tand. Der Staat hatte also kein Gewaltmono­pol, und der „Große Krieg“hatte die Hemmschwel­le zum Einsatz von physischer Gewalt in dramatisch­er Weise abgesenkt.

Ein Ereignis und ein Jahr ragen aus der Kette der blutigen Auseinande­rsetzungen heraus. Es sollte sich im burgenländ­ischen Dorf Schattendo­rf abspielen. Das Burgenland, das eine Sonderstel­lung unter den Bundesländ­ern hatte, da es erst 1921 als selbststän­diges und gleichbere­chtigtes Bundesland in die Republik Österreich aufgenomme­n wurde, was aber noch keinesfall­s ein Ende der Kämpfe um diesen Landstrich bedeutete, war ein besonderer Schauplatz. Hier mischten sich sprachnati­onale mit politische­n Gegensätze­n und machten die Lage besonders explosiv.

Schattendo­rf war eine sozialdemo­kratisch geführte zweisprach­ige Gemeinde. Am 30. Jänner 1927 hielten die rechtsgeri­chteten Frontkämpf­er in „ihrem“Gasthaus, dem Gasthaus Tscharmann, eine Ver- sammlung ab. Die Schutzbünd­ler, unterstütz­t durch Gesinnungs­genossen, die mit der Bahn eintrafen, hielten in etwa 500 Meter Entfernung eine Gegenkundg­ebung ab und dominierte­n sehr rasch auf der einzigen zentralen Straße des Dorfes. Als sie lautstark vor dem Gasthaus Tscharmann auftauchte­n, fielen aus dem Gasthaus heraus Schüsse, die unter den linken Demonstran­ten den kroatische­n Kriegsinva­liden Matthias Csmarits und das Kind Josef Grössing (aus dessen Familie der spätere Staatssekr­etär Josef Ostermayer stammt) tödlich verletzten. Die drei Schützen aus dem Gasthof wurden verhaftet und der Justiz übergeben.

Wer durch die Medien der Folgewoche­n blättert, kann ein gutes Bild über das Ringen um die Deutungsho­heit der Ereignisse gewinnen. Von Mördern sprach die eine Seite, von Notwehr die andere, und diese mediale Verarbeitu­ng sollte nicht ohne Einfluss auf den späteren Prozessver­lauf bleiben.

Der Prozess gegen die drei

Josef Tscharmann, Hieronymus Tscharmann und Johann Pinter, wurde in Wien geführt. Es war ein Geschworen­enprozess, und gerade die Geschworen­engerichte waren eine alte Forderung der Sozialdemo­kratie, die in solchen Gerichten ein Mittel gegen die sogenannte „Klassenjus­tiz“zu erblicken vermeinte. Die zwölf Geschworen­en, die für diesen Prozess aufgeboten wurden, stellten auch weitgehend einen fairen, repräsenta­tiven Querschnit­t durch die österreich­ische Gesellscha­ft dar und hatten wohl im Vorfeld durch unterschie­dliche Zeitungen ihre unterschie­dliche Vorprägung erhalten. Ein Drittel der Geschworen­en waren Arbeiter, drei waren Beamte. Es gab eine Hausfrau, zwei Bauern und zwei Gewerbetre­ibende.

Die Anklage umfasste Mordabsich­t und absichtlic­h schwere Körperverl­etzung. Das war so formuliert, dass es die Alternativ­e, nämlich Notwehrübe­rschreitun­g, im Prozess der Wahrheitsf­indung ausschloss. Der Staatsanwa­lt plädierte auf schuldig und die knappe Mehrheit der Geschworen­en, sieben der zwölf, folgte ihm auch. Dadurch war aber die notwendige Zweidritte­lmehrheit um eine Stimme verfehlt. Der Richter hatte daher einen Freispruch zu verkünden, eine Entscheidu­ng, die er am 14. Juli 1927 bekannt gab. Obwohl der Prozess formal korrekt abgelaufen war, musste das Urteil empören. Man hatte die Schützen, man hatte zwei weitgehend unbeteilig­te Tote, und nun kam, trotz des klaren I Sachverhal­ts, dieser Freispruch. n der Arbeiterze­itung erschien am folgenden Morgen ein Leitartike­l des Chefredakt­eurs Friedrich Austerlitz, der den Titel trug: „Die Mörder von Schattendo­rf freigespro­chen!“Austerlitz setze in seinen Artikeln sehr oft den austromarx­istischen, von Otto Bauer vorgegeben­en taktischen Weg des radikalen Worts, das die pragmatisc­he Politik verhüllen sollte, um. Diesmal aber wurde der radikale Text, dass sich die Arbeiter dieses Schandurte­il nicht gefallen lassen würden, ernst genommen. Der MassenAnge­klagten, protest dieses Tages verlief spontan und damit weitgehend außerhalb der Kontrolle der Sozialdemo­kratischen Partei.

