Kleine Zeitung Kaernten

Wenn Politiker gerne Cäsaren wären . . .

Geht unsere Zivilisati­on ihrem Ende entgegen? Ist das Abendland untergegan­gen? Gemach, gemach! Vorsicht ist trotzdem geboten, auch hierzuland­e.

- Von Peter Strasser

Vor hundert Jahren, 1918, erschien ein Buch, das – man muss schon sagen – von epochaler Wirkung war: „Der Untergang des Abendlande­s“. Autor: Oswald Spengler, ein dilettiere­nder Universalg­elehrter.

Laut Spengler machen alle Kulturen, zeitversch­oben, dieselbe Entwicklun­g durch. Goethe sprach von „Morphologi­e“: Kindheit, Jugend, Mannesalte­r, Greisentum. Das klingt nicht sonderlich aufregend, und für den Fachhistor­iker ist es ein ärgerliche­r Gemeinplat­z, halb wahr, halb falsch. Trotzdem: Würde ich an Propheten glauben, Spengler käme mir vor wie einer. Er ist heute geradezu brandaktue­ll. Warum?

Von Friedrich Nietzsche bezog Spengler die Idee, dass wir hier, in Europa als Teil des Abendlande­s, bereits in das Stadium der Vergreisun­g eingetrete­n seien. Das Hochfliege­nde, Kämpferisc­he, „Faustische“unserer Kultur erlahme und so beginne der Abstieg zur – Zivilisati­on. Die Schwächung der völkischen, nationalen Heilsordnu­ng führt bei Nietzsche zu den „letzten Menschen“, jenen nach dem kleinen, wohltemper­ierten Lebensglüc­k strebenden Erdenbürge­rn, die wir heute annäherung­sweise selbst verkörpern.

Spenglers These ist nun, dass zur Überwindun­g massenhaft­er Armut und Erreichung allgemeine­n Wohlstands zwar fulminante technische Leistungen nötig seien. Diese brächten aber keine nennenswer­te Kultur mehr hervor, sondern eben nur „pöbelhafte­s“, ganz und gar äußerlich gerichtete­s Wohlleben, garniert mit einer uneigentli­chen, fernöstlic­h inspiriert­en

I „zweiten Religiosit­ät“. ngenieursk­unst, WellnessSp­iritualitä­t und Mehrpartei­endemokrat­ie – das ist demnach die Trias des Verfalls. Währenddes­sen beginnt, laut Spengler, der Wille zur Macht, der unauslösch­lich im Menschen wirkt, sich von den ursprüngli­ch abendländi­schen Werten abzukoppel­n. Zwar wird der Ruf nach Gemeinscha­ft und autoritäre­r Führung wieder lauter, Renational­isierung steht auf der Tagesordnu­ng, mit Wohllebens­techniken geht die Entwicklun­g der Kriegstech­nik einher. Doch im Dienste welcher Ideale? Die Parteien verkörpern Proporzden­ken, Korruption­sneigung und Selbstsuch­t. Den starken Fraktionen eigne nach wie vor „Raubtierge­sinnung“, allerdings trete diese nun, in der Abendröte der Zivilisati­on, durch unverhüllt brutale Gestalten zutage: Mussolini, Hitler!

Was Spengler, der 1936 stirbt, an Hitler störte, war – abgesehen von dessen „plebejisch­em“ Antisemiti­smus – vor allem der Umstand, dass er als Führer des Deutschen Reiches zugleich Parteiführ­er sein wollte. Der Führertyp hingegen, der durch die Entfesselu­ng großer Kriege eine Zivilisati­on ausbrennen lasse, um einer weltgeschi­chtlich neuen Kultur Platz zu machen – das ist für Spengler der authentisc­he Typ des Cäsaren, welcher die Partei einzig als Infriedfer­tigen, strument seiner Macht- und Überwältig­ungspläne nützt. Spengler verweigert Hitler die Gefolgscha­ft und wird von den

M Nazis totgeschwi­egen. an könnte meinen, damit sei Spenglers „Morphologi­e der Weltgeschi­chte“zu einer historisch­en These entschärft, zumal die Staatenord­nung nach 1945 die Stärke des

westlichen Modells einer „offenen Gesellscha­ft“hinlänglic­h bewies. Doch dieses Modell scheint mittlerwei­le in eine Reihe „spengleria­nischer“Krisen geraten zu sein. Zumal in den östlichen Staaten der Europäisch­en Union ist die Neigung zu Präsidiald­iktaturen manifest. Die Masse ruft wieder nach dem Führer, der, unter Berufung auf den „Volkswille­n“, sei- ne Partei im Sinne umlaufende­r Größenphan­tasien instrument­alisiert.

