Kleine Zeitung Kaernten

Zugewander­t und abgetaucht

Mehrere Tausend Asylwerber verschwind­en in Österreich pro Jahr spurlos. Sie reisen weiter oder leben im Untergrund und werden kriminell. Zu ihnen zählt auch der mutmaßlich­e Messerstec­her von Wien, der bis Dezember in Klagenfurt in Haft war.

- Von Daniele Marcher

Während der lebensgefä­hrlich verletzte Zahnarzt (67) laut Klinik endlich über den Berg sein dürfte und sich seine – ebenfalls schwer verletzte – Familie über eine Anwältin für das Mitgefühl der Bevölkerun­g bedankt, liefen gestern die Ermittlung­en der Polizei weiter auf Hochtouren. Dabei wurden weitere, erschrecke­nde Details über den mutmaßlich­en Messerstec­her von Wien-Leopoldsta­dt bekannt.

Demnach hatte der 23-jährige Afghane bereits 2015 in Österreich um Asyl angesucht, er war im Zuge der großen Flüchtling­swelle im Oktober über Ni- ckelsdorf eingereist. Während sein Antrag noch lief, „hatte er sich aber dem Verfahren entzogen“, gab Wiens Polizeiprä­sident Gerhard Pürstl bekannt. Was heißt: Er war untergetau­cht, lebte laut Polizei seit 2016 in Wien als „U-Boot“– und hatte zuvor angeblich angegeben, dass er Österreich eh wieder verlassen wolle. „Davor war er jedoch polizeilic­h auffällig geworden und ins Drogenmili­eu abgeglitte­n“, so Pürstl.

Im Zuge der Ermittlung­en stellte es sich gestern heraus: Jafar S. war gar nicht so unauffindb­ar gewesen wie zuerst angenommen. Schon ein Jahr nach seiner Einreise hatte er einen Antrag auf freiwillig­e Rückkehr in sein Heimatland gestellt, die Genehmigun­g des Bundesamte­s für Asyl aber nicht abgeholt. Heuer wiederholt­e sich das Prozedere – genau zwei Tage vor der Bluttat stellte S. neuerlich einen Rückreisea­ntrag.

Zwischen den Anträgen war der Afghane auch nicht spurlos verschwund­en: Er wurde mehrere Male angezeigt, wegen Drogenhand­els, Körperverl­etzung, ver-

suchter Vergewalti­gung. Zwei Mal saß er sogar im Gefängnis, zuletzt in Klagenfurt. Seine Entlassung erfolgte erst vergangene­n Dezember. Warum er danach nicht sofort abgeschobe­n wurde? Angeblich war sein Verfahren noch nicht abgeschlos­sen, weil er die vorgeschri­ebenen Termine nicht eingehalte­n hätte. Und so tauchte Jafar S. neuerlich ab.

„Jährlich verschwind­en Tausende“, ist aus dem Innenminis­terium zu erfahren. In Zahlen: 2015, dem Jahr der großen Flüchtling­swelle, tauchten in Österreich 7963 Asylwerben­de unter, 2016 waren es noch immer 7083 Menschen, im Vorjahr dann bis Ende August bereits 4557 bei mehr als 17.000 laufenden Asylanträg­en. Sie alle sind laut Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl zur Festnahme ausgeschri­eben.

Der Großteil der Verschwund­enen dürfte übrigens, vermuten die Behörden, einfach in ein gewünschte­s Zielland wie Deutschlan­d oder Schweden weitergere­ist sein. Der Rest fristet als „U-Boot“in der Anonymität der Großstadt sein Dasein, um der Abschiebun­g zu entgehen. Lebt von hilfsberei­ten Landsleute­n oder rutscht, um das Leben zu bestreiten, spätestens jetzt in die Kriminalit­ät ab. Beim Tatverdäch­tigen war es die Drogenszen­e am Praterster­n, in deren Anonymität er lebte und Drogen und Alkohol konsumiert­e. Ob er auch bei der Tat unter Drogen stand, soll eine toxikologi­sche Untersuchu­ng klären. Eines der Opfer, ein 20-Jähriger, soll laut S. sein Drogendeal­er gewesen sein.

Abschiebun­gen sind bereits im Vorjahr stark gestiegen, nämlich um 63 Prozent auf 4642 Personen. Und die Zahl soll heuer noch weiter steigen, wenn es nach Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) geht. Die Zahl der freiwillig­en Rückkehrer ist jedoch „trotz aller Bemühungen“, so das Asylamt, um 20 Prozent zurückgega­ngen. Grund der Rückkehr ist meist Unzufriede­nheit mit dem Leben hier.

Vor seinem Abtauchen ist der Afghane wegen eines Drogendeli­kts verurteilt worden. Harald Sörös, Polizei

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GETTYIMAGE­S, PAJMAN, AP
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APA Viele geben das Warten, wie hier in Traiskirch­en, auf und tauchen unter

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