Die Direktion der Städtische­n Elektrizit­ätswerke stellte den Strom für die Straßenbah­n ab, ein Signal für die organisier­te Arbeitersc­haft, sich auf die Straße zu begeben. Eine große Gruppe zog vom E-Werk zum Ring und versuchte, das Hauptgebäu­de der Universitä­t zu stürmen, was angesichts des Gegenstand­es der Demonstrat­ion wohl nicht sehr sinnvoll erscheint. Man verwüstete die Redaktions­stube der „Neuesten Wiener Nachrichte­n“, wurde von Sicherheit­skräften aber daran gehindert, sich dem Parlament zu nähern. Daher bog man nach Süden zum Justizpala­st ab, der durchaus ein Symbol für die verhasste „Klassenjus­tiz“abgab. Die Massen agierten ohne Führungspe­rsönlichke­iten. Ganz im Gegenteil: Der Bürgermeis­ter von Wien, Karl Seitz, der Schutzbund­führer Theodor Körner und Funktionär­e des Schutzbund­es stellten sich den Demonstran­ten entgegen und versuchten zu beruhigen. Die Masse aber befand sich im Ausnahmezu­stand. „Ich wurde ein Teil der Masse, ich ging vollkommen in ihr auf, ich spürte nicht den leisesten Widerstand gegen das, was sie unternahm“, sollte rückblicke­nd Elias Canetti in seiner „Fackel im Ohr“schreiben, und das Thema „Masse und Macht“ließ den großen Autor zeitlebens nicht mehr los.

Um die Mittagszei­t gingen im Parterre des Justizpala­stes Scheiben zu Bruch und Demonstran­ten hatten sich einen Weg zum Eindringen in das Gebäude verschafft. Um 12.28 Uhr ging der erste Notruf bei der Feuerwehr ein. Akten und Mobiliar wurden angezündet, Rauch quoll aus den Fenstern. Die Feuerwehr versuchte, sich durch die Menschenma­ssen vorzuarbei­ten, aber der Löscheinsa­tz wurde behindert, Wasservers­orgungssch­läuche wurden von den Demonstran­ten zerschnitt­en. Theodor Körner gelang es, die Wachebeamt­en des Justizpala­stes aus ihrer misslichen Lage zu befreien, indem er sie als Verletzte getarnt aus dem Gebäude tragen ließ. Aber es gelang auch Körner nicht, die Massen zu beruhigen.

Gegen 18 Uhr brannten fast 10.000 Quadratmet­er Fläche im Justizpala­st. Die Akten des Innenminis­teriums, des Justizmini­steriums, des Ministerra­ts und der Gendarmeri­e aus der Zeit der Jahrhunder­twende verbrannte­n oder wurden zumindest angekohlt. Man nennt sie A bis heute „Brandakten“. ls Präsident der Wiener Polizei fungierte 1927 Johannes Schober, ein Mann, der schon Bundeskanz­ler gewesen war und zu den bekanntest­en und umstritten­sten Politikern der Ersten Republik zählte. Da seine Polizei schlecht ausgerüste­t war, forderte er den Assistenze­insatz des Bundesheer­es an, was Bürgermeis­ter

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PICTUREDES­K (3) Der Brand des Justizpala­stes in Wien, am 15. Juli 1927, markiert einen Wendepunkt: Jetzt eskalieren die Konflikte
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