R asch werden die Grundund Freiheitsr­echte eingeschrä­nkt, die unabhängig­en Verfassung­sgerichte lahmgelegt, Polizei und Militär gestärkt, während die Gegner, so weit als möglich, eingeschüc­htert und, falls unbotmäßig, nach Möglichkei­t weggesperr­t werden. Damit einher geht Wortgerass­el, das auf bedingungs­lose Verteidigu­ngsbereits­chaft setzt. Schließlic­h gilt es, dem eigenen Volk, das „wieder wer sein will“, zu versichern, man müsse gegen ausländisc­he Infamien schonungsl­os vorgehen.

Hätte man mir vor geraumer Zeit weismachen wollen, dass die österreich­ische Mentalität für derartige Entwicklun­gen anfällig sei, hätte ich unwirsch den Kopf geschüttel­t. Ich hätte Trumps Amerika angeprange­rt, nicht ohne zugleich gegen die europäisch­en Chauvinist­en zu wettern: „Dort vielleicht, aber nicht hier, bei uns!“Inzwischen – wir haben eine Regierung „der rechten Mitte“– kommt mir vor, Spenglers Prophezeiu­ng hinsichtli­ch der inneren Auszehrung jedweder Parteiende­mokratie treibe typisch österreich­ische Blüten.

Einerseits wissen wir, dass substanzie­ll nichts wirklich besser wird, weil nämlich bisher nichts wirklich von Grund auf schlecht war, vom Sozialsyst­em bis zum Raucherkam­merl im Café. Anderersei­ts staut sich im Volk ein Überdruss gegen die „Altpolitik­er“und „Altparteie­n“, und herrisch ertönt der Ruf nach dem sprichwört­lich starken Mann. Deshalb – ich sag’s so launig wie möglich – probt nun hierzuland­e ein Minicäsare­ntum, wie man den alten Wein in neue Schläuche füllt.

Um nicht missversta­nden zu werden: Von Spenglers Diagnose „Menschenge­schichte ist Kriegsgesc­hichte“sind wir vorerst weit entfernt. Und doch: Eine einst große bürgerlich­e Partei hat ihr werthaltig­es Profil den „Durchgriff­srechten“eines Anführers-im-Glück geopfert. Das macht es den Rechtspopu­listen im Lande besonders leicht, ihre Machtgelüs­te – etwa mittels der Praxis des „Umfärbens“ministerie­ller und staatsbetr­ieblicher Schlüssels­tellen – als ideologisc­he Leuchtfeue­r zu

N tarnen. ach wie vor darf Österreich als „Land der Seligen“gelten, auch wenn allein in Graz zweitausen­d Menschen unter Wohnungsno­t leiden, obdachlos sind. Das Einzige, was einer säkularisi­erten Gesellscha­ft – Spenglers „Zivilisati­on“– an Weltanscha­uung bleibt, ist ihr Glaube an die soziale Gerechtigk­eit. Doch das Geld und die Macht der Reichen bleiben, mangels eines glaubwürdi­gen Sozialismu­s, unantastba­r. Langfristi­g scheint es europaweit – von der globalen Perspektiv­e zu schweigen – keinen Ausgleich der „Interessen“zu geben. Die Folge: Egomanie, flottieren­der Hass.

Und dass die zivilisier­te Welt erneut von Kriegen, gar einem Dritten Weltkrieg, zu raunen beginnt, macht den „Untergang des Abendlande­s“zu mehr als einer literarisc­hen Erregungsp­rosa. Gewiss, es wäre intellektu­eller Hasard, das Ende der Parteiende­mokratie westlichen Stils zu „prophezeie­n“. Dennoch täte ein geschärfte­s Bewusstsei­n dafür not, dass unser Weg mit antizivili­satorische­n Affekten gepflaster­t ist. Und so könnten aus Möchtegern-Cäsaren am Ende echte werden …

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© Margit Krammer/Bildrecht Wien
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Peter Strasser. Spenglers Visionen. Braumüller, 140 Seiten, 18 Euro.

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